Frauenfußball-Boom DFB-Frauen: "Den Erfolg bestätigen, ist schwieriger"
Die EM im vergangen Jahr hat in Deutschland einen Frauenfußball-Boom ausgelöst. Doch wie nachhaltig ist der Aufschwung und wie wichtig ist Erfolg bei der WM in Australien und Neuseeland?
Nationalspielerin Svenja Huth findet es "sensationell, was im vergangenen Jahr abseits des Platzes passiert ist". Die 32 Jahre alte Offensivspielerin vom VfL Wolfsburg schwärmt von "vielen gebrochenen Zuschauerrekorden".
Ihre Teamkollegin Lena Oberdorf berichtet: "Man wird häufiger erkannt, wenn man auf den Straßen unterwegs ist. Auf Social Media haben wir den einen oder anderen Follower neu dazu gewonnen. Und man ist natürlich auch interessanter für TV-Auftritte und für Sponsoring-Anfragen."
"Man merkt einfach einen Unterschied", beschreibt die Frankfurterin Laura Freigang. "Genau das hatten wir uns ja durch die Europameisterschaft erhofft." Und die Münchnerin Sydney Lohmann erklärt: "Es hat echt funktioniert, dass wir die Euphorie mitnehmen. Wir haben es geschafft, die Menschen mit der Art und Weise, wie wir gespielt haben, zu begeistern."
Spiele in der Frauen-Bundesliga werden zum Event
Die Zahlen lassen keinen anderen Schluss zu. Ob in Frankfurt, Köln, Wolfsburg, Bremen oder auch Nürnberg (im Pokal gegen die "Wölfinnen") - landauf, landab haben die Clubs im vergangenen Jahr Zuschauerrekorde gefeiert. Allesamt haben wichtige Spiele in die großen Stadien der Männer verlegt - und dort wahre Fußball-Feste gefeiert.
"Der Frauenfußball hat sich in den letzten Jahren extrem weiterentwickelt. Und durch den kontinuierlichen Zuschaueranstieg ist auch ein Eventcharakter um die Spiele herum entstanden", erklärte Liga-Chef Tobias Trittel, der als Koordinator auch beim VfL Wolfsburg die Entwicklung vorantreibt.
Bundesliga-Zuschauerrekord pulverisiert
In der vergangenen Bundesliga verfolgten laut DFB genau 359.404 Fans die Spiele live im Stadion. Das entspricht einem Schnitt von 2.723 Zuschauenden pro Spiel. Der Zuspruch ist im Vergleich zum Vorjahr nahezu explodiert: Da waren es insgesamt noch 108.483 und im Schnitt 806 Fans gewesen. Zuschauerkrösus ist nunmehr Eintracht Frankfurt mit 64.093 Zuschauenden, gefolgt von Wolfsburg (63.256) und dem 1. FC Köln (59.306).
Die Europameisterschaft hat einen krassen Effekt gezeigt. Und der hat sich durch das ganze Jahr gezogen. Es ist total cool, dass wir das erreicht haben.
Doch auch andere Spiele verdeutlichen den Wandel: "Beim ausverkauften DFB-Pokalfinale in Köln oder auch beim Champions-Legue-Finale in Eindhoven war eigentlich kein Unterschied mehr festzustellen, ob man nun zum Frauen- oder zum Männerfußball geht", sagt Trittel. "Es ist einfach ein tolles Erlebnis."
Erstmals gab es jedes Bundesliga-Spiel im TV
Ein wichtiger Faktor ist auch die gestiegene Präsenz im Fernsehen gewesen. Ob in der Sportschau, den Dritten Programmen oder dem Sportstudio. Oder auch im Pay-TV.
"Seit 2021 werden alle Spiele der Frauenfußball-Bundesliga produziert - und damit überhaupt erst zugänglich gemacht", blickt Trittel zurück. "Diese Entwicklung hatten wir schon vor der EM angestoßen. Und so konnten die Menschen, nachdem bei der EM in England die Nachfrage erzeugt wurde, auch über die Saison hinweg mitgenommen werden. Sie hatten die Möglichkeit dranzubleiben."
Popp und Co. werden zu Vorbildern
DFB-Kapitänin Alexandra Popp und Co. haben es auch geschafft, immer mehr Mädchen für den Fußball zu begeistern. Laut DFB-Statistik waren in der abgelaufenen Saison mehr als 97.500 Mädchen bis 16 Jahre am Ball. Im Vergleich zum Vorjahr bedeutet das ein Wachstum von knapp zwölf Prozent. Und auch die Zahl der weiblichen Mitglieder im DFB ist um satte 5,6 Prozent auf 1,17 Millionen gestiegen.
Und auch der Verband durfte sich wieder über ein deutlich gestiegenes Interesse an den Spielen der Frauen-Nationalmannschaft freuen. Beim Test im vergangenen Oktober gegen Frankreich (2:1) kamen knapp 27.000 Fans in Dresdner Stadion. Und auch wenn die letzten Testgegner vor der WM alles andere als namhaft waren, konnten die Partien gegen Vietnam (2:1) und Sambia (2:3) trotzdem mit fünfstelligen Zahlen aufwarten.
Frankfurts Hellmann gibt den Mahner
Alles super also im deutschen Frauenfußball? Nicht ganz, es gibt auch andere Stimmen. Allen voran die von Axel Hellmann. "Die Gesamtheit des Produkts ist im Moment noch nicht marktfähig. Das muss man mal klar sagen: Das ist ein Zuschussgeschäft", stellte Frankfurts Vorstand zuletzt bei einer Veranstaltung des DFB die Wirtschaftlichkeit der Frauen-Bundesliga infrage und fügte hinzu: "Wir müssen uns schon vor Augen führen, dass wir da extrem viel zu tun haben. Im Moment macht der Frauenfußball ein 50stel des Erlösniveaus des Männerfußballs aus."
Die Gesamtheit des Produkts ist im Moment noch nicht marktfähig. Das muss man mal klar sagen: Das ist ein Zuschussgeschäft.
Untermauert wird diese Einschätzung durch den Saisonreport 2021/2022. Demnach schrieben die zwölf Erstligisten im Schnitt 1,5 Millionen Euro Minus.
Ohnehin sprach Hellmann von einem "Mangel an Spannung" in der Bundesliga. Es gebe eine "Drei-Klassen-Gesellschaft". Hinter Wolfsburg und Bayern kämen noch Hoffenheim und die Eintracht - und dann lange nichts mehr. Eine "Betonierung" dieses Zustands gefährde am Ende "die Attraktivität des Produkts".
Wolfsburg und Bayern als Vorbilder für den Rest?
Ligachef Trittel hält allerdings dagegen: "Ich sehe es nicht ganz so fatal wie Herr Hellmann. Dass wir noch weit davon entfernt sind, dass sich der Frauenfußball selbst trägt." Schließlich habe man gerade erlebt, wie schnell sich die Vermarktung und die Nachfrage entwickelt hätten. Das Maximum sei noch nicht erreicht. Zunächst gehe es um das "Equal Play", also die weitere Anpassung der Infrastruktur und Rahmenbedingungen im Vergleich mit den Männern. Dafür müsse nun einmal investiert werden.
Und auch den sportlichen Wettkampf bewertet er nicht so kritisch. "Es ist richtig, aber auch wichtig, dass die Bayern und wir vorangehen und eine gewisse Benchmark setzen", betont der VfL-Koordinator Frauenfußball. "Wir sind mit den Erfolgen Vorbilder und geben anderen Clubs Orientierung." Er hofft darauf, dass andere Clubs nachziehen werden.
Freigang: "Die Entwicklung weiter vorantreiben"
Doch was würde passieren, wenn auf das EM-Märchen ein WM-Trauma folgte? "Uns ist bewusst, dass es schnell nach oben, aber auch nach unten gehen kann", sagt Freigang. "Im Fußball geht es immer um den Erfolg, und Begeisterung wird vor allem durch Erfolge ausgelöst."
Ich glaube nicht, dass der ganze 'Boom' gleich wieder vorbei wäre, wenn die deutsche Mannschaft nicht wieder ins Finale kommen sollte.
Die Wolfsburgerin Jule Brand weiß: "Bestätigen ist immer schwieriger." Zumal die WM noch mal eine Nummer größer sei. "Aber wir wollen natürlich die Euphorie, wie wir sie im letzten Sommer hatten, wieder haben und die Leute in Deutschland mitreißen." Und darauf setzt auch Freigang: "Wir machen uns nicht so einen großen Kopf drum, sondern sehen die WM eher als Möglichkeit, die Entwicklung weiter voranzutreiben."
Und da setzt auch Trittel an: "Ich glaube, dass das Interesse am Frauenfußball nicht mehr komplett vom Erfolg abhängig ist. Dafür haben wir im vergangenen Jahr Grundsteine gelegt, die jetzt nicht sofort wegbrechen würden, wenn die deutsche Mannschaft nicht wieder ins Finale kommen sollte. Ich bin überzeugt davon, dass der ganze 'Boom' dann nicht gleich wieder vorbei wäre."