Hitze bei der WM in Budapest Die Leichtathletik in Zeiten des Klimawandels
Der morgendliche Blick auf die Wetter-App verheißt in diesen Tagen in Budapest nichts Gutes: Wetterwarnung. Extrem hohe Temperaturen. Dazu die Luftfeuchtigkeit. Eine Maximalbelastung für den Organismus, besonders in den Ausdauer-Disziplinen. Die Frage nach dem Umgang damit ist auch eine Frage nach der Zukunft. Weltverbands-Präsident Sebastian Coe sieht Handlungsbedarf.
Christopher Linke ist ein alter Hase in seinem Geschäft. Nach mittlerweile sieben WM-Teilnahmen weiß er genau, worauf es ankommt. Auf Hitzeanpassung und Hitze-Management zum Beispiel. Und so hatte der Vize-Europameister aus Potsdam gleich mehrere Kühlschals im Gepäck, als er am Donnerstag (24.08.2023) zu seinem Wettkampf über 35 km Gehen antrat.
Ohne die Eigenkreation mit Eisfächern wäre der Routinier auf der langen Distanz mutmaßlich gescheitert. "Ich wäre definitiv nicht so schnell gegangen. Ich wäre überhitzt und womöglich gar nicht ins Ziel gekommen", sagte der 34-Jährige in der Sportschau. "Das war eins der härtesten Rennen in meiner Karriere."
Schon am Morgen glüht des Asphalt
Vielleicht sogar das härteste. Schon um 8.30 Uhr kletterten die Temperaturen in der ungarischen Hauptstadt auf 30 Grad, glühte der Asphalt. Trotz der Strapazen ("Die letzten sieben, acht Kilometer waren absolut grenzwertig") sicherte sich Linke wie schon zum Auftakt über 20 km auch über 35 km den fünften Platz mit deutschem Rekord. Sein Teamkollege Carl Dohmann, ohnehin kein Freund von Hitzerennen, musste dagegen wegen "Problemen mit der Schwüle und mit dem Kreislauf" aussteigen.
Das Problem ist nicht nur die Hitze, sondern vor allem die Luftfeuchtigkeit. Eine Extrembelastung für den Organismus, besonders Ausdauersportarten bekommen das zu spüren. Im WM-Wettkampfplan wurden deshalb schon Anpassungen vorgenommen, die für Mittwoch (23.08.2023) angesetzten 5.000-m-Vorläufe der Frauen vom Mittag in den Abend verlegt.
Für die Marathonläufe der Männer und der Frauen am Wochenende war von vornherein wie beim Gehen als Startzeit jeweils 7 Uhr vorgesehen. Die einzige deutsche Starterin Melat Kejeta blickt dennoch sorgenvoll auf ihren Wettkampf am Samstag. Schließlich schlägt der aus Äthiopien stammenden Läuferin allzu große Hitze in der Kombination mit ohnehin schon fordernden 42,195 km zuweilen auf den Magen. Ganz schnelle Zeiten sind in Anbetracht der Wetterlage wohl ohnehin nicht möglich.
Zehnkämpfer Kaul: Möglichst viel Schatten suchen
Seit Samstag liegen die Temperaturen in Budapest jeden Tag weit über 30 Grad, auch die Zehnkämpfer machen sich über ihren zweitägigen Wettkampf so ihre Gedanken. "Bei uns wird ganz wichtig sein, möglichst viel Schatten zu suchen", sagte Europameister Niklas Kaul. "Vor allem Stabhochsprung wird in der prallen Mittagssonne sein. Da muss man sehen, dass man möglichst viel kühlt und genug Elektrolyte und Kohlenhydrate zuführt." Der Weltmeister von 2019 geht davon aus, dass auch das Hitze-Management im schlauchenden Mehrkampf mitentscheidend sein wird.
Hitze erneut ein großes Thema
Die Hitze ist vier Jahre nach der WM in Katar erneut ein großes Thema. Die Sonne knallt erbarmungslos auf die Sportler, Sprinterin Gina Lückenkemper postete nach ihrem Vorlauf ein Bild, das ihre Hände zeigte. Sie hatte sich beim Warten im Startblock auf der heißen Laufbahn verbrannt. Geherin Saskia Feige kam abgeschlagen als 30. ins Ziel und musste kurz darauf wegen Kreislaufproblemen medizinisch behandelt werden.
Der Klimawandel und die Frage nach der Zukunft
Die Frage nach dem Umgang mit den Bedingungen ist indes auch eine Frage nach der Zukunft. Budapest hat zunehmend mit dem Klima zu kämpfen, es gibt nur wenige Grünflächen, die der steigenden Hitze entgegenwirken können. Wie Metropolen ihre Bewohner im Zuge des Klimawandels schützen können, ist längst weltweit ein Thema.
Coe: Wettkampfkalender könnte sich verändern
Auch Sebastian Coe macht sich große Gedanken, nach Ansicht des Weltverbands-Präsidenten werden die hohen Temperaturen im Zuge der globalen Erwärmung auch den internationalen Wettkampfkalender verändern. So könnten einige der Ausdauerdisziplinen möglicherweise von der WM in den Sommermonaten entkoppelt und in kühlere Jahreszeiten und an andere Austragungsorte verlegt werden, um die Sicherheit und das Wohlergehen der Athleten nicht zu gefährden. "Das muss unsere Priorität sein."
Es ist sehr traurig, dass wir in einer Welt leben, von der die Politiker wahrscheinlich schon vor 20 Jahren hätten wissen müssen, dass sie sich entwickelt hat.
Es werde auf den Sport ankommen, sagte der 66-Jährige im ARD-Interview und kritisierte das Vorgehen der Politik: "Wir werden den Klimawandel nicht lösen. Die Regierungen werden dazu nicht in der Lage sein. Sie haben es auf einzigartige Weise versäumt, das Problem wirklich anzugehen und entfernen sich nun sogar von einigen Zielen. Das wird den globalen Sport dazu zwingen, seinen Kalender zu überdenken."
Wird es in Tokio 2025 besser?
Bei der WM 2019 in Doha war der Verband für die Ausrichtung der Marathonläufe kritisiert worden, die einige Starterinnen trotz des nächtlichen Termins vor erhebliche Probleme stellte. Die nächsten Weltmeisterschaften finden vom 13. bis 21. September 2025 in Tokio statt, wo während der Olympischen Spiele vor zwei Jahren ebenfalls große Hitze herrschte - allerdings im Juli und August. "Die Planung der WM 2025 für Mitte September in Tokio bedeutet hoffentlich, dass hohe Temperaturen keine so große Bedrohung darstellen", so Coe.
"Werden dafür sorgen, dass das in Tokio klappt"
Aber sicher ist das natürlich nicht. Die Marathon- und Gehwettbewerbe waren bei Olympia 800 Kilometer nördlich nach Sapporo verlegt worden, um die Ausdauerathleten zu schützen, dort war es allerdings nicht kühler. Kurzfristig wurden die Rennen um eine Stunde auf 6 Uhr vorverlegt. Es gebe keine Pläne, Veranstaltungen außerhalb der Stadt zu verlegen, sagte Coe mit Blick auf die kommende WM den japanischen "Kyodo News". "Wir werden dafür sorgen, dass das in Tokio klappt."
Coe verwies im ARD-Gespräch auf die ungewöhnliche Hitze auch in Budapest: "Wir müssen uns Fragen stellen, wie zukünftige Austragungsstädte aussehen können. Wir haben in der Vergangenheit als Leichtathletik-Verband gezeigt, dass wir mutige und schwierige Entscheidungen treffen können. Möglicherweise müssen wir im Hinblick auf den Klimawandel dasselbe tun."