Alfred Gislason im Gespräch mit Johannes Golla

Beim "Finale" gegen Italien Das Golla-Rätsel - Auch Gislason steht auf dem Prüfstand

Stand: 22.01.2025 23:23 Uhr

Wenn ein Kapitän wie Johannes Golla plötzlich auf der Bank sitzt, drängen sich auch im Handball Fragen auf - gerade vor einem "Endspiel“ wie jetzt am Donnerstag um 18 Uhr (Live-Ticker bei sportschau.de) bei der WM gegen Italien. Das DHB-Team muss Antworten liefern.

Von Christian Hornung, Herning (Dänemark)

Zweimal in Serie hat Bundestrainer Alfred Gislason jetzt ohne ihn begonnen. Beim 29:22 gegen Tschechien standen am Ende 36:33 Minuten Spielzeit für Johannes Golla zu Buche, das ist ungewohnt wenig für den Flensburger Kreisläufer, der bei der Heim-EM und den Olympischen Spielen im Mittelblock mit Julian Köster weitgehend durchgeschuftet hat, offensiv wie defensiv.

Auch das 30:40-Debakel gegen Dänemark nahm zunächst ohne Golla seinen Lauf. Alfred Gislason setzte erneut auf den Hannoveraner Block mit Justus Fischer und Lukas Stutzke im Zentrum, was Golla auf Sportschau-Nachfrage so kommentierte: "Wenn wir mit dem Hannover-System anfangen wollen, dann ist es sinnvoll, auch mit den Spielern anzufangen, die das System aus dem Effeff kennen. Den Weg trägt jeder mit, ich gönne auch jedem seine Einsatzzeit. Letztlich geht es immer nur um das Ergebnis."

Systemauswahl ging nach hinten los

Aber eben dieses Ergebnis passte so gar nicht. Weder gegen Tschechien noch gegen Dänemark funktionierte der Hannover-Block, das DHB-Team sucht weiter nach der richtigen Abwehrformation. Die Defensive, im Vorjahr ein großer Erfolgsgarant, ließ bei dieser Handball-WM bereits 174 Würfe aufs Tor zu - das ist schlechter als Kuwait oder Chile, nur bei vier Nationen sind es noch mehr: Kapverden, Japan, Guinea und Kuba.

Hinter der "Hannover"-Variante verbirgt sich eine moderne 6:0-Deckung mit einer sehr aktiven, beweglichen Ausrichtung, die auf klassische Zonenverteidigung verzichtet und darauf ausgelegt ist, den Gegner aggressiv anzulaufen, Pässe vorauszuahnen und Bälle zu klauen. Doch die "Steals" hatten am Dienstag nur die Dänen, antizipiert wurde von den Deutschen fast nichts.

Die Abstimmung und das Verständnis fehlen

Die Topstars um Mathias Gidsel, Rasmus Lauge oder Simon Pytlick zogen, schubsten und blockten die völlig orientierungslosen deutschen Abwehrspieler nach Belieben auseinander. Und fanden riesige Lücken, die die dänischen Fans fast noch mehr feierten als die dann folgenden freien Abschlüsse ins Tor.

Als Golla dazukam und der Hannover-Block auf die Bank wanderte, wurde es nicht besser, es kamen sogar zunächst noch weitere Probleme hinzu: Zwei Anspielversuche von Renārs Uščins in Richtung Kapitän am Kreis landeten in der dänischen Deckung. Im zweiten Durchgang verwarf der sonst im Abschluss sehr sichere 27-Jährige zwei völlig freie Bälle gegen seinen Klubkameraden Kevin Möller.

Gislason sucht nach der Formation

Gollas Form bleibt ein Fragezeichen, er scheint sehr mit sich selbst beschäftigt: "Es gibt sehr gute Phasen, es gibt aber auch Phasen, in denen die Sicherheit fehlt, auch dieses Selbstverständnis in der Abwehr, die optimale Abstimmung."

Mit Köster konnte sich der Flensburger vor dem Turnier verletzungs- und krankheitsbedingt kaum einspielen. Gislasons Plan B funktioniert bisher auch nicht. Der mit 65 Jahren älteste Trainer aller WM-Teilnehmer wirkte zudem nicht so, als hätte er sofort die nächste Option parat, mehr wirkt das viele Hin- und Herwechseln wie ein laufendes Experiment im Turnier. Verschiedene Formationen, verschiedene Duette, nicht nur in der Abwehr, sondern auch im Angriff. Spieler wie Nils Lichtlein oder Luca Witzke sind manchmal dabei, sich ein Momentum aufzubauen – und sitzen dann wieder Ewigkeiten draußen.

Viel würde hinterfragt - sogar der Trainervertrag

Gegen Italien steht all das auf dem ultimativen Prüfstand. Sollte der "Pflichtsieg" (Witzke) tatsächlich verpasst werden und Deutschland vor dem Viertelfinale das Turnier verlassen, dürfte alles hinterfragt werden: die Vorbereitung auf die Spiele, die Auswahl des Personals, das In-Game-Coaching, die manchmal erschreckend inhaltsarmen Auszeit-Ansprachen, die Systeme. Und ganz sicher auch der bis 2027 laufende Vertrag von Olympia-Silber-Trainer Alfred Gislason.