Von links nach rechts: Sozialpädagogin Marie Schürings, Geschäftsführer/Stützpunktleiter TSV Bayer Leverkusen 04 Jörg Frischmann, Tanja Höfler und Leichtathletik-Trainerin Sara Grädtke bei der Übergabe der Petitions-Unterschriften.

Para-Breitensport Petition für Unterstützung von Sportprothesen übergeben

Stand: 17.01.2023 11:00 Uhr

Para-Breitensportler erhalten bei der Anschaffung von Sportprothesen keine Unterstützung der Krankenkassen. Der Behindertensportverband bezeichnet das als Ausgrenzung. Eine Petition fordert jetzt eine Änderung der Rechtslage.

Aufgeregt war sie. Aber auch mächtig stolz. "Das ist ein erster Erfolg", sagt Tanja Höfler, "und macht Mut, weiter zu kämpfen. Nicht nur für mich, auch für viele andere Betroffene." Die junge Para-Sportlerin hat auf der Plattform change.org mehr als 41.000 Unterschriften mit ihrer Petition gesammelt: "Kostenübernahme von Sportprothesen im Rahmen der Hilfsmittelversorgung." Nun durfte sie gemeinsam mit Mitstreitern die Petition vor dem Bundes-Gesundheitsministerium (BMG) an den zuständigen Referatsleiter für Hilfsmittel, Andreas Brandhorst, übergeben.

Nicht genug Unterschriften - Ministerium macht Ausnahme

Tanja Höfler, 24, aus Beilngries in Bayern, ist an der chronischen Schmerzkrankheit CRPS erkrankt, dem komplexen regionalen Schmerzsyndrom. Mittlerweile musste ihr das rechte Bein amputiert werden. Im Oktober hatte Sport inside über Höflers Fall berichtet - so wurde bekannt, was seit Jahren Praxis ist und der Deutsche Behindertensportverband (DBS) als Ausgrenzung bezeichnet: Behinderten Breitensportlern bezahlen die Krankenkassen keine Sportprothesen.

"Das ist unmenschlich, diskriminierend", sagt Tanja Höfler. Ihre emotionalen Worte im Internet und bei Sport inside sorgten nun auch für eine unerwartete Reaktion aus dem Ministerium von Karl Lauterbach. Höfler hat mit ihrer Petition das Quorum von 50.000 Unterschriften, die für eine Anhörung im Petitionsausschuss des Bundestages erforderlich sind, nicht erreicht.

Dennoch, so das BMG gegenüber Sport inside, beschäftige man sich mit solchen Petitionen, "wenn ein über Einzelfälle hinausgehendes Interesse vermutet wird". Referatsleiter Andreas Brandhorst nahm sich darum auch 45 Minuten Zeit. "Es gab keine Zusagen, aber Herr Brandhorst war sehr interessiert, ich habe viel loswerden können von unseren Problemen", so Höfler.

Krankenkassen berufen sich auf Rechtslage

Dass das Problem weit über Einzelfälle hinausgeht, hatten auch die WDR-Recherchen ergeben. Vielen Parasportlern ergeht es so. Die Krankenkassen argumentieren, die Rechtslage sei in solchen Fällen der Hilfsmittelversorgung eindeutig, dazu gäbe es ein Grundsatz-Urteil des Bundessozialgerichtsgerichts von 2013. Demnach müssten die Leistungen "ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein, die Förderung von Freizeitsport ist keine Aufgabe der Krankenkasse".

Das Bundesgesundheitsministerium argumentierte nun ähnlich, räumte aber ein, das seit 2013 einiges passiert sei. Die Stellungnahme gegenüber Sport inside lässt den Schluss zu, dass das BMG für Höfler und andere Betroffene eine Tür aufmacht, wonach die Krankenkassen künftig genauer hinschauen müssten. Das Bundesteilhabgesetz erlaube mittlerweile "Ausnahmen von diesem Rechtssatz. Insbesondere dann, wenn normale Laufprothesen keine sportliche Betätigung ermöglichen, ist ein Anspruch nicht ausgeschlossen".

Vorwurf der Verschleppung bei Kindern

Jörg Frischmann, Geschäftsführer Parasport bei Bayer Leverkusen, war bei der Unterschriften-Übergabe in Berlin mit dabei, ebenso wie Tanja Höflers Trainerin Sara Grädtke aus Leverkusen und Marie Schürings, eine Sozialpädagogin, die auch beinamputiert ist. "Ich denke, es ist ein erster Schritt für alle Beinamputierten, den Tanja hier gegangen ist", so Frischmann: "Wenn man sieht, wie mittlerweile die Krankenkassen sogar Anträge von betroffenen Kindern auf Sportprothesen ablehnen und diese oft sehr lange hinhalten, kann es so nicht weitergehen."

Eigentlich, so das BMG, dürfe es bei schulpflichtigen Kindern keine Weigerung geben, aber immer wieder berichten Betroffene von so langer Verschleppung durch die Krankenkassen - bis die Schulpflicht nicht mehr greife. Auch der Deutsche Behindertensportverband hat seine Position gegenüber Sport inside sehr klar gemacht. "Eine Sport-Prothese ist unverzichtbar, um richtig teilzunehmen. Und deshalb sage ich: Das muss anders werden. 55 Prozent der Menschen mit Behinderung machen keinen Sport", so DBS-Präsident Friedhelm Julius Beuchler: "Und deshalb heißt die Forderung: Sport-Prothesen müssen finanziert werden. Das ist eine Frage von Gerechtigkeit in dieser Gesellschaft."

Das BMG teilte unterdessen mit, dass derzeit "keine gesetzlichen Änderungen vorgesehen" seien, aber auch für behinderte Menschen gelte: "Die Ansicht, dass eine sportliche Betätigung positiven Einfluss auf das körperliche Wohlbefinden und den Gesundheitszustand hat, wird vom BMG geteilt." Auch solche Sätze werten Tanja Höfler und andere Betroffene schon als Teilerfolg.