WADA - Verlängerung der Amtszeiten? Die Hinterzimmer-Deals der Anti-Doping-Kämpfer
Die WADA plant einem internen Dokument zufolge, die Amtszeiten der Führungsspitze von sechs auf neun Jahre zu verlängern - ein Plan, der potenziell große Folgen für den Kampf um sauberen Sport hat.
Der Vorgang ist irgendwie typisch für die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA). Er bestätigt die Vorurteile aller Kritiker, die ihr Intransparenz und einen Hang zu Hinterzimmer-Deals vorwerfen. Getarnt ist das brisante interne Dokument vom 27. März mit der harmlosen Bezeichnung "Diskussionspapier zu den Amtszeiten und Wahlen des WADA-Präsidenten und Vize-Präsidenten". Das Papier, das der ARD-Dopingredaktion exklusiv vorliegt und das die Macht des Präsidenten ausweiten soll, soll offenbar vorerst nicht an die Öffentlichkeit geraten.
Wohl aus gutem Grunde: "Es stellt sich die Frage, ob der Präsident und der Vizepräsident angesichts der jüngsten Governance-Reformen und der nun für das ExCo (Exekutiv-Komitee, Anm. d. Red.) und die Board-Mitglieder festgelegten Neun-Jahres-Grenze anders behandelt werden und bei einer Höchstdauer von sechs Jahren bleiben sollten", heißt es darin, "oder ob ihre Amtszeiten auf eine Höchstdauer von neun Jahren ausgedehnt werden sollten, um eine Angleichung an die ExCo- und Board-Mitglieder zu erreichen."
"Schoßhündchen des IOC"
Womöglich ist auch kein Zufall, dass diese Hinterzimmer-Initiative nach dem Motto "aus sechs mach neun" ausgerechnet in die Amtszeit des Präsidenten Witold Banka fällt. In seiner im vergangenen Dezember zu Ende gegangenen ersten Dienstperiode von drei Jahren fiel der frühere polnische Sportminister allenfalls dadurch auf, dass er in offenen Fragerunden, in denen er Antworten nicht nur vom Blatt ablesen konnte, mindestens uninspiriert, eher aber uninformiert wirkte.
Kaum ein Jahr im Amt, hatte Banka sich mit einer Frontaloffensive auseinandersetzen müssen. Unter anderem mahnten Ende 2020 Athleten Reformen und mehr Mitsprache an. Medien fassten die Leistung der für Gerechtigkeit im weltweiten Dopingkampf zuständigen Agentur mit wenig schmeichelhaften Schlagworten zusammen: "Untätig, abhängig, überfordert" (Deutschlandfunk). Und der Chef der amerikanischen Anti-Doping-Agentur (USADA), Travis Tygart, lästerte gar in der ZDF-"Sportreportage": "Die WADA ist leider zum Schoßhündchen des Internationalen Olympischen Komitees geworden."
Und was sagte WADA-Präsident Banka? Forderungen, Repräsentanten des Sports und IOC-Mitglieder aus den Gremien zu entfernen, würden die WADA-Strukturen untergraben. Aber man werde "intensiv an Transparenz und an Reformen" arbeiten. Sein Verständnis von Transparenz lässt sich dem geheimen Papier entnehmen: Hinter verschlossenen Türen sollen Macht und Einfluss des WADA-Präsidenten mit einer Amtszeitverlängerung gesichert werden.
"Sechs Jahre sind genug, neun Jahre wären zu lang", sagt der Heidelberger Sportrechtler Michael Lehner, Chef des deutschen Doping-Opfer-Hilfevereins, der ARD-Dopingredaktion: "Das ist angelehnt an die Amtszeiten im IOC, dort kann der Präsident für insgesamt zwölf Jahre gewählt werden. Auch das ist zu lang."
"Da war nie jemand, der irgendwas groß bewegt hätte"
Seit 1999 hat die WADA nun den vierten Präsidenten. Das Amt wird abwechselnd von den beiden 50-Prozent-Finanziers der WADA, dem Internationalen Olympischen Komitee und den Regierungen der Welt besetzt. Unter diesem System, so die Hoffnung, würde keine der beiden Seiten eine zu große Dominanz erlangen.
Doch seit dem Gründungschef Richard Pound aus Kanada ist auf dem Posten niemand mehr sonderlich positiv in Erscheinung getreten – weder der frühere australische Politiker John Fahey, noch der schottische Olympier Craig Reedie oder der derzeit amtierende Banka. "Niemand von ihnen war sonderlich kreativ. Manchmal habe ich den Eindruck, das ist ja ein Posten, der irgendwie vergeben wird. Da war nie jemand, der irgendwas groß bewegt hätte", sagt Lehner, seit Jahrzehnten ein Kenner der sportpolitischen Szene.
Auch die von den Staaten ausgesuchten WADA-Anführer, die unabhängiger sein müssten, weil sie nicht aus dem organisierten Sport kommen, haben Lehner enttäuscht. Seine Erklärung dafür ist simpel: "Faulheit, fehlendes Interesse, das Amt ist nicht so wichtig, man muss das ganz einfach runterbrechen."
100.000 Schweizer Franken jährlich
Dass die Initiative der Mandatsverlängerung auf Gegenwind treffen könnte, haben die Diskussionspapier-Autoren vorausgeahnt. Eine vorgeschlagene Lösung, so das Papier, wäre die Beibehaltung eines Systems mit zwei Amtszeiten, aber "mit einer längeren Gesamtzahl von Jahren für die erste Amtszeit", bestehend aus sechs Jahren für die erste und drei Jahren für die zweite. Im Dokument wird hinzugefügt: "Wenn keine Bereitschaft besteht, die Gesamtzahl der Mandate des Präsidenten und des Vizepräsidenten zu verlängern, könnte ein einziges Mandat von sechs Jahren eine weitere Option sein."
"Abkühlzeit"
Im vergangenen Jahr in Kraft getretenen Reformen sehen vor, dass ein Kandidat eine zwölfmonatige "Abkühlzeit", eine Art Wartejahr, einhalten muss, bevor er sein Amt antritt. In dem Papier wird argumentiert, dass dies zusammen mit der dreijährigen Amtszeit bedeutet, dass ein gewählter Präsident "fast ein Jahr nach seinem Amtsantritt erneut Wahlkampf machen muss, um zwei Jahre nach seinem Amtsantritt an der Wiederwahl teilzunehmen". Dies sei "höchst unproduktiv für die Organisation und gibt dem neugewählten Präsidenten nicht genügend Zeit, sinnvolle Ziele zu erreichen, bevor er wieder Wahlkampf machen muss".
Theoretisch mag das Argument stimmen, nur geht es an der Praxis vorbei: Die vergangenen Präsidenten, darunter auch der derzeitige Vorsitzende Witold Banka, hatten für ihre zweite Amtszeit keine Gegenkandidaten und wurden einstimmig im Amt bestätigt. Im Umkehrschluss heißt das: Künftig soll auch ein wenig überzeugender Präsident mindestens sechs Jahre im Amt verbleiben dürfen.
Das Unterfangen ist auch international umstritten. "Unsere Meinung zu den Wahlperioden ist aufgrund der Grundsätze der guten Unternehmensführung, dass sechs oder neun Jahre zu lang sind. Wir würden also immer eine kürzere Zeitspanne unterstützen. Zum Beispiel drei Jahre", sagt Kim Højgaard Ravn, Chef der dänischen Antidoping-Agentur, der ARD-Dopingredaktion, "die Gefahr besteht sonst darin, dass man für seine Arbeit keine Rechenschaft ablegen muss."
Banka und seine Vizepräsidentin, das ehemalige chinesische IOC-Mitglied Yang Yang, unterscheiden sich in ihren Rollen ohnehin vom ehrenamtlichen Status aller anderen gewählten Funktionäre: Sie erhalten eine feste jährliche Entschädigung von 100.000 bzw. 50.000 Schweizer Franken (umgerechnet etwa 102.000 bzw. 51.000 Euro). Und: Es ist nicht klar, ob Banka und Yang sogar für eine dritte Amtszeit kandidieren können, wenn der neue Vorschlag angenommen wird.
"Ungeliebtes Kind"
Kritiker wie Lehner beklagen vor allem, dass Institutionen wie der Schiedsgerichtshof für Sport (CAS) und die WADA auch nach Jahrzehnten noch nicht unabhängig vom mächtigen IOC sind. "Ich denke, dass der Sport im Grunde wenig an der Aufklärung von Dopingvergehen interessiert ist – nur, wenn es sein muss", sagt Lehner: "Das Interesse des IOC ist vor allem kommerzieller Natur, entsprechend muss die WADA funktionieren. Im Grunde ist dieses ganze Dopingthema ein ungeliebtes Kind."
Die WADA bestätigte der ARD-Dopingredaktion die entsprechenden Reformvorhaben auf Anfrage. Das Exekutiv-Komitee habe am Dienstag "einige vorgeschlagene Änderungen der Amtszeiten des Präsidenten und der Vizepräsidentin im Zusammenhang mit den jüngsten Governance-Reformen" erörtert. Der Vorschlag werde nun dem Stiftungsrat zur Prüfung vorgelegt.