Kleinfeld-Torhüter mit großen Zielen Ein Nordhesse kämpft im Oman mit Christoph Kramer um die Fußball-WM
Christoph Kramer weiß Bescheid: Ja, es ist Fußball-WM. Im Kleinfeld. Der Weltmeister von 2014 ist erstmals Teil der deutschen Auswahl. Kim Sippel aus Uttershausen ist mit ihr bereits Weltmeister geworden. Bei der Socca-WM im Oman spielen beide nun um einen gemeinsamen Titel.
27. November, 15 Uhr Ortszeit, knapp 30 Grad. Kim Sippel muss sich erst noch akklimatisieren. Gegen Mitternacht landete er in der Nacht zum Mittwoch im Oman. Eine Dienstreise mit der deutschen Fußball-Nationalmannschaft – im Kleinfeld. Es ist WM. Am Freitag steht das erste Gruppenspiel an gegen Bulgarien. Ein Gegner etwa so angenehm wie eine Wurzelbehandlung.
Losglück hatten sie diesmal nicht, findet der Nordhesse. Auch das läuft eben etwas anders als bei dem Nationalteam auf dem großen Feld. Sippel kennt die Fragen und antwortet geduldig: Im Socca, so die korrekte Selbstbezeichnung, spielen je fünf Feldspieler und ein Torhüter auf einem Feld von 48 x 28 Metern - mit entsprechend kleineren Toren. Es gibt kein Abseits, dafür unbegrenzt fliegende Wechsel.
Der größte Unterschied: "Tempo und Intensität", sagt Sippel. "Es geht ständig hin und her. Praktisch jeder Angriff mündet in einem Torabschluss. Die Aktionsdichte ist viel höher als beim Elf-gegen-elf." Der 35-Jährige ist in gewisser Weise der Manuel Neuer des Kleinfeldfußballs – vor dessen Rückritt. Seit 2015 bewacht er das Tor der deutschen Nationalmannschaft.
Die Kleinfeld-Nationalmannschaft - noch ohne Christoph Kramer.
Christoph Kramer ist kein "rosa Elefant"
Besonderes Augenmerk liegt in diesem Jahr auf einem Neuen: Christoph Kramer, 2014 Weltmeister auf dem großen Feld, ist im Oman Teil der deutschen Auswahl. Er trifft, quasi standesgemäß, etwas später ein, musste zuvor noch seinem Job als TV-Experte in der Champions League nachkommen. Bei einem Lehrgang konnten sich der Ex-Gladbacher und sein neues Team bereits kennenlernen. "Er hat direkt klargestellt: Ich bin hier nicht der rosa Elefant im Raum, wir arbeiten gemeinsam. Das ist alles auf Augenhöhe, eine Ebene", sagt Sippel.
Im Alltag trennen die beiden schließlich doch ein bis zwei Welten. Der gebürtige Hessisch Lichtenauer ist spielender Co-Trainer bei der SG Bad Wildungen/Friedrichstein, kam für den KSV Baunatal auf einige Einsätze in der Regionalliga. Im Kleinfeld aber ist er Weltmeister und Kramer noch recht neu. Wer holt sich also Tipps von wem? "Ich glaube, wir ergänzen uns ganz gut", sagt Sippel diplomatisch.
Schwere Lose für das deutsche Team
Referieren könnte der Nordhesse sicher über die Gruppengegner. Bulgarien ist, wie viele osteuropäische Länder, eine echte Hausnummer. "Die haben eigene Ligen und spielen und spielen nur Kleinfeld", erklärt Sippel. Serbien sei sogar "das schlechteste Los, was wir bekommen konnten." Relativ neu dabei und daher mit wenigen Weltranglistenpunkten, "aber die sind brutal stark."
Ab dem Achtelfinale warten dann noch größere Kaliber. Vor allem Kasachstan, amtierender Europa- und Weltmeister, Rumänien als siebenfacher Europameister, Brasilien, Polen Kroatien – insgesamt sei das Niveau mit früheren Turnieren kaum noch zu vergleichen. "Wir haben gegen Haiti, Kongo oder Madagaskar gespielt, das war schon spannend und cool fürs Länderpunktesammeln. Aber die sind alle so gut geworden, da wird's keine zweistelligen Ergebnisse mehr geben", glaubt Sippel.
Christoph Kramer ist auf Kleinfeld-Fußball umgestiegen.
Baller League und andere Formate beleben die Szene
Dazu beigetragen haben natürlich auch wesentlich die europäische Kleinfeldligen, die rasant an Popularität gewonnen haben. Formaten wie der Baller League, Kings League oder Icon League stehen Fußballer wie Mats Hummels, Toni Kroos oder eben Christoph Kramer nicht nur als Werbeträger vor. Der Hype zieht Qualität an.
Sippel qualifizierte sich 2015 noch durch ein offenes Casting und errang 2018 in Portugal mit dem WM-Titel seinen bislang größten Erfolg. Damals steckte die Sportart noch tief in der Nische. Inzwischen ist das Bewerberfeld so stark, dass sogar frühere Profis wie Maximilian Beister oder Pascal Itter den Cut im Nationalteam nicht geschafft haben.
Für Sippel daher eine besondere Ehre, noch immer dabei zu sein. "Das Erlebnis, dein Bild auf einer metergroßen Leinwand zu sehen, wenn du bei der Heim-WM in Essen spielst, das hätte ich mir nicht ertäumen lassen." Alles übertrahlt aber noch immer der große Triumph 2018. "Weltmeister zu werden ist einmalig, das bist du für immer."
Uttershausen wurde zum Weltmeister-Ort
Am Eingangsschild seiner Heimatorts Uttershausen, zwischen Wabern und Borken im Schwalm-Eder-Kreis, hatten sie ihm ein Tuch mit der Aufschrift "Weltmeister Kim Sippel" aufgehängt. Die Wünsche aus der Heimat sind dennoch vergleichsweise bescheiden: "Der größte Auftrag ist, dass ich gesund wiederkomme. Ich wünsche mir einfach, dass alle mit gedrückten Daumen vor dem Screen sitzen und es in die Breite tragen."
Für gehobene Ambitionen sorgt das deutsche Team schon selbst. "Wir wollen auf jeden Fall das letzte Spiel bestreiten und dann natürlich auch was mitnehmen, sonst brauchen wir hier nicht her fahren", sagt Sippel. "Es ist nicht überheblich zu sagen, dass das unser Ziel sein muss."
Wie man eine ausufernde Party organisiert, weiß der deutsche Keeper für den Fall der Fälle noch vom Titelgewinn 2018, auch wenn der Rahmen im Oman ein anderer ist als in Lissabon. "Wir haben schon gewitzelt, dass wir uns ein Boot mieten und rausfahren müssen, damit uns keiner sieht. Vielleicht kapern uns dann ja irgendwelche Piraten, wenn die Lust haben, mitzufeiern."