Objekt der Begierde nach der EM: Nico Williams
analyse

Transfermarkt nach der EM Nico Williams ist das erste Spekulationsobjekt

Stand: 16.07.2024 14:19 Uhr

Der spanische Himmelsstürmer Nico Williams steht nach der EM zwangsläufig auf der Wunschliste vieler Topklubs. Dennoch dauert es noch, bis der Transfermarkt richtig anläuft.

Es war schon weit nach Mitternacht, als nach dem EM-Finale gegen England (2:1) die schillerndste Figur beim neuen Rekord-Europameister Spanien zur Pressekonferenz erschien: Nico Williams trug bereits ein rotes Trikot vorne mit der Nummer 4 und hinten mit dem Aufdruck "Reyes de Europa 4" (Könige Europas 4).

Knapp acht Minuten dauerte das späte Verhör des "Man of the Match". "Die Leute haben mich besser kennengelernt. Das weiß ich zu schätzen. Ich hoffe, einer der besten der Welt auf meiner Position zu werden", sagte der gerade erst 22 Jahre alt gewordene Flügelspieler, der von einem "unglaublichen Jahr" sprach.

FC Barcelona hat öffentlich Interesse signalisiert

Wohin der Weg noch führen kann? "Es sind noch zwei lange Jahre bis zur WM, wir müssen Schritt für Schritt gehen", sagte Williams. Irgendwie schien der Shootingstar heilfroh, nicht noch vertiefende Fragen beantworten zu müssen, wo er denn bald seine Fähigkeiten vorführt.

Joan Laporta, Präsident vom FC Barcelona, hatte zuvor im katalanischen Fernsehen offen das Interesse bekundet: "Stand heute können wir uns den Transfer von Nico erlauben." Der in großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckende Renommierverein muss genau abwägen, welche Investitionen in den Kader getätigt werden können.

Der Shootingstar soll eine Ausstiegsklausel haben

Der Sohn einer aus Ghana nach Spanien geflüchteten Familie hat erst im Dezember vergangenen Jahres seinen Vertrag bei Athletic Bilbao bis 2027 verlängert. Während der EM mokierte sich Bilbaos Präsident Jon Uriarte über die bei der EM aufkommenden Spekulationen. "Der Respekt zwischen allen Akteuren des Fußballs ist für uns fundamental. Unser Verein setzt keine Spieler öffentlich unter Druck, die anderswo unter Vertrag stehen, um diese zu verpflichten."

Jon Uriarte, Präsident von Athletic Bilbao

Jon Uriarte, Präsident von Athletic Bilbao

Williams soll eine Ausstiegsklausel besitzen, die bei 60 Millionen Euro liegt. Zu den Interessenten werden der FC Arsenal und FC Chelsea, laut der Zeitung "Marca" auch der FC Bayern gezählt. Williams hatte während des Turniers beim spanischen TV-Sender "TVE" deutlich gemacht: "Ich habe kürzlich einen neuen Vertrag unterschrieben, es fühlt sich sehr seltsam an, dass Sie mich nach meiner Zukunft fragen."

Während der EM sollten Transfermeldungen nicht stören

Die Causa Williams steht exemplarisch dafür, wie eine EM einzelne Stars herausbringt, deren Marktwert sprunghaft steigt. Wobei: In Spanien war das Potenzial dieses Profis längst bekannt, wie der langjährige Bundesliga-Manager Michael Reschke im Gespräch mit der Sportschau erklärt, der die EM vor Ort beobachtet hat. "Natürlich waren viele Manager und Berater vor Ort, und da wird logischerweise gesprochen und Infos ausgetauscht."

In der Regel wollen weder Klubs noch Spieler, dass Transfers während eines Turniers publik werden, weil das als Ablenkung verstanden wird. Aber natürlich laufen die Gespräche und teils auch die Verhandlungen, nur der Vollzug wird später gemeldet. Reschke arbeitet seit März 2021 als Head of European Football für CAA Stellar, einer großen englischen Agentur für Sportler und Künstler, bei der auch mehr als 1.000 Fußballprofis unter Vertrag stehen, darunter 22 Nationalspieler von der EM.

Bei einer U17-EM sind viel mehr Scouts unterwegs

Es sei allerdings ein Irrglaube, dass sich auf deutschem Boden Akteure ins Blickfeld gespielt haben, die in den Scouting-Abteilungen der Klubs keiner auf dem Radar gehabt hätte. Selbst die Nationalspieler aus Georgien oder Rumänien seien vorher schon bekannt gewesen. Reschke: "Die Wahrscheinlichkeit ist nicht so hoch, bei einer solchen EM ein Schnäppchen zu entdecken. Bei einer U17-EM sind deutlich mehr Scouts vertreten. Je jünger ein Turnier ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, Spieler zu entdecken."

Der 66-Jährige, der mehr als 40 Jahre in der Bundesliga gearbeitet hat, darunter ein Jahrzehnt mit dem heutigen DFB-Sportdirektor Rudi Völler bei Bayer Leverkusen, stellt heraus, dass sich die Analysemöglichkeiten für die Spielersichtung natürlich in letzter Zeit erheblich verändert haben. "Bei allen Vereinen spielen die Analysetools eine immer größere Rolle." Es brauche allerdings immer noch "ein erfahrenes Auge", um aussagekräftige Urteile zum Rollenverständnis anzustellen.

Mittlerweile im Beratergeschäft: Michael Reschke

Mittlerweile im Beratergeschäft: Michael Reschke

Tauziehen um Jonathan Tah

So hat Jonathan Tah seinen Wert durch beständige Leistungen für die deutsche Nationalmannschaft noch mal erhöht. Aber zu welchen Bedingungen der vom FC Bayern beabsichtigte Transfer mit dem Abwehrspieler von Bayer Leverkusen vollzogen wird, hängt vielleicht damit zusammen, wann Manchester United im Gegenzug Matthijs de Ligt aus München verpflichtet. Erik ten Haag, Trainer der "Red Devils", kennt den niederländischen Verteidiger aus gemeinsamen Tagen bei Ajax Amsterdam.

Ein gutes Beispiel, wie sich mehrere Parteien gerade in einem vielschichtigen Transferpoker belauern. Aus Reschkes Sicht wird es noch dauern, bis der Transfermarkt richtig auf Touren kommt. "Das hängt damit zusammen, dass der englische Spielermarkt immer erst sehr schleppend anläuft. In der Premier League fahren auch die Verantwortlichen nach Saisonende erst einmal in den Urlaub. Wenn dort die ersten Steine fallen, geht es richtig los: Das hat dann auch direkten Einfluss auf die Bundesliga, weil eben auch viele interessante Spieler in Deutschland spielen."

Deadline Day ist Teil der Inszenierung

Reschke hat einst Emre Can, Toni Kroos oder Daniel Carvajal nach Leverkusen geholt, war als Technischer Direktor beim FC Bayern unter anderem an den Verpflichtungen von Joshua Kimmich oder Kingsley Coman beteiligt. Insgesamt geht der gebürtige Rheinländer davon aus, dass viele Deals erst wieder auf den letzten Drücker getätigt werden. "Ich rechne mit einem extremen Tempo wieder für die letzte Woche."

Viele Vereine hätten die Corona-Folgen weitgehend überwunden. Wenn sich bei internationalen Spitzenklubs beispielweise an den ersten Spieltagen wichtige Akteure verletzen würden, könnte eine ungeheure Dynamik enstehen. Und nicht zu vergessen: "Der Deadline Day ist gerade in England ein Teil der Inszenierung." Ob dann noch einer wie Nico Williams Gegenstand der Spekulationen ist?