Wout van Aert (vorne) im Duell mit Mathieu van der Poel beim Cyclocross-Rennen in Koksijde
interview

Radcross-WM in Hoogerheide Marcel Meisen - "Das hat mehr mit einem Gladiatorenkampf zu tun"

Stand: 03.02.2023 10:32 Uhr

Bei der Cyclocross-WM in den Niederlanden kommt es am Sonntag (05.02.2023) zum Titelkampf der Radsport-Überflieger Mathieu van der Poel und Wout van Aert. Wir sprechen über das große Duell mit dem siebenfachen deutschen Meister im Cyclocross, Marcel Meisen, der ebenfalls in Hoogerheide an den Start gehen wird.

Von Lena Bergmann

Sportschau: Am Wochenende gehen Sie bei der Cyclocross-WM in Hoogerheide an den Start und werden dort auf den Niederländer Mathieu van der Poel und den Belgier Wout van Aert treffen. Die beiden sind extrem erfolgreich und gelten schon jetzt als Jahrhunderttalente. Welche Bedeutung hat dieser Zweikampf für den Radsport?

Marcel Meisen: "Die beiden sind ja schon von klein auf Rivalen bei den Crossrennen gewesen. Innerhalb der Cross-Welt war natürlich bekannt, was sie können. Aber ja, es ist schon krass, was die zwei Jungs auch auf der Straße machen und dadurch, dass sie die Tour de France fahren, bekommt die Cross-Weltmeisterschaft natürlich jetzt auch mehr Aufmerksamkeit."

Van der Poel und auch van Aert fahren beide sowohl Straßen- als auch Crossrennen. Vorteil oder Überbelastung?

"Die beiden haben unterm Strich gar nicht so viel mehr Renntage als ein reiner Straßenfahrer. Sie teilen es sich natürlich ein bisschen mehr auf, für zwei oder im Fall von Mathieu sogar drei Disziplinen. Aber sicherlich, der Crosssport ist hochintensiv. Und das kommt natürlich auch Straßenfahrern zugute. Die Straßenrennen sind zwar lang, werden aber oft ganz am Ende entschieden. Entweder im Sprint oder am letzten Berg."

Warum sind van der Poel und van Aert so viel besser als alle anderen? Was zeichnet die beiden aus?

"Wahrscheinlich schon ihr Talent. Natürlich haben beide auch enormen Ehrgeiz. Wenn man ihre Duelle sieht, fällt auf, dass beide extrem unzufrieden sind, wenn sie Zweiter werden. Warum sie so gut sind? Es ist nicht so, als würden die anderen nicht trainieren. Als ehemaliger Teamkollege von Mathieu war ich oft dabei im Trainingslager. Da wird ähnlich trainiert und woran es dann im Endeffekt wirklich liegt, ist schwer zu sagen."

Marcel Meisen bei den deutschen Cyclocross-Meisterschaften 2022 in Luckenwalde

Marcel Meisen bei den deutschen Meisterschaften 2022 in Luckenwalde

Mit Blick auf die WM am Wochenende: Wie ist der Kurs in Hoogerheide einzuschätzen und wem könnte er eher liegen?

"Die Strecke in Hoogerheide ist aus den Weltcups bekannt. Alle Fahrer wissen also, was sie erwartet. Wen sehe ich da vorne? Das ist eine gute Frage. Beide Fahrer haben ihre Stärken. Das Wetter sieht aus, als würde es trocken bleiben zum Wochenende, das heißt, die Strecke wird schnell. Sie hat nicht so wirklich schwierige Passagen und keinen sehr großen Höhenunterschied. Deswegen, denke ich, wird es ein sehr geschlossenes Rennen. Womöglich liegen Mathieu und Wout noch bis auf den letzten Metern vor dem Ziel eng zusammen."

Mathieu van der Poel wird großes Talent nachgesagt, was kann sein Dauerkonkurrent Wout van Aert für sich verbuchen?

"Van Aert ist vor allem mental sehr stark. Er ist oft bei Rennen durch Materialprobleme oder Rennumstände ins Hintertreffen geraten. Aber da darf man Wout nie abschreiben. Er kämpft wirklich bis zum letzten Meter und hat es oft geschafft, sich irgendwie wieder zurückzukämpfen. Er ist sehr gut bei Meisterschaften und im Allgemeinen super stark, vor allem seit er die Tour de France fährt, hat er immer noch was draufpacken können. Auch dieses Jahr hat er wieder eine wirklich starke Saison. Also, das wird auf jeden Fall ein sehr spannendes Rennen."

Wout van Aert beim Flandriencross 2023

Wout van Aert beim Flandriencross 2023

In den Niederlanden ist Cyclocross super beliebt. Wie wird die Stimmung an der Strecke sein?

"Ich erwarte da wirklich einen Hexenkessel. Ich glaube, es sind 40.000 Tickets verkauft worden. Durch die Nähe zu Belgien werden natürlich extrem viele Belgier da sein. Und auf der anderen Seite ist Hoogerheide ja auch das Dorf, wo die Familie van der Poel herkommt. Also da steht es fifty-fifty. Ich glaube, es hat dann im Endeffekt mehr mit einem Gladiatorenkampf zu tun als mit einem Radrennen. Als Zuschauer wird das natürlich sehr interessant. Am Fernseher und natürlich vor Ort noch mehr von der Stimmung her."

Wie wichtig ist der Titelgewinn für van Aert und van der Poel am Wochenende?

"Beide haben vor der Saison bereits gesagt, dass der WM-Titel ihr einziges großes Ziel ist diese Cross-Saison. Klar sind die anderen Rennen auch wichtig und schön zu gewinnen. Aber im Endeffekt zählt, nächstes Jahr im WM-Trikot fahren zu können. Vielleicht sucht Mathieu auch ein bisschen die Revanche. 2014 waren er und Wout beide noch U-23-Fahrer. Mathieu war damals Favorit, aber Wout hat in Hoogerheide gewonnen. Mathieu will also definitiv gewinnen und ich denke, es wäre eine große Enttäuschung für ihn, wenn es nicht klappt."

Mathieu van der Poel beim Weltcuprennen 2023 in Besancon

Mathieu van der Poel beim Weltcuprennen im Januar 2023 in Besancon

Obwohl Deutschland auch einige Weltmeister im Cyclocross vorzuzeigen hat, läuft der Sport weitestgehend unter dem Radar, warum ist das so?

"Früher war Rad-Cross sehr populär und ist dann deutlich abgeebbt. Vielleicht fehlt auch mal wieder ein richtiger Superstar, aber die geringe Medienpräsenz ist sicher auch ein Faktor. Bei den letzten Weltcup-Rennen in Belgien ist mir allerdings aufgefallen, dass es wieder mehr deutsche Zuschauer an den Strecken werden. Das ist schön zu sehen und ich denke, auch Hoogerheide haben viele Deutsche im Kalender angekreuzt."

"Der zweite Grund ist natürlich auch ein Stück weit der Straßenradsport. Wenn Fahrer in beiden Disziplnen erfolgreich sind, werden sie oft vor die Wahl gestellt und wählen dann eher die Straße. Mathieu und Wout zeigen jetzt, dass man es auch gut kombinieren kann. Ich habe es auch gezeigt in der Vergangenheit. Vielleicht findet da in der Zukunft ein Umdenken statt.

Bei den Belgiern ist die Mentalität ganz anders. Da sagen die Jungs von klein auf: Ja, ich will Crossfahrer werden und nicht unbedingt Straßenfahrer. Zumindest ist es ist nicht so, dass sie den Cross-Sport links liegen lassen. Das sieht man jetzt auch an Wout und Mathieu. Sie fahren die größten Rennen der Welt auf der Straße, gewinnen diese teilweise und wollen trotzdem dem Cross-Sport nicht den Rücken kehren."

Sie starten am Wochenende für Deutschland. Deshalb wollen wir zum Schluss natürlich noch wissen: Was sind Ihre Ziele für die WM?

"Ich muss ehrlich sagen, ich habe wirklich eine sehr schlechte Saison hinter mir. Durch gesundheitliche Probleme hatte ich Formschwankungen und es war wirklich kein gutes Jahr für mich. Ich gehe also mit wenig Erwartungen an den Start. Meine besten WM-Ergebnisse, Top-Ten-Platzierung, die mir schon ein paar Mal gelungen sind, sind jetzt eher außer Reichweite. Trotzdem werde ich natürlich probieren, mein Bestes zu geben und bin dann vor allem auch da, um mit meiner Erfahrung die jüngeren Fahrer in der Nationalmannschaft zu begleiten. Ich hol für mich das Beste raus, probiere die Saison gut abzuschließen und werde dann versuchen, nächstes Jahr wieder anzugreifen."