Afghanische Fußballerinnen Dabei sein? Schön wär's
Für Fußballerinnen sind Olympischen Spiele die größte internationale Bühne, die sie betreten können. Auch die afghanische Nationalmannschaft hätte diese Bühne in Paris gerne betreten - dafür hätte sie aber zur Qualifikation zugelassen werden müssen. Doch dabei wurde sie von den Verbänden im Stich gelassen.
Als die Taliban im August 2021 die Macht in Afghanistan übernehmen, herrscht Panik. Vor allem Frauen sind in Lebensgefahr - allen voran Sportlerinnen, die sich öffentlich für Frauenrechte eingesetzt haben. Bereits Ende August wird deshalb das afghanische Fußballnationalteam der Frauen mit Hilfe der australischen Regierung außer Landes gebracht - organisiert von einer ehemaligen Spielerin: Khalida Popal.
Die FIFA zögert lange
Die FIFA hingegen, die mit dem Slogan "Home of Football" wirbt, zögert. Während sich am Flughafen in Kabul dramatische Szenen abspielen. Viele dürften sich an die Bilder des 19 Jahre alten Jugendnationalspielers Zaki Anwari erinnern, der sich verzweifelt an die Turbine eines Flugzeugs klammert, abstürzt und stirbt. Der Weltfußballverband lässt sich zu diesem Zeitpunkt wie folgt zitieren: "Die FIFA beobachtet die Situation in Afghanistan genau, vor allem die der Frauen."
Frauen, die in Todesangst alles vernichten, was an ihr Leben auf dem Platz erinnert: Trikots, Medaillen, Urkunden - alle Fortschritte und Erfolge der vergangenen 20 Jahre. Taliban stürmen Berichten zufolge Trainingsräume, verriegeln sie. Athletinnen, die trotzdem trainieren, werden massiv misshandelt, mit dem Tod bedroht oder ermordet.
Erst im Oktober 2021 beginnt auch die FIFA zu handeln. Nach eigenen Angaben werden "150 afghanische Sportpersonen und Menschenrechtsaktivisten" evakuiert, schreibt die FIFA, sowie deren Familien. Über Doha mit Hilfe von Katar. Das ganze wird ein Jahr vor der WM der Männer in dem Emirat medienwirksam inszeniert. Ein strahlender Gianni Infantino lässt sich mit den Frauen filmen und fotografieren.
Afghanische Frauennationalmannschaft in Australien
Zu diesem Zeitpunkt sucht Khalida Popal für ihr Team in Australien eine Möglichkeit, weiter trainieren zu können. Anfang 2022 dann die gute Nachricht: Der FC Melbourne Victory unterstützt Afghanistans Nationalspielerinnen. Sie stellen mit dem Zusatz AWT (Afghan Women’s Team) ein eigenes Team und treten zunächst in der siebten Liga an.
Für die von der FIFA nach Doha evakuierten Jugendspielerinnen hingegen geht es nach Albanien, wo sie über 1,5 Jahre festsitzen (Sport inside berichtete). Von der FIFA oder Gianni Infantino ist da nicht mehr viel zu sehen.
Das exilierte Nationalteam kämpft sich derweil in der australischen Liga nach oben und Teammanagerin Khalida Popal weiter für die offizielle Anerkennung durch die internationalen Sportverbände. Denn nur dann kann Afghanistan an internationalen Wettbewerben teilnehmen. Unterstützung erhält sie von Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai, sowie von mehr als hundert Menschen aus der Politik weltweit.
Plötzlich nicht mehr dabei
Sie alle fordern 2023 die FIFA auf, das afghanische Frauenteam offiziell anzuerkennen. Der Grund: Das anstehende Qualifikationsturnier für die Olympischen Spiele. Ausgerichtet vom Asiatischen Fußballverband (AFC). Als im Januar 2023 die Qualifikation ausgelost wird, ist Afghanistan in Gruppe C. Auch der afghanische Fußballverband (AFF) postet das per Facebook.
Als die Qualifikationsturniere im April 2023 starten, ist Afghanistan aber plötzlich nicht mehr dabei. Auf den Seiten des AFC ist zu lesen, das Team sei zurückgezogen worden. Nähere Gründe werden nicht genannt. Auf eine Nachfrage der Sportschau dazu antwortet der AFC nicht.
Auch Khalida Popal und ihr Team erhalten vom afghanischen Verband keine Informationen darüber, warum sie nicht antreten dürfen. In einem Statement gegenüber der Deutschen Welle gibt Popal damals an, der Verband habe in lokalen Medien angekündigt, dass niemand außerhalb Afghanistans das Land vertreten könne. Eine Regelung, die für die Nationalmannschaft der Männer augenscheinlich nicht gilt. Die meisten ihrer Spieler kicken im Ausland und leben demzufolge nicht in Afghanistan.
Eine Frage der Verantwortung
Dass der afghanische Verband kein Frauenteam hat, verstößt gegen den Code of Ethics der FIFA, dem alle Mitgliedsverbände verpflichtet sind. Darin heißt es in Artikel 23:
"Personen, die an diesen Kodex gebunden sind, dürfen die Würde oder Integrität ines Landes, einer Privatperson oder einer Personengruppe nicht durch verächtliche, diskriminierende oder verunglimpfende Worte oder Handlungen aufgrund von Rasse, Hautfarbe, ethnischer Zugehörigkeit, Nationalität, sozialer Herkunft, Geschlecht, Behinderung, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, Vermögen, Geburt oder sonstigem Status, sexueller Orientierung oder sonstiger Gründe verletzen."
Darauf beruft sich auch Khalida Popal. Sie fordert die FIFA auf, einzuschreiten und das Frauennationalteam offiziell anzuerkennen - auch ohne den Afghanischen Verband. Auf die Frage, wie die Haltung der FIFA in diesem Fall ist, antwortet die Pressestelle: "Die Auswahl von Spieler*innen und Teams, die eine Mitgliedsorganisation repräsentieren, halten wir für eine interne Angelegenheit der Mitgliedsorganisation. Daher hat die FIFA nicht das Recht, irgendein Team offiziell anzuerkennen bis es zuerst von der entsprechenden Mitgliedsorganisation anerkannt wurde."
Den Preis zahlen die Spielerinnen Afghanistans
Die FIFA verweist also auf den afghanischen Verband. Für die Frauen, die in der Vergangenheit bereits große Opfer gebracht haben, um überhaupt Fußball spielen zu dürfen, ein Dilemma. Frauen, die 2018 im Zuge eines Misbrauchsskandals gegen den AFF aussagten und damit nicht nur ihr eigenes Leben, sondern auch das ihrer Familien riskiert haben. Und die auch deshalb 2021 so schnell wie möglich das Land verlassen mussten. Ein Land, dem die UN Gender-Apartheid vorwirft.
Die FIFA weiß all das - und arbeitet trotzdem weiter mit dem afghanischen Verband zusammen. "Trotzalledem ist es eine Kernpriorität der FIFA, sicherzustellen dass es für weibliche und männliche Spieler einen sicheren Zugang zum Fußball gibt, ohne Diskriminierung", teilt der Weltverband auf Anfrage mit: "Deshalb beobachtet die FIFA die Situation weiterhin genau und steht in engem Kontakt mit der AFF und anderen Stakeholdern mit dem Ziel, Zugang zum Fußball in Afghanistan zu ermöglichen."
Trotz dieser "genauen Beobachtung der Situation" in Afghanistan, fehlen bis heute öffentliche Statements der FIFA zu massiven Menschenrechtsverletzungen. So wurden beispielsweise im Februar in mehreren Fußballstadien Hinrichtungen durchgeführt vor Tausenden von Zuschauern. Auch öffentliches Auspeitschen findet in Sportarenen vor Publikum statt.
Ende März ließ die Talibanführung verlautbaren, ab sofort die Steinigung als Bestrafung für Ehebruch wieder einzuführen - vor allem gegen Frauen. Begleitet von der Ansage, dass es sich hierbei auch um einen Kampf gegen die im Westen propagierten Frauenrechte handele.