Verstappen auf der Pole Position Formel 1 in Brasilien - Kultstätte ohne eigene Helden
Brasilien ist ein Formel-1-Land: Doch auch in diesem Jahr wird beim Grand Prix in Interlagos kein heimischer Fahrer am Start sein. Von der Pole Position startet Max Verstappen.
Die Fahrer lieben die Strecke, die Fans lieben die Fahrer, das Autódromo José Carlos Pace atmet Formel-1-Historie. Ein Ort wie geschaffen für große Dramen und Triumphe. 800 Meter über dem Meeresspiegel, inmitten eines lebhaften Wohngebietes.
São Paulo enttäuscht praktisch nie, neben dem packenden Kurs ist vor allem auf Spektakel dank des Wetters Verlass. Nur eines, das fehlt den heimischen Fans: ein eigenes Idol. Auch beim Grand Prix am Sonntag (05.11.2023, ab 18 Uhr im Live-Ticker bei sportschau.de) in Interlagos wird kein Fahrer aus Brasilien an den Start gehen. Von der Pole Position startet der niederländische Weltmeister Max Verstappen, der das Qualifying für sich entschied.
"Motorsport ist dominiert von Europa"
Ein Land, das Fahrer wie Ayrton Senna hervorbrachte oder den ebenfalls dreimaligen Weltmeister Nelson Piquet, steht ohne Stammfahrer da. Immerhin wurde bei Aston Martin termingerecht zum PS-Karneval von Interlagos die Vertragsverlängerung mit Felipe Drugovich als Test- und Ersatzpilot fürs kommende Jahr bekannt gegeben.
Der 23 Jahre alte ehemalige Formel-2-Champion weiß aber auch, warum es für Brasilianer so schwer ist. "Der Motorsport ist dominiert von Europa", betonte er. Für einen Nachwuchspiloten aus Südamerika heißt das: "Du musst um die Welt reisen, du siehst deine Familie nicht oft. Es ist ziemlich schwer, wenn du nicht aus Europa kommst."
Hoffnungsträger Bortoleto
Dass zuletzt der 19 Jahre alte Gabriel Bortoleto den Titel in der Formel 3 gewann, nährte die Hoffnungen auf ein brasilianisches Comeback auch in der Startaufstellung beim Heimrennen. Der bisher letzte, der dort auch in São Paulo stand, war Felipe Massa. Ähnlich wie bei seinem Landsmann Rubens Barrichello reichte es bei Massa in der Formel-1-Biographie eher nur zu Helferdiensten. Der große Traum vom Titel blieb unerfüllt.
Allerdings nicht, wenn es nach dem Willen des 42-Jährigen und seinen Anwälten geht. Sie wollen wegen des Skandalrennens von Singapur 2008 die WM-Wertung vor 15 Jahren anfechten und warten vor dem möglichen Gang vor ein Zivilgericht noch auf eine Reaktion des Formel-1-Managements und des Internationalen Automobilverbandes.
Massa will WM-Wertung 2008 anfechten
Bei dem Rennen damals hatte es einen inszenierten Unfall gegeben, Massa war durch den Rennverlauf und einen schweren Boxenstopp-Patzer letztlich punktlos geblieben. Und beim Finale auf seiner Heim- und Hausstrecke reichte auch der Sieg nicht. Lewis Hamilton bescherte mit seinem Überholmanöver auf den letzten Metern gegen den damaligen Toyota-Piloten Timo Glock jenem Massa, dessen Familie in der Ferrari-Box und den brasilianischen Fans eine brachiale Emotionskollision.
"Das war damals schon verrückt, ich habe mich damals wie der Staatsfeind Nummer 1 gefühlt", erinnerte sich Hamilton nun an das Geschehen von damals. Angesprochen auf Massas Versuch, nachträglich die WM zu gewinnen, schwiegen die Fahrer eher, Hamilton entgegnete lediglich: "Ich schenke dem keine Beachtung."
Nummer zwei hinter Fußball
Selbst in den brasilianischen Zeitungen spielte der WM-Zurückeroberungszug von Massa, der wohl auch nicht zum Grand Prix an die Strecke kommen wird, keine Rolle. Stattdessen beherrschte das bevorstehende Finale der Copa Libertadores am Samstag in Rio zwischen Fluminense und Argentiniens Kult-Club Boca Juniors eher die Sport-Schlagzeilen. Fußball mit heimischer Beteiligung schlägt Formel 1 ohne Stammfahrer.
Die, die nun für die Fans zu den Idolen werden, schwärmten von Land und Leuten. Wie vor allem auch Hamilton. Immerhin ist der 38 Jahre alte Brite seit einem Jahr sogar Ehrenbürger von Brasilien. Und am Donnerstag erschien er in einer Art Brasilien- und Ayrton-Senna-Tribut-Outfit an der Strecke: "Er war so ein großer Held für viele von uns."
Senna für immer ein Held
Acht Versuche hatte Senna benötigt, um sein Heimrennen zu gewinnen. 1991 war es so weit. Schwer gezeichnet und komplett entkräftet, nachdem er die letzten Runden wegen Getriebeproblemen im sechsten Gang hatte fahren müssen, brauchte er Hilfe, um den Pokal nach oben zu stemmen. Am 1. Mai 1994 stürzte Sennas Unfalltod in Imola dann das ganze Land in tiefe Trauer.
Sein Grab auf dem Cemitério Parque Morumby bleibt auch fast 30 Jahre später noch eine Pilgerstätte für die Fans in dem Formel-1-verrückten Land, das selbst auch wieder Formel-1-Geschichte schreiben will.