Luka Modric im Training

Vor EM-Auftakt gegen Spanien Mitfavorit Kroatien: Modric will mehr

Stand: 15.06.2024 13:47 Uhr

Kroatien hat bei den vergangenen Turnieren fast immer abgeliefert. Ganz oben auf dem Favoriten-Zettel für diese Europameisterschaft haben das Team aber nur wenige. Almuth Schult schon. Und dafür hat die Sportschau-Expertin gute Argumente.

Josi hat Tränen in den Augen. "Mein Traum war schon immer, mal Luka Modric zu sehen", sagt die junge Frau im rot-weißen Karo-Trikot der Kroaten. Ihre Rückennummer? Die 10, na klar. Sie steht vor einer Bühne in der kleinen Stadt Neuruppin. Auf dem Podest: der große Luka Modric. Noch im Sakko statt im Shirt mit der 10 - und seine Teamkollegen. "Es ist wunderschön. Unbeschreiblich." Es sind wenige Worte, mehr Schluchzen.

Der nicht mehr ganz geheime Favorit

Diese Szene ist bereits einige Tage her. Und doch lohnt es sich, sie noch einmal hervorzukramen. Weil sie zeigt: Die Kroaten hinterlassen aktuell Eindruck. Vor Tausenden Fans auf dem Schulplatz in der brandenburgischen Provinz, in der sie - malerisch am See gelegen - ihr Basecamp haben.

Und kurz zuvor bei der EM-Generalprobe im fast 3.000 Kilometer entfernten Estádio National nahe Lissabon, in dem sie Portugal mit 2:1 besiegten. So verdient, dass der ewige Geheimfavorit nun gar nicht mehr so geheim daherkommt.

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Sportschau UEFA EURO 2024, 09.06.2024 11:25 Uhr

Eingespielt, individuell stark, Teamplayer

"Es ist eine eingespielte Mannschaft, deren Herzstück seit sehr vielen Jahren zusammen ist. Sie hat Turniererfahrung, sehr viel internationale Qualität und einen starken Teamgedanken", sagt Sportschau-Expertin Almuth Schult. Das seien die Zutaten "für ein Rezept, mit dem du sehr erfolgreich sein kannst".

Die Torhüterin hat bereits vor einigen Wochen im Interview auf Modric und Co. als Europameister gesetzt. Es war schon damals mehr als ein Hot Take, um aus der Masse der Frankreich- und England-Tipper herauszustechen.

Denn es gibt eben gute Gründe, warum sich die Kroaten krönen könnten. Nah dran war ihr Rezept in der jüngeren Vergangenheit schon oft am meisterlichen Menü. Dabei schmeckten dem Team jedoch Welt- deutlich besser als Europameisterschaften.

Bei EM-Turnieren war immer spätestens im Viertelfinale Schluss. Bei der WM in Katar hingegen stoppte Argentinien die Kroaten erst im Halbfinale. 2018 ging es ins Endspiel (2:4 gegen Frankreich).

Eine Für-Modric-Mentalität?

Immer dabei? Die Nummer 10, na klar: Luka Modric. Gegen Spanien (Samstag, 18.00 Uhr im Livestream und im Audiostream) wird Modric mit seinem 175. Länderspiel in sein neuntes großes Turnier starten. Es könnte - bei einem Modric bedarf es hier auch mit nun 38 Jahren zwingend des Konjunktivs - tatsächlich sein letztes sein.

Und genau das wiederum ist ein Zusatz-Ansporn für ihn, aber auch das gesamte Team: "Ich wette, dass seine Mitspieler genau diese Einstellung haben. Sie wollen für Kroatien spielen. Aber sie spielen auch für Luka Modric, das Aushängeschild des Landes", sagt Schult.

Dieses Aushängeschild ist auf dem Platz bei Kroatien zentral - oder anders gesagt: Das Spiel des Teams von Trainer Zlatko Dadic ist weiterhin Modrics Spiel. "Luka sollte nicht dosiert werden, er sollte möglichst viel spielen dürfen, dann geht es ihm besser", sagte der unumstrittene Langzeit-Nationaltrainer der kroatischen Online-Zeitung "index.hr".

Bei Real Madrid bekam Modric den Taktstock zuletzt nur noch in Teilzeit. So auch im Champions-League-Finale, als er bei seinem sechsten Titelgewinn erst in der 85. Minute für Toni Kroos eingewechselt wurde. Bei der EM wird er wieder passsicherer Dirigent sein.

Voller Fokus auf die Nationalmannschaft

So geht es auch anderen Spielern im kroatischen Team. Gerade denen der "goldenen Generation", die noch darauf warten, ihre Karriere im Nationalteam tatsächlich zu vergolden. Sie werden in Kroatiens EM-Team Bühne und Bedeutung erhalten, die sie im Vereinsfußball zuletzt nicht immer hatten.

Mateo Kovacic zum Beispiel, der bei Manchester City zwischen Startelf und Bank pendelte. Marcelo Brozovic, der nach fast einem Jahrzehnt bei Inter Mailand inzwischen in Saudi-Arabien mit Cristiano Ronaldo und Sadio Mané für Al-Nassr spielt. Oder auch Ivan Perisic, der - nach Kreuzbandriss - für einen kolportierten Symbol-Euro bei Heimatklub Hajduk Split um die nötige Fitness für die EM kämpfte.

Der Ex-Bundesliga-Profi ist damit ein Paradebeispiel dafür, wie wichtig der Erfolg mit Kroatien den Spielern ist. Der Fokus ist voll aufs Turnier gerichtet. "Andere nehmen sich vielleicht unter der Saison bei der Nationalmannschaft ein bisschen zurück, um sich nicht zu verletzen und im Verein glänzen zu können. Bei den Kroaten hat man das Gefühl, sie drehen es um. Daraus kann eine sehr hohe Energie entstehen", sagt Schult.

Energie, die auch weniger Spielpraxis wettmachen und die durch die exponiertere Rolle als im Verein noch gepusht werden könnte: "Wenn du dich gebraucht fühlst, gibst du noch mal ein paar Prozent mehr, weil du weißt: Du musst jetzt vorangehen. Und sie haben schon unter Beweis gestellt, dass sie es können."

Druck? Nicht für diese Spieler!

Das gilt individuell, vor allem aber auch als Mannschaft. "Für mich entscheidend ist dieses blinde Verständnis. Sie kennen sich ewig und wissen genau, was der andere macht - gerade im Mittelfeld, dem Herzstück von Kroatien. Das ist in so einem Turnier unheimlich wichtig. Ich kann mir vorstellen, dass das gut funktioniert. Ich sehe das als große Stärke an, wenn man so lange zusammenspielt", sagt Schult.

Zuletzt bekam das auch Portugal beim 2:1 zu spüren. Das perfekte Statement vor dem Turnier? "Du hast vorher nicht zu den Favoriten, sondern eher den Geheimfavoriten gehört. Und jetzt kommt doch eine Erwartungshaltung. Das kann den Druck erhöhen", sagt Schult. Kann, wird es aber nicht, glaubt zumindest die Sportschau-Expertin.

"Dass man einen Perisic oder einen Modric mal nervös gesehen hat, daran kann ich mich nicht erinnern. Die haben es immer geliebt, in diesen entscheidenden Spielen da zu sein." Und Eindruck zu machen. So wie zuletzt im Estádio National - und auf dem Schulplatz in Neuruppin.