Trainer aus Hagen verurteilt "Seelen zerstört" - Sexueller Missbrauch im Judo
Das Landgericht Hagen hat einen Judotrainer aus dem Märkischen Kreis wegen schweren sexuellen Missbrauchs, Körperverletzung und Herstellens von Missbrauchsdarstellungen zu mehr als neun Jahren Haft verurteilt.
Landgericht Hagen, Saal 201, erste Große Jugendstrafkammer. Es ist der sechste und letzte Verhandlungstag in einem Verfahren gegen einen Judotrainer aus dem Märkischen Kreis. Zahlreiche Eltern sind gekommen. Der Mann hat ihren Kindern, insgesamt 23 Jungen, über einen Tatzeitraum von zwei Jahrzehnten zum Teil schwere sexuelle Gewalt angetan.
"Sie haben Seelen zerstört", stellt Staatsanwältin Dorothée Jacobi in ihrem Plädoyer fest, als sie die Folgen der Taten beschreibt. Ursprünglich hatte sie mehr als 1.200 Straftaten angeklagt. Unter anderem wegen Verjährung oder weil der 34-jährige Beschuldigte zu Beginn selbst noch ein Jugendlicher war, wurden zahlreiche eingestellt.
Es blieben 685 Straftaten. Eine solche Anzahl von Fällen für die sich ein Sporttrainer vor einem deutschen Gericht verantworten muss, hat es bisher - soweit bekannt - noch nicht gegeben. Verübt an 23 Jungen, die jüngsten zwischen sechs und acht Jahre alt, wie Martin Düerkop erklärt. Der Rechtsanwalt vertritt acht der 23 Betroffenen und ihre Familien als Nebenkläger.
Gezielt in Familien eingeschlichen
"Der Umfang des stattgefundenen Übels war enorm" sagt der Vorsitzende Richter Jörg Weber-Schmitz. Zuvor hatte Staatsanwältin Jacobi in ihrem Plädoyer noch einmal eindrücklich die Schwere der Taten vor Augen geführt.
Der Angeklagte sei "ein Meister der Tarnung und Manipulation" gewesen. Er habe den Judosport betrieben, um Kinder kennenzulernen. Zu Übergriffen sei es unter anderem beim Bodenkampf gekommen, in der Umkleide, beim "Nacktwiegen". Während der Übungseinheiten habe er bestimmte Kinder bewusst gelobt und sie dann zum Begabtentraining eingeladen. Die Kinder seien stolz gewesen, die Eltern ebenfalls.
So habe der Beschuldigte sich gezielt in Familien eingeschlichen, "eingezeckt". Die Familien hätten ihn im Laufe der Zeit als Freund betrachtet, ihn sogar in Erziehungsangelegenheiten um Rat gefragt.
Studie: Zwei Drittel haben im Verein schon Gewalt erlebt
Eine Täterstrategie, die sich schon in vielen anderen Fällen sexualisierter Gewalt im Sport gezeigt hat. Das haben viele Gerichtsverfahren mit Sportbezug zuvor bereits deutlich gemacht. Immer wieder schildern Betroffene das Abhängigkeitsverhältnis, in das der Täter sie hineinmanipuliert hat.
Dabei geht es nicht immer ausschließlich um sexualisierte Gewalt. Auch seelische und körperliche Gewalt sind ein Thema, nicht nur im Leistungs-, sondern auch im Breitensport. Das hat eine repräsentative Studie unter Vereinsmitgliedern gezeigt. Zwei Drittel von ihnen haben in ihrem Verein schon einmal eine Form dieser Gewalt erlebt.
Betroffene beschreiben Täter als großen Bruder
Das durch den Täter erschlichene Vertrauen macht es noch schwieriger für die Kinder, ihren Eltern zu sagen, was geschehen ist. So war es auch in diesem Fall. In ihren Aussagen bei der Polizei hätten sie den Judolehrer als "großen Bruder" beschrieben.
"Er hat den Kindern deutlich gemacht, dass er lange ins Gefängnis kommt, wenn sie etwas sagen", beschreibt Anwalt Düerkop das Vorgehen des Angeklagten und nennt es "perfide". Selbst als sich einer der Jungen seiner Mutter anvertraut hätte, habe er geweint, weil er den Täter immer noch mag. Trotz allem, was passiert sei, ergänzt Staatsanwältin Jacobi.
Zu seinen Gunsten wertet sie das Geständnis des Angeklagten. Dadurch habe der Mann allen Kindern die erneute Aussage vor Gericht erspart. Im Laufe des Verfahrens hätten weitere Betroffene den Mut gefunden, sich bei den Behörden zu melden und Anzeige erstattet. Jacobi fordert zwölf Jahre Haft, Nebenklageanwalt Düerkop schließt sich dieser Forderung an.
Die beiden Anwälte des Beschuldigten bestätigen, dass ihr Mandant schweren sexuellen Missbrauch begangen hat, weisen viele der im Plädoyer genannten Vorwürfe aber zurück und fordern eine Haftstrafe von sieben Jahren.
"Schuld ist der Angeklagte"
Am Ende verurteilt der Vorsitzende Richter Jörg Weber-Schmitz den Judotrainer zu neun Jahren und acht Monaten Gefängnis. Es ist eines der höchsten bisher bekannt gewordenen UrteiIe im Sport. "Schuld ist hier allein der Angeklagte", richtet Weber-Schmitz sich noch mal an die betroffenen Kinder und ihre Eltern.
Die Eltern hätten das Urteil mit einer gewissen Genugtuung aufgenommen, so Nebenklageanwalt Düerkop, aber "es spiegelt das Leid der Vielzahl der betroffenen Kinder nicht wider". Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.