Diskussionen über Rückkehr russischer Sportler Russland und Doping - das verdrängte Problem
Bei den hitzigen Diskussionen über die Wiedereingliederung russischer Athleten in den Weltsport steht der Krieg in der Ukraine im Mittelpunkt. Doping-Fragen spielen kaum noch eine Rolle – obwohl das Misstrauen gewaltig ist.
Irgendwann, nach endlosen Ausführungen über die angeblich sinnvolle und gerechtfertigte Wiedereingliederung russischer und belarusischer Athleten in den Weltsport, sprach Thomas Bach auch noch über Doping. Wie alle anderen müsse selbstverständlich auch "jeder einzelne neutrale Athlet sämtliche Anti-Doping-Bestimmungen erfüllen", sagte der deutsche Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC).
Bachs knappe Einlassungen während der Pressekonferenz im Anschluss an die Sitzung der IOC-Exekutive Ende März in Lausanne waren exemplarisch. Inmitten der hitzigen Diskussionen über die Rückkehr russischer Sportler vor dem Hintergrund des brutalen Angriffskrieges in der Ukraine sind Staatsdoping und die Folgen zu einer Randnotiz geworden. Und das, obwohl die Sportgroßmacht Russland in den vergangenen Jahren für die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) ein einziges riesiges Ärgernis war – und es immer noch ist.
"Vertrauen weiterhin sehr gering"
"Ich muss sagen, das Vertrauen in die Unabhängigkeit des russischen Anti-Doping-Systems ist weiterhin sehr gering", sagt WADA-Präsident Witold Banka. Vier Monate nach dem formellen Ende der Sperre hat die WADA die russische Anti-Doping-Agentur RUSADA noch immer nicht für regelkonform ("compliant") erklärt. Allein das Fehlen dieses offiziellen Status könnte eine uneingeschränkte Teilnahme russischer Athletinnen und Athleten bei Sportgroßereignissen verhindern. Und zwar ganz unabhängig von den Sanktionen, die wegen des Angriffskrieges verhängt worden sind (und momentan wieder aufgeweicht werden).
Ein Blick auf das Ausmaß der Betrügereien Russlands seit den Winterspielen in Sotschi 2014 lässt jegliches Misstrauen logisch erscheinen. Da waren die Steroid-Cocktails von Doping-Mastermind Grigori Rodtschenkow, der Austausch von Urin-Proben durch eine Geheimklappe in der Wand, laut Untersuchungsbericht "gelenkt, kontrolliert und überwacht" durch Geheimdienst und Sportministerium. Russland reagierte trotz erdrückender Beweislage mit endlosen Dementis, Desinformationskampagnen und weiteren Dreistigkeiten wie der massenhaften Manipulation von Kontrolldaten aus dem Moskauer Labor.
Fall Walijewa verärgert die WADA
Der jüngste Affront dürfte nun auch dazu beitragen, dass die RUSADA noch immer als "non compliant" eingestuft ist: der Umgang mit dem Dopingfall von Eiskunstlauf-Wunderkind Kamila Walijewa. Während der Winterspiele in Peking 2022 war die positive Probe der damals 15-Jährigen und deren zwielichtiges Umfeld um Trainerin Eteri Tutberidse ein bestimmendes Thema. Die RUSADA verschleppte den Fall zunächst und sprach Volksheldin Walijewa dann kurzerhand frei. "Die Art und Weise, wie der Fall behandelt wurde, ist nicht gerade ermutigend", sagt WADA-Boss Banka. Die russische Seite hätte "Misstrauen genährt".
Zusammen mit der International Testing Agency (ITA), die Dopingkontrollen in 24 der 32 olympischen Sommersportarten organisiert, versucht die WADA, auch nach Beginn des Angriffskrieges in Russland ein nachvollziehbares und tragfähiges Anti-Doping-System aufrechtzuerhalten. Eine Mammutaufgabe, die den Institutionen eigenen Angaben zufolge im Großen und Ganzen aber gelingt. Im Jahr 2022 führte die ITA in Russland und Belarus ähnlich viele Trainingskontrollen (943) durch wie im Jahr zuvor (1.055). Soweit die nackten Zahlen.
Tests in Russland ein logistischer Albtraum
Doch Tests, besonders in abgelegenen Gebieten des Riesenreiches, sind kompliziert und teuer. Die Kontroll-Routine bis hin zum Transport in die Labore ins Ausland – innerhalb Russlands darf noch nicht wieder analysiert werden - ist ein logistischer Albtraum. Ein Insider äußerte gegenüber der ARD-Dopingredaktion Zweifel, dass das komplexe System tatsächlich auch sicher vor Manipulationen ist. Manipulationen, wie sie die Russen in den vergangenen Jahren mit hohem Aufwand und bemerkenswerter krimineller Energie immer wieder im Bereich Anti-Doping angewandt haben.
"Irgendwann wird man komplett bescheuert"
Der Argwohn, der Russland in Doping-Fragen entgegengebracht wird, ist auch unter Athletinnen und Athleten noch weit verbreitet. "Definitiv" könne sie sich vorstellen, dass "im letzten Jahr in Russland gedopt wurde", sagt etwa Fechterin Lea Krüger im ARD-Interview: "Dafür gab es in der Vergangenheit zu viel Anlass, dass mein Vertrauen in das russische Anti- Doping-System geschwächt worden ist."
Krüger, Präsidiumsmitglied bei Athleten Deutschland, steht als Fechterin vor besonderen Herausforderungen. Der für sie zuständige Weltverband FIE, der stark unter russischem Einfluss steht, hat die Wiedereingliederung russischer und belarusischer Athleten bereits beschlossen. Für Lea Krüger ist die Situation derart belastend, dass sie aus reinem Selbstschutz alle Doping-Zweifel ausblendet. Ihr Statement macht klar, wie problematisch die Rückkehr russischer Athleten in den Weltsport mit Blick auf den Krieg und Anti-Doping-Fragen ist: "Wenn ich jetzt in einen Wettkampf gehe und noch anfange, Bedenken über Doping mit reinzunehmen, zusätzlich zu der ganzen politischen Situation - ich glaube, irgendwann wird man dann einfach komplett bescheuert.”