Spitzensportreform Verteilung von Fördergeldern - wo die Weltmeister Letzte sind
Deutschlands Basketball-Männer sind Weltmeister, aber die Potenzialanalyse PotAS führt die Sportart auf dem letzten Platz. Darüber wird viel diskutiert - und das nicht immer sachlich. Ein Überblick.
Vor einiger Zeit, als Deutschlands Basketball-Männer gerade zum ersten Mal Weltmeister geworden waren, hat sich der Präsident des Deutschen Basketball Bundes (DBB) zu Wort gemeldet. Ingo Weiss war verärgert, natürlich ging es ihm nicht um das Auftreten der Basketballer bei der WM. Er ärgerte sich über die Verteilung von Fördergeldern im Spitzensport.
"Für mich ist es ein Unding, dass wir PotAS haben. Eine Institution, die dem deutschen Basketball kein Potenzial bescheinigt", sagte Weiss der Deutschen Presse-Agentur. Er verwies auf den WM-Titel, auf Bronze bei der EM der Männer, auf Erfolge bei den Frauen und im Nachwuchs. Dann schlug er vor, kein Geld mehr in PotAS zu investieren, sondern lieber in die Leichtathletik.
PotAS-Bericht: Letzter Platz fürs Basketball
Das Potenzialanalysesystem PotAS ist Teil der Spitzensportreform in Deutschland. Es soll die Sportarten identifizieren, die die größte Aussicht auf Medaillen haben bei Europa- und Weltmeisterschaften, vor allem aber bei Olympischen Spielen. Die Bewertung erfolgt auf Grundlage dreier Säulen: Potenzial einer Sportart, Strukturen im Verband, Erfolge vor und bei Olympia. Wie hoch die Fördergelder sind, die Sportarten vom Bund erhalten, hängt wesentlich vom Abschneiden bei PotAS ab.
Im aktuellen PotAS-Bericht zu den Jahren 2019-2021 landete das Basketball auf dem letzten Platz, Rang eins ging an die Leichtathletik. So viel zur Theorie. In der Praxis sahen die Ergebnisse anders aus: Während die Basketball-Männer gerade Geschichte geschrieben haben, blieb die deutsche Leichtathletik bei der WM in London ohne Medaille.
Es war diese Diskrepanz, über die sich der DBB-Präsident Weiss in den Tagen nach dem gewonnenen WM-Finale empörte. Neu war seine Wut nicht, er hatte die Ergebnisse des PotAS-Berichts schon nach der Veröffentlichung im Oktober 2021 bemängelt. Und mit seiner Kritik war er nicht alleine. Diskus-Olympiasieger Robert Harting forderte das Aus für PotAS. Andreas Michelmann, der Präsident des Deutschen Handballbundes (DHB), verglich das System im Deutschlandfunk mit einem "Blick in die Glaskugel."
Wenn der Basketball-Bund eine Mail schreibt
"Sportlichen Erfolg wird man nie mit absoluter Sicherheit prognostizieren können, man kann sich nur einem Optimum annähern", sagt Urs Granacher, Professor für Trainingswissenschaft an der Universität Freiburg und Vorsitzender der 2017 gegründeten PotAS-Kommission, im Gespräch mit Sport inside. Natürlich sei da eine Diskrepanz zu erkennen zwischen dem sportlichen Abschneiden von Basketball und Leichtathletik und den Ergebnissen des PotAS-Berichts. Aber sie lasse sich erklären. Und das mit dem Basketball sei eben eine besondere Geschichte.
Granacher erzählt, wie sie bei der PotAS-Kommission irgendwann eine Mail vom DBB erhalten hätten. Darin habe der Verband darum gebeten, für den aktuellen Bericht nicht nur das Abschneiden von Frauen- und Männer-Nationalmannschaft zu bewerten, sondern auch das der sogenannten 3x3-Formate. Der DBB hat diese Schilderung auf Anfrage von Sport inside bestätigt.
Der Kommissions-Vorsitzende Granacher sagt: "Für die Einstufung des gesamten Verbandes war die Berücksichtigung der beiden in 2020 neuen olympischen Disziplinen nicht förderlich." Und tatsächlich zeigt der Bericht: Die Basketball-Männer alleine hätten besser abgeschnitten. Am Ende aber geht es um die Sportart Basketball, und die besteht nicht nur aus der Nationalmannschaft der Männer.
Sportwissenschaftler Güllich: "Zum Scheitern verurteilt"
Der Sportwissenschaftler Arne Güllich von der Technischen Universität in Rheinland-Pfalz beschäftigt sich in seiner Arbeit schon lange mit der Sportförderung in Deutschland. Der deutsche Spitzensport, sagt Güllich im Gespräch mit Sport inside, sei seit vielen Jahren ununterbrochen dabei, sich zu reformieren. Nur seien das oft Reformen, die sich auf das Administrative beschränkten. "Die Anlage der Spitzensportförderung selbst wird nicht infrage gestellt."
PotAS sei dafür ein aktuelles Beispiel, nicht nur, weil die Ergebnisse des letzten Berichts nicht zur sportlichen Realität passen. Güllich sieht einen Fehler im System. "Die organisationalen Bedingungen, die im Basketball Erfolg langfristig fördern, sind ganz andere als etwa bei der Rhythmischen Sportgymnastik oder im Skispringen", sagt er. "Ziel von PotAS aber ist, ein Schema zu finden, das sich über alle Sportarten legen lässt. Das ist zum Scheitern verurteilt."
PotAS bleibt - und wird reformiert
Mitte September haben der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) und das Innenministerium neue "Maßnahmen für die künftige Spitzensportförderung in Deutschland" vorgestellt. PotAS, sagte Innenministerin Nancy Faeser von der SPD, werde nicht abgeschafft, sondern weiterentwickelt und in eine sogenannte unabhängige Sportagentur integriert, die 2025 ihre Arbeit aufnehmen soll. Man werde PotAS "drastisch entbürokratisieren", etwa durch die Abschaffung des Bewertungskriteriums "Strukturen". Dieses Kriterium galt Kritikern als besonders bürokratisch.
Johannes Herber, der Sprecher von Athleten Deutschland, findet es gut, dass PotAS auch in Zukunft existieren soll. Es brauche eben eine Grundlage, um die Wahrscheinlichkeit von Erfolg zu definieren, sagte er dem Deutschlandfunk. Teile der Kritik, die es zuletzt am System gegeben habe, seien dann auch "etwas platt".
Ingo Weiss wird zur Zukunft von PotAS auch eine Meinung haben, bislang hat er sie öffentlich nicht geäußert. Auf eine Anfrage von Sport inside reagierte er nicht. Ende 2024 wird ein neuer PotAS-Bericht vorgestellt. Basketball wird eher nicht noch einmal den letzten Platz belegen. Und das dürfte dann auch dem Präsidenten Weiss gefallen.