Albaniens Klaus Gjasula feiert seinen späten Ausgleich gegen Kroatien.

Albaniens Held gegen Kroatien Klaus Gjasula: In Hamburg zwischen Himmel und Hölle

Stand: 19.06.2024 20:47 Uhr

Albanien darf dank des 2:2-Remis gegen Kroatien weiter vom Einzug in die K.o-Phase der EM in Deutschland träumen. Dass der eingewechselte Klaus Gjasula in der Nachspielzeit im Volksparkstadion den Ausgleich erzielte, war eine dieser Geschichten, die angeblich nur der Fußball schreibt. Denn in Hamburg erlebte der 34-Jährige die wohl schwerste Saison seiner Profikarriere.

In der Stunde seines größten persönlichen Triumphes als Nationalspieler wirkte Klaus Fatmir Gjasula beinahe verunsichert - jedenfalls nicht so abgeklärt wie zumeist auf dem grünen Rasen. Der Mittelfeldmann der "Kuqezinjtë" rang bei den Interviews nach dem turbulenten Duell mit den Kroaten um Worte. "Es ist unglaublich, es war ein Wechselbad der Gefühle. Ich kann es noch gar nicht realisieren", sagte der bei Darmstadt 98 unter Vertrag stehende Defensivspezialist.

Gjasula hatte den wohl verrücktesten Einsatz seiner bewegten Laufbahn erlebt. In der 72. Minute war er eingewechselt worden, um dabei zu helfen, Albaniens 1:0-Führung zu verteidigen. 120 Sekunden später fiel der Ausgleich, wieder zwei Minuten später führte Kroatien sogar mit 2:1, weil Gjasula den Ball unglücklich in die eigenen Maschen beförderte. Der tragische Held des Abends schien geboren. Ausgerechnet Gjasula. Ausgerechnet im Volksparkstadion.

"Ich bin durch die Hölle gegangen"

Hier hatte der Abräumer schon zu seiner Zeit als HSV-Profi (Saison 2020/2021) bittere Stunden erlebt. Und nun das Déjà-vu im Trikot der Nationalmannschaft. "Ich bin hier in den ersten 15 Minuten nach der Einwechslung durch die Hölle gegangen", erklärte der 34-Jährige. Er hätte den Fußball-Tempel seines früheren Brötchengebers wohl verflucht, wenn es nicht diese fünfte Minute der Nachspielzeit gegeben hätte.

Diesen Moment, in dem er sich und seine Mannschaft mit einem Linksschuss zum 2:2 aus der Hölle in den Himmel beförderte. "Ich weiß, dass dieser Punkt extrem viel für unser Land bedeutet", gab der Wahl-Darmstädter erleichtert zu Protokoll.

Mit Gelb-Rekord und Vorschusslorbeeren zum HSV

Ein Tor wie dieses, oder zumindest irgendeine andere Heldentat - das hatten sich die Verantwortlichen des HSV auch von ihm erhofft, als sie Gjasula im Sommer 2020 vom Bundesliga-Absteiger SC Paderborn an die Elbe lotsten. Der Albaner kam mit der Referenz von 29 Einsätzen in die Hansestadt. Und mit einem fragwürdigen Rekord: 17 Gelbe Karten hatte der Routinier gesehen.

Das hatte Eindruck bei den HSV-Oberen gemacht. Denn ihrer am Aufstieg gescheiterten Mannschaft hatte es an robusten und stressresistenten Akteuren gemangelt. Gjasula, der zuweilen wie die Axt im Walde im Paderborner Mittelfeld agiert hatte, schien die Idealbesetzung für das Zentrum. "Wir sind überzeugt, dass seine Mentalität und auch seine Persönlichkeit der Mannschaft guttun werden", sagte der damalige HSV-Sportdirektor Michael Mutzel.

In Hamburg verletzt und oft außen vor

Gjasula erhielt beim Traditionsklub einen Zweijahresvertrag. Doch er blieb nur zwölf Monate. Sportlich konnte der Albaner nie in die für ihn vorgesehene Rolle des Anführers reinwachsen. Und dann fiel er wegen einer Knieverletzung auch noch lange aus. Als Gjasula wieder fit war, befand sich der HSV in seiner bereits obligatorischen Frühjahrs-Krise. Coach Daniel Thioune setzte ihn zwar noch ein, als der heutige Trainer von Fortuna Düsseldorf dann aber gefeuert und durch Klub-Legende Horst Hrubesch ersetzt wurde, war der Mittelfeldmann außen vor.

Hrubesch war nach drei Spielen als Interimscoach wieder Geschichte. Und Gjasula nach einer Saison im Dress der "Unaufsteigbaren". Acht Startelf-Einsätze, sieben Einwechslungen und jede Menge Anfeindungen der Fans via sozialer Medien blieben für den stolzen Albaner aus zwölf Monaten Hamburg in Erinnerung. Er wechselte nach Darmstadt.

Gjasula gibt sich selbst Schuld für HSV-Scheitern

"Ich kann mein Jahr in Hamburg schon richtig einordnen. Ich wurde nicht vom Hof gejagt, und mir ist auch kein Unrecht angetan worden. Ich habe eine sch... Saison gespielt", resümierte der Mittelfeldakteur später im "kicker". Auch gab er unumwunden zu, mit den besonderen Gegebenheiten rund um den Traditionsklub nicht zurechtgekommen zu sein: "Ich habe erlebt, was es bedeutet, in einem Verein wie dem HSV zu spielen. Jeder Gegner ist extramotiviert, zugleich ist der Erwartungsdruck riesig, gerade vom Umfeld."

Darmstädter schreibt EM-Geschichte

Mit Darmstadt gelang ihm im Vorjahr schließlich, was er mit dem HSV nicht schaffte: der Aufstieg. Eine Genugtuung für den Mann, der in Hamburg nie glücklich wurde. Zumindest nicht im Trikot des HSV. Denn nun gab es für ihn im Jersey seines Heimatlandes ja doch noch einen glücklichen Volkspark-Moment. Und Geschichte schrieb Gjasula nebenbei auch noch an seinem früheren Arbeitsplatz: Als erster Spieler in der Geschichte von Welt- und Europameisterschaften schoss der 34-Jährige nach einer Einwechslung noch je ein Eigentor und einen eigenen Treffer. Und er schrieb seine ganz persönliche Geschichte: In seinem 29. Länderspiel erzielte er sein erstes Nationalmannschafts-Tor.

Gjasula träumt vom Achtelfinal-Einzug

Wenn es nach dem Routinier geht, kann es nun gerne so weitergehen. Für ihn und Albanien. Das Achtelfinale ist das große Ziel des Abräumers mit seiner Mannschaft. Dafür aber muss am kommenden Montag (24.06.2024, 21 Uhr, im Audiostream und Live-Ticker bei sportschau.de) Spanien bezwungen werden. "Das ist ein dicker Brocken. Aber im Fußball weiß man ja nie", blickte Gjasula in noch eher moderaten Tönen voraus, bevor er dann selbstbewusst ergänzte: "Wenn wir weiterkommen würden, wäre es eine Sensation. Aber es hat schon viele Sensationen gegeben."