Leverkusen zu Gast in der Bretagne Stade Brest - Reifeprüfung für den erfolgreichen Außenseiter
Die einstige Fahrstuhlmannschaft von Stade Brest überrascht in der Königsklasse. Am Mittwoch gastiert Doublesieger Leverkusen in der Bretagne. Ein Spitzenspiel und Härtetest für das französische Team.
Am Samstag reichte es im bretonischen Duell mit Stade Rennes immerhin zu einem 1:1 für Stade Brest 29, das Team aus Finistère. Das Departement liegt im äußersten Nordwesten Frankreichs, dessen Ordnungszahl hat dem Klub die Ziffer 29 im Vereinsnamen eingebracht. Zwei andere aktuelle und relevante Nummern des Klubs lauten elf, sie ist normal, und zwei, sie ist surreal. Elfter ist Brest, ein unsteter französischer Klub, in der Tabelle der Ligue 1 nach acht Spieltagen, Zweiter aber nach zwei Partien mit sechs Punkten und 6:1-Toren in der reformierten Champions League.
Den Brestois, Debütanten in diesem Wettbewerb, gelangen Siege über Graz und Salzburg. Und am Mittwoch reist der deutsche Meister Bayer 04 Leverkusen in die Bretagne, der Vierte des Königsklassen-Rankings mit ebenfalls sechs Punkten. Leverkusens Mittelfeldspieler Granit Xhaka sagt: "Das wird ein echtes Spitzenspiel."
Der Trainer ist Coach des Jahres
Dass es so weit kommen würde für Stade Brest ist eine Überraschung nach der Sensation. Die Mannschaft des innovativen, erfahrenen und im Kader sehr beliebten Trainers Eric Roy, 57, erreichte in der Vorsaison Rang drei in der Liga hinter Paris Saint-Germain und der AS Monaco, ein großer Coup, erspielt von einer Elf der Normalos. Einen Megastar oder Supertorjäger hatte der Klub nicht zu bieten, die meisten Treffer erzielte Außenstürmer Romain del Castillo, es waren acht nach 34 Spielen. Doch das Team spielte sich in einen Flow und stellte mit dem defensiven Mittelfeldspieler Pierre Lees-Melou einen der formstärksten Spieler der gesamten Saison, klubübergreifend.
Trainer Eric Roy ist der Vater des Erfolgs bei Stade Brest.
Eric Roy wiederum, der weißbärtige Trainer aus dem Süden des Landes, wurde von den Spielern und Trainern der Ligue 1 zum Coach des Jahres gewählt. Es war die Krönung einer bizarren Karriere. Roy stammt aus Nizza, er war dort als Spieler eine Größe im defensiven Mittelfeld. 2010, nach seiner aktiven Karriere, half der damalige Sportdirektor Roy in der Not ohne Lizenz mit Sondergenehmigung als Trainer aus, schaffte den Klassenerhalt und wurde dennoch in der folgenden Saison wieder zurück auf den Posten des Sportchefs versetzt. Den musste er schließlich 2012 auch verlassen.
Vom Abstiegskandidaten in die Champions League
Anschließend arbeitete Roy als TV-Experte bei "Bein-Sports", als Manager beim RC Lens und als Sportdirektor beim FC Watford, ehe er als Experte zu "France Télévisions" wechselte. Dort hörte er Anfang 2023 auf, weil ihn plötzlich und völlig überraschend nach zwölf Jahren ohne Traineranstellung Stade Brest für diesen Job verpflichtete.
Der Klub hatte sich schon im Oktober 2022 von dem erfolglosen Coach Michel Der Zakarian getrennt, Brest belegte damals den letzten Platz. Danach übernahm zunächst ein gleichberechtigtes Trio den Klub: Bruno Grougi, als Spieler eine Klub-Ikone, Torwarttrainer Julien Lachuer und Athletikcoach Yvan Bourgis. Mit den Dreien gelang der Anschluss an die Nicht-Abstiegsplätze, ehe Roy das Kommando übernahm. Der hatte nach seinem Engagement in Nizza 2015 das Trainerdiplom nachgeholt, weil er Spaß an diesem Job gefunden hatte. Er absolvierte den Kurs im selben Jahrgang wie Zinédine Zidane.
Pendeln zwischen Liga vier, drei, zwei und eins
Der neue Trainer beließ das Aushilfs-Trio an seiner Seite, Roy implantierte dem Team ein 4-3-3-System, das es immer noch spielt. Der Klassenerhalt gelang letztlich mit Rang 14 in der damaligen 20er-Liga problemlos. Und im Mai 2024 folgten dank eines formidablen Teamspirits Rang drei und die Qualifikation für die Champions League in der auf 18 Vereine reduzierten Ligue 1.
Das wirkt wie ein bretonisches Wunder, denn in Frankreich hat der Name Stade Brest keinen besonderen Klang. Das Team wechselte häufig die Liga, es pendelte zwischen 1991 und 2004 sogar zwischen der vierten und der dritten Liga. Vor dem Absturz gab es ein Insolvenzverfahren, Brest hatte einen Schuldenberg von 150 Millionen Francs angehäuft. Ein gewisser Franck Ribéry half 2004 in seiner ersten Profisaison beim Aufstieg in die zweite Liga, in der sich der Klub seitdem überwiegend aufhielt. Seit 2019 ist er allerdings ununterbrochen Mitglied der Ligue 1. Die Platzierungen seitdem: 14, 17 (in einer 20er Liga), 11, 14 und 3.
Das Team von Stade Brest feiert mit den eigenen Fans den ersten Sieg in der Champions League.
Gespielt wird in Guingamp - ein Politikum
Der Erfolg kommt so unverhofft, dass der Klub sein in die Jahre gekommenes Stadion mit Namen Francis-Le Blé, das Platz für 15.000 Zuschauer bietet, in der Champions League nicht nutzen darf, die UEFA ließ es nicht zu. Der Klub muss stattdessen nach Guingamp ausweichen, 110 Kilometer östlich gelegen, was eine Autofahrt von 75 Minuten erfordert. EA Guingamp spielt aktuell in der Ligue 2, und ist seinerseits ein Phänomen. 7.000 Einwohner wohnen in der Stadt, En Avant gewann 2009 und 2014 sogar den französischen Pokal und spielte danach international in dem für diesen Anlass modernisierten Stade de Roudourou. Platz ist dort für 18.000 Zuschauer.
Doch der Wechsel ist ein Politikum. Die Fans beider Teams können sich nicht ausstehen. Die Ultras von EA erreichten sogar, dass ihre Kollegen aus Brest sich während der Champions-League-Spiele nicht auf ihrer Tribüne aufhalten dürfen. Sie werden in den Gästeblock verbannt. Die Leverkusener Fans stehen am Mittwoch stattdessen dort, wo ansonsten die Heimfans für Stimmung sorgen.
Brest-Stürmer Ludovic Ajorque spielte einst für Mainz 05 in der Bundesliga.
Stürmer Sima ist wieder fit
Am Mittwoch dürfte der von Brighton & Hove ausgeliehene Stürmer Abdallah Sima wieder fit sein, er fehlte zuletzt wegen Ischias-Beschwerden, trainiert aber schon wieder mit. Ihm gelangen in der Champions League beim 2:1 gegen Graz und beim 4:0 in Salzburg insgesamt drei Tore. Leihspieler wie Sima oder den ehemaligen Mainzer Ludovic Ajorque zu verpflichten, ist ein Prinzip dieses Klubs, dessen Budget trotz der Teilnahme an der Champions League um die 50 Millionen Euro beträgt. Das ist eines der kleinsten der gesamten Liga.