Russen bei Olympia? Selenskyj - "Bach kann sich hier ansehen, dass Neutralität nicht existiert"
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat den Aufruf des IOC kritisiert, russische und belarusische Sportler bei internationalen Wettkämpfen als "neutrale Athleten" wieder starten zu lassen. Es sei unmöglich, "von der Haltung des IOC-Präsidenten nicht enttäuscht zu sein".
"Ich lade Herrn Bach nach Bachmut ein, dort kann er mit eigenen Augen sehen, dass Neutralität nicht existiert", verkündete der ukrainische Präsident in einem Videobeitrag bei Twitter: "Es ist offensichtlich, dass jedes neutrale Banner russischer Athleten mit Blut befleckt ist."
Thomas Bach und das von ihm geführte IOC hatten zuvor verkündet, eine Rückkehr russischer Sportlerinnen und Sportler in den Weltsport ermöglichen zu wollen. Die Bedingungen: Sie dürften nur als "neutrale Athleten" starten und den Krieg gegen die Ukraine "nicht aktiv unterstützen".
DOSB unterstützt Ansinnen des IOC, Athleten Deutschland nicht
Auch der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) unterstützt das Ansinnen des IOC, verlangt aber "strenge Voraussetzungen", wie der Verband am Donnerstag dem Sport-Informationsdienst mitteilte.
Maximilian Klein, Direktor bei der unabhängigen deutschen Athletenvertretung Athleten Deutschland, widerspricht dem. "Wir sind an diesem Punkt noch nicht angekommen", sagte Klein am Freitag im ZDF. Der Plan komme "zum falschen Zeitpunkt. Russland führt den brutalen Angriffskrieg fort und intensiviert seine Angriffe auf die ukrainische Zivilbevölkerung", sagte Klein: "Daher können wir jetzt nicht darüber reden, russische Athletinnen und Athleten wieder zuzulassen."
Putin nutzte 2022 auch "neutrale Athleten" zur Propaganda
Sport ist ein Propagandainstrument von Präsident Wladimir Putin. 2014 fanden in Sotschi die Olympischen Winterspiele statt, 2018 wurde die Fußball-WM der Männer in Russland ausgetragen, trotz der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim.
"Neutrale Athleten" musste Russland wegen des Dopingskandals auch zu den Winterspielen nach Peking 2022 schicken. Einige von ihnen zeigten sich später wenig neutral mit ihren Medaillen bei einer Propaganda-Veranstaltung Putins im Moskauer Luschnikistadion, einige mit dem Kriegssymbol "Z" auf der Jacke.
Es sei unmöglich, "von der Haltung des IOC-Präsidenten nicht enttäuscht zu sein", sagte Selenskyj. Er habe "mehr als einmal" mit Bach gesprochen und nie erkennen können, "wie er den Sport vor Kriegspropaganda schützen will, wenn er russische Athleten zu internationalen Wettkämpfen zulässt". Der ukrainische Sportminister Wadym Hutzajt schrieb bei Facebook, dass er gegebenenfalls einen Olympia-Boykott der Ukraine "nicht ausschließe".
Bachs Argument: Niemand darf wegen seines Passes ausgeschlossen werden
Bach bekräftigte seine Haltung am Freitag (27.01.2023) am Rande der Rodel-WM in Oberhof. Es entspreche "nicht den Werten und der Mission der Olympischen Charta, Athleten aufgrund ihres Passes auszuschließen", sagte Bach.
Er kenne aber auch die Auffassung der ukrainischen Seite. Diese wolle nicht nur Russland als Staat isolieren, "sondern man erstrebt die totale Isolierung aller Russen, egal welche Meinung jemand zu dem Krieg hat", sagte Bach. "Das ist nicht in Einklang zu bringen mit der Olympischen Charta", die Diskriminierung untersage.
ARD-Experte: "Sport weicht Sanktionen als erster gesellschaftlicher Bereich auf"
"Die Zeit für das IOC drängt natürlich", sagt ARD-Experte Robert Kempe. "Im Jahr 2023 finden die Qualifikationswettkämpfe in den Sportverbänden statt. Deswegen ist Eile geboten." Die Sommerspiele in Paris sind 2024 geplant.
Der Sport habe sich mit einer Reaktion auf die russische Aggression sehr schwer getan, so Kempe: "Jetzt ist der Sport wohl der erste gesellschaftliche Bereich, der die Sanktionen aufweichen will." Russland war am 24. Februar 2022 - drei Tage nach der Abschlussfeier der Winterspiele in Peking - in der Ukraine einmarschiert. Zahlreiche ukrainische Sportler wurden seitdem getötet oder ihrer Trainingsmöglichkeiten und Lebensgrundlagen beraubt.
Leichtathletik-Weltverband hält zunächst an Ausschluss fest
Der Leichtathletik-Weltverband sprach sich gegen eine Rückkehr der Athleten aus Russland und Belarus aus. "Der Standpunkt von World Athletics ist, dass russische und belarusische Athleten weiterhin von internationalen Wettkämpfen ausgeschlossen werden", teilte World Athletics am Freitag auf Anfrage der Deutschen Presseagentur mit.
World Athletics will nun auf der Exekutivsitzung vom 21. bis 23. März unter der Leitung von Präsident Sebastian Coe auf Grundlage eines Berichts der unabhängigen Russland-Taskforce zunächst entscheiden, ob die Doping-bedingte Sperre von Russland aufgehoben werden könne, hieß es. "Wenn der Rat dies bejaht, wird er sich mit dem Ausschluss russischer und belarusischer Athleten und Funktionäre nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine befassen", teilte der Weltverband mit.