Portugals Kapitän bei der EM Cristiano Ronaldo - Superstar als große Unbekannte
Cristiano Ronaldo wird die portugiesische Nationalmannschaft als Kapitän anführen. Aber wie gut ist der Superstar, der seit 2023 in Saudi-Arabien spielt, auf Topniveau überhaupt noch?
44 Pflichtspieltore in der abgelaufenen Saison, dazu mit zehn Treffern zweitbester Torschütze der EM-Qualifikation - Zahlen, bei denen eigentlich keinerlei Zweifel an der Qualität eines Spielers aufkommen können. Und doch sind sie im Fall von Cristiano Ronaldo vor der Europameisterschaft angebracht. Mindestens eine gewisse Skepsis.
Denn wie gut "CR7" wirklich noch ist, hat er schon lange nicht mehr im europäischen Topfußball unter Beweis stellen können. Portugal ist gegen überschaubar starke Gegner durch die Quali marschiert, hatte mit zehn Siegen in zehn Spielen und 36:2 Toren die beste Bilanz aller Teams. Dazu spielt Ronaldo seit Anfang 2023 in Saudi-Arabien bei Al-Nassr FC. In einer Liga, die zwar mit viel Geld Superstars angelockt hat, aber nach wie vor weit weg von den Topligen ist, in denen er vorher gespielt hatte.
Ronaldo lobt Saudi-Liga
Ronaldo selbst will das nicht gelten lassen. Im Januar sagte er noch auf einer Preisverleihung in Dubai: "Ich spiele seit einem Jahr da und ich weiß, worüber ich spreche. Ich denke, im Moment sind wir besser als die französische Liga". Und auch den Vergleich zu den besten Torjägern in Europa scheute er nicht. "Ich denke, es war ein guter Wechsel. Ich fühle mich so glücklich", sagte Ronaldo. Er sei "stolz" mehr Tore als "junge Löwen" wie Erling Haaland erzielt zu haben.
Auch der portugiesische Nationaltrainer Roberto Martinez unterstützte seinen Kapitän, als er den EM-Kader bekanntgab. "Ich denke, dass es besser ist, über seine Statistiken zu sprechen. Ein Spieler, der so viele Tore für seinen Verein erzielt hat, zeigt Kontinuität, die körperliche Fähigkeit, immer fit zu sein, und die Qualität vor dem Tor, die wir wirklich schätzen und brauchen", sagte der Spanier.
Ronaldo für Portugal nicht nur als Spieler wichtig
Zumindest Martinez hat keine Zweifel wegen des Ligaalltags in der Wüste. "Wir treffen unsere Entscheidungen nicht danach, wo die Spieler spielen. Wir wollen die beste Mannschaft zusammenstellen und die 26 Spieler aufstellen, die die beste Mannschaft bilden. Wir beobachten die individuelle Leistung der Spieler und die Rolle, die sie in der Umkleidekabine spielen. Seit März 2023 bis jetzt haben wir eine Menge Informationen gesammelt", sagte 50-Jährige.
Roberto Martinez setzt auf Cristiano Ronaldo.
Ronaldo ist für den spanischen Coach, der zuvor jahrelang Belgien trainiert hatte, wichtig - auf und neben dem Platz. Wie hilfreich "CR7" in der inaktiven Rolle sein kann, zeigte er bei der EM 2016. Im Finale musste er in der 25. Minute aufgrund einer Verletzung ausgewechselt werden, doch das Spiel war für ihn nicht vorbei. Die Bilder, wie Ronaldo sein Team wild gestikulierend an der Seitenlinie zum Titel coachte, gingen um die Welt.
Doch wie sehr ist er noch eine Hilfe als Mittelstürmer? Seit März hat Ronaldo bei Al-Nassr zwar in drei Ligaspielen je drei Treffer erzielt, er blieb aber auch in fünf von elf Einsätzen torlos. Zuvor hatte er lediglich in vier von 20 Spielen, in denen er dabei war, nicht getroffen.
Skandale in den vergangenen Monaten
Dass es seit diesem Zeitpunkt bergab geht, ist kein Zufall. Denn seitdem machte Ronaldo, obwohl er schließlich als erster Profi weltweit in der vierten Liga (vorher in Spanien, England und Italien) Torschützenkönig wurde, vor allem mit zwei Skandalen auf sich aufmerksam, die verdeutlichen, dass die Wüste für ihn doch nicht das Paradies zu sein scheint.
Beim Spiel bei Al-Shabab provozierten heimische Fans Ronaldo mit Gesängen über Lionel Messi. Später revanchierte sich der Superstar mit einer obszönen Geste: er baute sich vor den Zuschauern auf und führte eine Art Masturbationsbewegung vor. Dafür wurde Ronaldo für ein Spiel gesperrt. Sein Erklärungsversuch hinterher: "Ich respektiere alle Klubs. Meine Freude ist ein Zeichen von Stärke und des Sieges. Dafür muss man sich nicht schämen. Daran sind wir in Europa gewöhnt."
Ronaldo spielt aber nicht mehr in Europa (wo eine solche Geste auch nicht unbemerkt geblieben wäre), sondern im höchstkonservativen Saudi-Arabien. Noch skandalöser war aber, was er sich im Saudi-Super-Cup geleistet hat. Wegen einer Tätlichkeit wurde der 39-Jährige mit Rot vom Platz gestellt, doch Ronaldo deutete dann auch noch einen Faustschlag gegen den Schiedsrichter an und verließ den Platz dann nur nach mehrfacher Aufforderung.
Im Super-Cup leistete sich Cristiano Ronaldo einen riesigen Skandal.
Unter Martinez wohl erstmal gesetzt
In der jüngsten Vergangenheit hat "CR7" selbst in der arabischen Liga nur noch punktuell überzeugen können, bei seinem einzigen Länderspiel in diesem Jahr spielte Ronaldo auch schwach und sein Team verlor in Slowenien (0:2) zum ersten Mal seit dem WM-Viertelfinale im Dezember 2022 gegen Marokko (0:1).
Damals in Katar bröckelte das Ronaldo-Denkmal gewaltig, der damalige Trainer Fernando Santos, einst einer seiner allergrößten Förderer, setzte ihn in den entscheidenden Spielen sogar auf die Bank. Martinez dagegen baut bisher auf ihn, wahrscheinlich wird Ronaldo vorerst im Sturmzentrum starten. Der Superstar, der mit 25 Einsätzen und 14 Toren bereits mit Abstand Rekord-EM-Spieler und -Torjäger ist, ist leistungstechnisch vor dem Turnierstart aber die große Unbekannte.