365 Tage an der DFB-Spitze Ein Jahr Bernd Neuendorf – nicht fehlerfrei, aber verlässlich
Seit einem Jahr ist Bernd Neuendorf DFB-Präsident. Neuendorf war in der Zeit nicht fehlerfrei und agiert dennoch verlässlich und integer. Kerstin von Kalckreuth kommentiert.
Als Bernd Neuendorf vor ziemlich genau einem Jahr zum DFB-Präsidenten gewählt wurde, waberte Aufbruchstimmung durch das World Conference Center in Bonn. Endlich ein Präsident, der die Stimme der Amateure spricht, der für Diversität steht, der den alten Filz aus der DFB-Zentrale bürstet, der mit starker Stimme im politischen Berlin vorspricht und als gewiefter Politiker auch international glänzen kann.
Nach einem Jahr ist die Hoffnung der Realität gewichen – bisweilen auch der Ernüchterung. Es war ein kompliziertes Auftaktjahr für Bernd Neuendorf: der Ukraine-Krieg mit sich anschließender Energiekrise, die sportpolitische Blamage bei der umstrittenen Männer-WM in Katar und ein deutlich größeres Finanzloch beim Verband als gedacht. Bernd Neuendorf hat versucht, das auf seine Weise zu lösen. Das ist ihm oft gut, bisweilen aber auch gar nicht gelungen.
Neue Ernsthaftigkeit im Verband
Zu Neuendorfs Erfolgen zählt, dass er Ruhe in den zuletzt von Skandalen geschüttelten Verband gebracht hat. Neuendorf steht für eine neue Ernsthaftigkeit, für eine verbesserte Zusammenarbeit mit dem Deutschen Olympischen Sportbund und mit der Politik. So hat er sich zum Beispiel darum verdient gemacht, dass die Amateurklubs von der Energiepreisbremse profitieren.
Lehrgeld bezahlt Neuendorf da, wo ihm Expertise und Erfahrung fehlen. Auf internationalem Parkett rund um die Fußball-WM in Katar war das besonders auffällig: Es ist Neuendorf nicht gelungen, auf seriöse Weise mit dem DFB gegen die Missstände in Katar und das Gebaren der FIFA zu demonstrieren. Im Spagat zwischen der kritischen Öffentlichkeit in Deutschland und der Infantino-begeisterten überwältigenden Mehrheit der 211 FIFA-Mitgliedsverbände hat sich Neuendorf die Bänder gerissen. Die Wunde heilt nur langsam.
Mehr Einfluss dank Sitz im FIFA-Council?
Auch im Spitzenfußball ist Neuendorf noch nicht zu Hause. Nach dem Debakel von Katar musste er seinem Vizepräsidenten aus dem Profilager, Hans-Joachim Watzke, das Feld überlassen. Die Folge: Mit Rudi Völler gibt es jetzt einen Sportdirektor nur für die Männer, der unbestritten ein renommierter Fachmann ist, aber so ziemlich das Gegenteil von dem, für das Bernd Neuendorf eigentlich stehen wollte – Diversität und Visionen für eine erfolgreiche Zukunft des DFB.
Bleibt abzuwarten, was die Task Force präsentiert, die im Hintergrund gerade an der Optimierung der Verbandsstrukturen arbeitet. Zudem wird Bernd Neuendorf im April ins FIFA-Council gewählt. Davon verspricht er sich einen größeren Einblick in die FIFA-Belange und damit auch mehr Einflussmöglichkeiten.
Nach einem Jahr ist aus dem Hoffnungsträger Neuendorf ein verlässlicher Präsident auf dem Boden der Realität geworden – nicht fehlerfrei, aber integer und uneigennützig bei der Sache. Und das ist mehr, als der DFB in den vergangenen zehn Jahren hatte.