Frankreichs EM-Start Deschamps pokert mit der Mbappé-Position
Coach Didier Deschamps kann mit Frankreich Geschichte schreiben. Mit einem Titelgewinn wäre er der erste Mensch, der als Spieler und Trainer die Welt- und Europameisterschaft gewonnen hat. Doch das ist ihm egal. Er pokert vor dem EM-Auftaktspiel gegen Österreich lieber mit der Rolle von Kylian Mbappé.
Deschamps und Mbappé klingen wirklich nicht so, als hätten sie sich abgesprochen. Als sich die beiden am Sonntag bei der Pre-Game-Pressekonferenz vor dem Spiel gegen Österreich (Montag, 17.06.2024, 21.00 Uhr, Livestream, Radioreportage und Ticker) kurz nacheinander den Reportern aus der ganzen Welt stellen, wirken beide zwar sehr souverän und fokussiert. Doch auf die vielen politischen und die sportlichen Fragen antworten sie ganz individuell.
Bei Deschamps merkt man sofort, dass er den Rechtsruck in Frankreich lieber von seiner Mannschaft fernhalten würde, Mbappé hingegen geht ganz offensiv mit dem Thema um.
Deschamps: "Bei uns zählt immer die Mannschaft"
Eher auf die Bremse tritt der französische Nationalcoach auch, wenn es um Mbappé selbst geht, um dessen Rolle im Team und seinen Wert als Fixpunkt der üppig besetzten Offensivabteilung.
Natürlich sei der künftige Superstar von Real Madrid "mein Kapitän" und ein "sehr wichtiger Spieler", aber Deschamps betont ausdrücklich: "Bei uns zählt immer die ganze Mannschaft, ein einzelner kann nicht bewirken, dass wir unsere Ziele erreichen."
Frankreichs Trainer könnte Historisches erreichen
Dass er im Falle des Titelgewinns in Deutschland selbst Fußballgeschichte schreibt, weil er dann als erster Mensch Welt- und Europameister als Spieler und Trainer wäre, das schiebt er konsequenterweise auch ganz weit nach hinten. Das sei für ihn "keine Motivation, denn es geht um die französische Nationalmannschaft, um das, was wir erreicht haben und was wir noch erreichen können."
Mitfavorit ja - aber mit sieben, acht Konkurrenten
Er spricht ganz offen über die Rolle Frankreichs als Mitfavorit, aber er sieht "sieben oder acht Mannschaften" mit dem Ziel, den EM-Titel zu gewinnen: "Nur eine schafft es, es kommt auf Kleinigkeiten an. Das erste Spiel ist sehr wichtig. Nicht entscheidend, aber sehr wichtig. Ein Sieg verschafft uns eine gute Ausgangslage. Das ist unser Ziel, auch wenn Österreich das genauso sieht. Wir müssen dieses erste Spiel gut meistern."
Wie stark ist Mbappé nach dem Real-Wechsel?
Zu den vermeintlichen "Kleinigkeiten", die am Ende entscheidend sein werden, zählt ganz sicher auch, ob Kylian Mbappé nach dem fast zweijährigen Wechseltheater zwischen Paris Saint-Germain und Real Madrid sofort voll da ist, wenn die Partie in Düsseldorf angepfiffen wird. Dafür spricht viel.
In seinen ersten 49 Länderspielen hatte er "nur" 17 Treffer erzielt, doch allein in den zurückliegenden 30 Einsätzen traf er im Schnitt exakt einmal pro Partie. Neun Tore gelangen ihm allein in der Qualifikation zur EM 2024, und es wäre keine Überraschung, wenn er während des Turniers in Deutschland von Rang drei der französischen Rekordschützen auf Rang zwei vorstoßen würde. Mit seinen aktuell 47 Toren liegen vor ihm nur noch Olivier Giroud (57) und Thierry Henry (51).
Neben Giroud, statt Giroud - einiges ist denkbar
Ob Giroud selbst den Abstand noch ein wenig halten oder gar vergrößern kann, ist auch eine der spannenden Fragen, deren Antwort Deschamps durchaus beeinflussen kann. Der Coach hat mit Mbappé tatsächlich auch über Girouds zentrale Sturmposition gesprochen, was bei dem in der Fußballwelt einmaligen Angebot an herausragenden Flügelspielern in Frankreich durchaus nachvollziehbar ist.
Auch die Position als hängende zweite Spitze ist für Mbappé denkbar, genau wie die linke Offensivseite, auf der er die meisten seiner Länderspieltore erzielt hat. Mbappé verrät vor dem Match gegen Österreich, dass er genau diese verschiedenen Positionen durchaus ausführlich mit Deschamps erörtert habe.
"Ich habe meine Rolle mit dem Trainer besprochen, als ich jetzt zur Mannschaft kam. Er sagte, er könnte mich während des Wettbewerbs in verschiedenen Rollen einsetzen und ich solle bereit sein", sagte Mbappé: "Ich sagte, ich habe in meiner Karriere drei verschiedene Rollen gespielt und mich in allen gut geschlagen, also ist das kein Problem. Ich bin bereit, alles zu geben, um der Mannschaft zu helfen, sei es vorne, links oder auf der Bank. Ich werde mich anpassen."
Mbappé betont den Team-Gedanken
Als er das mit der "Bank" erwähnt, huscht ein Lächeln über sein Gesicht, denn eins weiß er natürlich ganz genau: Dort wird er sicher nicht Platz nehmen müssen. Aber es ist ihm offenbar wichtig, den Teamgedanken noch einmal ausdrücklich zu erwähnen. Und da liegt Mbappé nach den bitteren Erfahrungen aus der EM 2020 - wo ihm kein einziges Tor gelang, die Mannschaft keinerlei Harmonie ausstrahlte und im Achtelfinale an der Schweiz scheiterte - voll auf einer Linie mit Deschamps.