Clásico am Sonntag Schrill und schriller - Barcelonas Schiedsrichter-Affäre
Beim Clásico steht der FC Barcelona vor dem entscheidenden Schritt zur Meisterschaft in Spanien. Doch das Spiel gegen Rivale Real Madrid am Sonntagabend im Camp Nou (21 Uhr, im Sportschau-Live-Ticker) wird von der Schiedsrichter-Affäre der Katalanen überschattet.
Erst seit wenigen Tagen ist das Ermittlungsverfahren gegen den FC Barcelona eröffnet, und doch war über die zuständige Untersuchungsrichterin Silvia López Mejía schon eine ganze Menge zu erfahren. Gerade erst am Wochenende wurde bei ihr eingebrochen. Und vor vielen Jahren wurde sie mal zu einer Strafe verurteilt, weil sie bei einer Alkoholkontrolle den Verkehrspolizisten mit der Kraft ihres Amts gedroht hatte.
Ob jemand mit so einem personalisierten Verständnis von Recht und Ordnung eine Idealbesetzung für die Jurisprudenz ist, gehört freilich bislang nur zu den Nebenfragen im schrillen Tumult um Barças anrüchige Millionenzahlungen an einen Vizepräsidenten des spanischen Schiedsrichterkomitees. Mindestens seit 2001 und bis 2018 standen Firmen von José María Enríquez Negreira bei den Katalanen auf der Payroll.
Beweise für Manipulationen durch Barca gibt es noch nicht
Noch fehlt jede Art von Beweisen, dass damit Pfiffe erkauft worden sind. Aber der Imageschaden ist jetzt schon beträchtlich – und der Lärm noch größer.
Pünktlich zum Clásico ist vorige Woche auch der Erzrivale Real Madrid zur Attacke übergegangen – und beschloss, als Nebenkläger in das Verfahren einzutreten. Real wäre ja ein potenzieller Hauptgeschädigter, sollte der Erzrivale tatsächlich des Erkaufens von Ergebnissen überführt werden.
Zwar wiegelt eine Real-Legende wie Ex-Nationaltrainer Vicente del Bosque ab: "Barça hätte ohne Negreira genauso viel gewonnen". Auch Ex-Präsident Ramón Calderón erklärte, in seiner Amtszeit zwischen 2006 und 2009 nie den Eindruck von Mauscheleien gehabt zu haben.
Doch sein Nachfolger, der aktuelle Präsident Florentino Pérez, lässt den Vereinssender dieser Tage in Videozusammenschnitten gegen unliebsame Pfeifenmänner polemisieren – und verbreitet somit bewusst den Eindruck, das Schiedsrichterwesen sei zugunsten Barças korrumpiert.
Fans wedeln mit Laporta-Geldscheinen
Die Anspannung vor dem Clásico ist damit so groß wie zuletzt während der berüchtigten Trainerduelle zwischen Pep Guardiola und José Mourinho oder des Konflikts um die katalanischen Unabhängigkeitsbestrebungen. Zuletzt vor zwei Wochen im Pokal-Halbfinal-Hinspiel (0:1) wedelten Real-Fans mit Geldscheinen, darauf das Konterfei von Barça-Präsident Joan Laporta – im Amt bereits zwischen 2003 und 2010.
Ähnliche Szenen wiederholten sich bei Barças Auswärtsspiel am Sonntag in Bilbao. Die Vorverurteilung mache ihn traurig, sagte Trainer Xavi Hernández dazu. Laporta wettert: "Barça ist unschuldig in dem, was ihm vorgeworfen wird, und Opfer einer Kampagne." Aufklärung bietet der Klub bisher allerdings nicht an.
Ein Anhänger von Real Madrid protestiert mit einem Geldschein gegen den FC Barcelona. Die Banknote zeigt Barcelonas Präsident Joan Laporta.
Der Skandal fügt sich in eine endlose Serie von Affären. Nach wie vor in juristischer Bearbeitung sind die von Laportas Vorgänger Bartomeu in Auftrag gegebenen Verleumdungen von Kritikern und Klubspielern über obskure Accounts in den sozialen Netzwerken ("Barçagate").
Und die schwere Finanzkrise mit Schulden über eine Milliarde Euro ist auch noch nicht ausgestanden. Seit einer durch Verkauf von Klubvermögen finanzierten Transferoffensive im vorigen Sommer liegt man im Dauerclinch mit der Liga um die Einhaltung der Gehaltsobergrenze.
Umstrittene Transferoffensive hat sich gelohnt
Immerhin scheint sich der Hauruck-Akt gelohnt zu haben. Unter anderem dank der Treffer der Neuzugänge Robert Lewandowski – der mit 15 Treffern die Torschützenliste anführt – und Raphinha sowie der Abwehrkunst von ebenfalls neu verpflichteten Spielern wie Jules Koundé und Andreas Christensen führt Barça die Tabelle mit neun Punkten Vorsprung auf Real an. Eine herausragende Rolle spielt auch Marc-André ter Stegen. Erst acht Gegentore hat der deutsche Nationaltorhüter in 25 Spielen kassiert. Neunmal siegte Barça mit 1:0.
Die einstigen Offensivspezialisten arbeiten sich über eiserne Defensive wieder nach oben. Der Supercup (3:1 gegen Real) wurde ebenfalls schon gewonnen - und im Pokal würde beim Rückspiel in zwei Wochen ein Unentschieden zum Finaleinzug reichen.
Unter den vielen Krisen wäre damit immerhin die sportliche schon mal beendet. Und diese Saison könnte soweit auch niemand unter Korruptionsverdacht stellen. Schiedsrichterfunktionär Enríquez Negreira übt sein Amt seit 2018 nicht mehr aus. Auch die Zahlungen vom FC Barcelona wurden in jenem Jahr eingestellt.