Spieler auf  Kunstrasen

Debatte um PFAS-Verbot Das Problem mit der Chemie im Kunstrasen

Stand: 24.04.2024 16:56 Uhr

Kunstrasen enthält PFAS, extrem langlebige Chemikalien, die Umwelt und Gesundheit schaden können. Politik und Industrie sind aufgeschreckt.

Die Ewigkeits-Chemikalien PFAS stecken in allen Kunstrasenplätzen, auf denen Kinder und Erwachsene in Deutschland Sport treiben, zudem in zahllosen anderen Alltagsgegenständen wie Outdoorjacken, Pfannen und Kosmetik. Die Hinweise auf negative Auswirkungen auf Mensch und Umwelt sind so deutlich, dass in der EU eine weitreichende Regulierung diskutiert wird. Die Wirtschaft macht dagegen mobil - auch am Mittwoch (24.04.2024) im Umweltausschuss des Bundestages.

Mehrere Vertreterinnen und Vertreter der Industrie warnten in der Öffentlichen Anhörung in Berlin vor weitreichenden ökonomischen Folgen, sollte die Regulierung so kommen, wie es Behörden aus Deutschland, den Niederlanden, Dänemark, Schweden und Norwegen vor einem Jahr vorgeschlagen haben. Diese Regulierung wäre bahnbrechend: Normalerweise muss erst nachgewiesen sein, dass eine Chemikalie schädlich sein kann, bevor sie verboten wird. Im Fall von PFAS soll dagegen eine ganze Chemikalien-Gruppe vorsorglich stark reguliert werden.

Mehr als 4.700 bekannte PFAS

Hintergrund ist, dass es zu lange dauern würde, alle der mehr als 4.700 bekannten PFAS auf ihre möglichen Auswirkungen zu untersuchen. Bisher ist dies nur in Einzelfällen geschehen, dabei wurden vor allem die Substanzen PFOA und PFOS als potenziell problematisch für Gesundheit und Umwelt ausgemacht - und verboten.

Weil die künstliche, nicht natürlich vorkommende Stoffgruppe PFAS schon seit Jahrzehnten eingesetzt wird, ist sie schon flächendeckend verbreitet, nachgewiesen in Böden, in der Luft, im Leitungswasser und im menschlichen Körper. Und weil PFAS so lange halten, reichern sie sich mit jedem weiteren Jahr ihrer Produktion an.

Tauziehen um Verbote und Ausnahmen

"Welche Schäden die langlebigen PFAS in der Umwelt auf Dauer anrichten können, ist häufig noch unerforscht. Wir versuchen daher mit dem nun veröffentlichten Vorschlag, diese Stoffe in der EU so weit wie möglich zu verbieten", sagte Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamtes, im Februar 2023.

Der Vorschlag sieht vor, dass PFAS nur noch dort eingesetzt werden dürfen, wo es absehbar keine geeignete Alternative geben wird oder wo die sozio-ökonomischen Vorteile überwiegen - was beispielsweise im medizinischen Bereich der Fall sein dürfte, vielleicht auch bei erneuerbaren Energien. Wer welche Ausnahmeregelungen bekommt, wird die Debatte weiter bestimmen.

Fluorpolymere in allen Kunstrasen

Hersteller von Kunstrasenplätzen werden wohl kaum auf eine Ausnahme hoffen dürfen. Ihr Produkt steht schon länger in der Kritik, auch wegen der Verbreitung von Mikroplastik. Gummi-Granulat, im schlechtesten Fall aus alten Autoreifen hergestellt, ist in einigen Ländern wie den Niederlanden und Norwegen verboten. Besonders strenge Richtlinien für die chemische Zusammensetzung gibt es zudem in Kalifornien.

Im Zuge der Diskussion über PFAS in Kunstrasen hat die Internationale Vereinigung von Sport- und Freizeiteinrichtungen (IAKS) im September 2020 eine Stellungnahme herausgegeben. Demnach seien die problematischen PFOA und PFOS noch nicht in Kunstrasen nachgewiesen worden. Allerdings seien Fluorpolymere für die Herstellung eines Prozesshilfsmittels Standard und mittelfristig alternativlos. Das Hilfsmittel sei "notwendig für die Extrusion und wird als Schmier- und Gleitmittel eingesetzt".

Hersteller werben mit PFAS-freiem Kunstrasen

Besagte Fluorpolymere könnten künftig ebenfalls von Einschränkungen betroffen sein. Die Wirtschafts-Lobby sieht darin eine Überregulierung, weil Fluorpolymere weniger schädlich seien als andere PFAS - wobei Konsens ist, dass weitere Forschung nötig ist.

Kunstrasen

Kunstrasen

Allerdings kommt beim Kunstrasen auch Bewegung in den Markt, einige Hersteller werben bereits mit PFAS-freiem Rasen, der auch die strengen Vorschriften in Kalifornien einhält. Der Druck strengerer Regulierungen scheint zu wirken.

Auch einige Hersteller von Outdoor-Sportkleidung haben sich vorgenommen, PFAS zu reduzieren oder zu verbannen. Und im Wintersport haben der Internationale Ski- und Snowboardverband FIS sowie die Internationale Biathlon-Union (IBU) Fluor-Skiwachs bereits verboten.

Erhöhte PFAS-Werte nach Fußballtraining

Zudem gibt es immer wieder beunruhigende Studien - wie jüngst eine Untersuchung der Arbeiterschutz-Organisation PEER aus Kalifornien. Die Organisation hat die PFAS-Belastung auf der Haut von Sechsjährigen und ihrer Trainer untersucht.

Nach einem Fußballtraining auf Kunstrasen verdoppelte sich die Konzentration in drei von vier Fällen - und zwar mit PFOS, der gefährlichen und verbotenen Verbindung, die laut IAKS in Kunstrasen eigentlich nicht vorkommen soll.

PFAS - das "Jahrhundertgift"

Per- und polyfluorierte Alkalysubstanzen (PFAS) sind so praktisch für die Industrie, weil sie wasser- und fettabweisend sind und vor allem lange halten. Letzteres ist ein großes Problem für die Natur, denn sie können, wenn sie freigesetzt werden, die Umwelt sehr lange belasten. Der BUND nennt PFAS deshalb "Jahrhundertgift".

Die Liste an Krankheiten, mit denen PFAS in Verbindung gebracht werden, ist lang und reicht von Krebs über Beeinträchtigungen des Immunsystems bis hin zu Entwicklungsstörungen bei ungeborenen Babys.