Euro 2024 1,2 Millionen EM-Tickets ohne Hinweis auf Zugangebote vergeben
UEFA und DFB haben die "nachhaltigste Fußball-EM aller Zeiten" angekündigt. Fans sollen möglichst nicht mit dem Auto oder dem Flugzeug anreisen, sondern mit dem Zug. Doch bei den ersten 1,2 Millionen Tickets wurde eine große Chance vertan.
Die erste Phase der Ticket-Vergabe ist vorbei: 1,2 Millionen der 2,7 Millionen Eintrittskarten für die Fußball-Europameisterschaft in Deutschland sind verteilt. Das heißt auch: Jetzt reichen die Fans ihren Urlaub ein, buchen Hotels und planen 1,2 Millionen An- und Abreisen.
Für die Anreise aus den europäischen Nachbarländern wollen die Organisatoren den EM-Ticketbesitzern ermäßigte Interrail-Tickets anbieten und für Fahrten innerhalb Deutschlands ermäßigte Fernverkehrstickets – zum ersten Mal bei einer EM. Eine ICE-Anreise quer durch die Bundesrepublik soll damit nur rund 30 Euro kosten.
Umweltwissenschaftler und -verbände halten das für einen wirksamen Anreiz, damit Fans nicht das Flugzeug oder das Auto zum Spielort nehmen, sondern den Zug. Der große CO2-Fußabdruck des Turniers könnte damit spürbar verkleinert werden. Denn die Anreise der Fans macht den größten Teil der CO2-Emissionen aus.
1,2 Millionen vergebene Chancen
Das Problem: Die ermäßigten Zugfahrten sind aktuell noch gar nicht buchbar. Und in der Bestätigungsmail der UEFA zu den EM-Tickets findet sich nicht mal ein Hinweis darauf. Der Verkauf der Zugangebote startet erst Mitte Januar und dann will die Deutsche Bahn auch erst mit der Werbung beginnen.
"Das ist zu spät", sagt Jens Hilgenberg vom Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND). Wenn man mit dem Zugangebot Fans erreichen wolle, die sonst nicht Bahn fahren, müsse man es ihnen so einfach wie möglich machen. "Das hieße, direkt bei der Buchung des Tickets für das Spiel auch ein Bahnticket buchen zu können und nicht erst im Nachgang", sagt Hilgenberg. "Das ist eine Chance, die jetzt vergeben wird."
Oder: 1,2 Millionen vergebene Chancen. Fast die Hälfte der Fanreisen, die bei der EM anfallen, könnten schon geplant sein, wenn das Interrail-Angebot und das Fernverkehrsangebot der Deutschen Bahn auf den Markt kommen.
Weniger Parkplätze an den Stadien geplant
Am Ende werden sich dann vielleicht auch die Fans ärgern. Denn die EM-Organisatoren wollen die Anreise mit der Bahn attraktiver machen im Vergleich zum Auto – nicht nur preislich. Sie wollen dabei auch zu Mitteln greifen, die dem ein oder anderen Fan nicht gefallen dürften, die aus ökologischer Perspektive aber sinnvoll sind.
"Im Nachhaltigkeitskonzept der Europameisterschaft steht ja auch, dass es weniger Parkplätze als regulär an den Stadien gibt. Das muss auch kommuniziert werden", sagt Jens Hilgenberg, der sich beim BUND um die Verkehrspolitik kümmert. "Den Leuten muss klar gemacht werden: Der bequemere und der ökologischere Weg ist die Anreise mit der Bahn. Das muss den Menschen gesagt werden."
Ermäßigte Interrail-Tickets: größte Chance und größtes Fragezeichen
Am wenigsten ist aktuell zum Interrail-Ticket bekannt, das für EM-Ticket-Inhaber günstiger sein soll als das normale Interrail-Angebot. Wie die Fernverkehrstickets der Deutschen Bahn soll auch dieses Ticket ab Mitte Januar gebucht werden können. Aber wie attraktiv der Preis sein wird und mit welchem Aufwand das Ticket in den europäischen Nachbarländern beworben werden wird, dazu wollen sich die Deutsche Bahn und ihr Partnerunternehmen Eurail und auch die EURO 2024 GmbH nicht äußern.
Dabei ist dieses Ticket vielleicht das beste Vorhaben, um CO2 einzusparen. "Gerade das internationale Interrail-Ticket ist sehr gut. Wenn es richtig gemacht ist, dann ist es ein großer Hebel", sagt Jens Hilgenberg vom BUND. Eine Bahnreise von Amsterdam nach München ist zum Beispiel mit nur einmal Umsteigen möglich. "Wenn die Leute da Bahn fahren, statt den Flieger zu nehmen, dann macht das natürlich sehr, sehr viel aus."
Und Hilgenberg gibt auch zu bedenken: "Wenn ein paar der teilnehmenden Mannschaften mit dem Zug anreisen würden, dann wäre das auch ein Zeichen an die Fans. Mal schauen, wie die UEFA das noch hinbekommt."
Große Versprechen auf den Pressekonferenzen zum Verkehrskonzept
EM-Botschafter Philipp Lahm betont gerne, dass Deutschland die nachhaltigste Fußball-Europameisterschaft aller Zeiten ausrichten möchte und Vorbild für nachfolgende Großveranstaltungen sein will.
Erst im Oktober sagte er auf einer Pressekonferenz zum Verkehrskonzept: "Es geht darum, attraktive Angebote zu schaffen. Wir können nicht von Nachhaltigkeit reden, aber dann sollen die Bürgerinnen und Bürger das selber bezahlen. Und wir versuchen eben auch ein Vorreiter zu sein für die nächsten Veranstaltungen und der UEFA zu zeigen: Es ist möglich, dass man solche Angebote schaffen kann."
So werde in jedem EM-Ticket auch ein Nahverkehrsticket integriert sein. Das ist bei Großveranstaltungen inner- wie außerhalb des Sports aber nichts Neues. Potenzial zum Vorbild in der Verkehrspolitik hat die EURO 2024 nur, wenn das Interrail- und das DB-Fernverkehrsticket greifen.
Umweltverbände wollen mehr eingebunden werden
Die Idee zu den ermäßigten Zugfahrkarten entstand schon vor der deutschen Bewerbung um die EM im Jahr 2018. Einige Verkehrs- und Umweltverbände waren daran beteiligt. Danach hat Jens Hilgenberg vom BUND von der EURO 2024 GmbH allerdings nicht mehr viel gehört. Andere große Umweltverbände wurden gar nicht eingebunden.
"Da hätte ich mir schon gewünscht, dass der DFB, der ja die Zusage für diese EM vor allem wegen seines Nachhaltigkeitskonzepts bekommen hat, die Menschen vor Ort bei der Organisation stärker einbezieht", sagt Hilgenberg.
Hilgenberg hält das Vorhaben mit den ermäßigten Fernverkehrstickets weiterhin für richtig und gut. Aber das Potenzial, das darin steckt, werde dadurch, dass 1,2 Millionen EM-Tickets jetzt ohne Hinweis auf die Zugangebote vergeben wurden, nicht ausgeschöpft.
Wieso kommen die Tickets erst im Januar?
Hat die EURO 2024 GmbH das Projekt mit den vergünstigten Fernverkehrstickets zu wenig vorangetrieben? Hat die Deutsche Bahn zu lange für die Umsetzung gebraucht? Offiziell kommentiert keines der beteiligten Unternehmen die Verantwortungsbereiche. Das Bundesverkehrsministerium verweist darauf, dass das Angebot eine eigenständige unternehmerische Entscheidung der Deutschen Bahn sei.
Die lässt die Kritik, dass sie zu spät dran sei, an sich abprallen und teilt mit: "Wir freuen uns darauf, heimischen und internationalen Fans im Januar 2024 und damit gut fünf Monate vor Spielbeginn die Produktdetails vorzustellen."
Organisatoren wollen sich nicht an Verkaufszahlen messen lassen
"Dinge nur zu machen, damit sie auf dem Papier schöner aussehen. Das ist überhaupt nicht unser Ansatz, sondern es muss funktionieren und es muss einen Mehrwert erzielen", sagte Markus Stenger, der Geschäftsführer der EURO 2024 GmbH, bei einer Pressekonferenz zum Thema Verkehr.
Wie viele ermäßigte Interrail- und ICE-Tickets müssen demnach verkauft werden, damit das Projekt nicht nur auf dem Papier ein Erfolg ist? Zu dieser Frage wollten sich die Deutsche Bahn, ihr Partner Eurail und die EURO 2024 GmbH nicht äußern.