Wintermeister der Fußball-Bundesliga In Leverkusen schweigen sie laut
Von der Meisterschaft redet bei Bayer Leverkusen niemand, vielleicht ist das klug. Tabellenführer ist Leverkusen trotzdem. Beim Gegner RB Leipzig können sie davon nur träumen (Samstag ab 18.20 Uhr live in der Radio-Reportage und im Ticker bei der Sportschau).
Aussprechen mochte Lukas Hradecky das Unaussprechliche nicht, aber schweigen war in diesem Moment der Euphorie auch nicht drin. Also suchte er nach Worten. Er sagte: "Wenn wir das so seriös annehmen, dann, ja, weiß ich nicht." Über seine Antwort, die keine Antwort war, musste Hradecky lachen. Dann schwieg er lieber.
Hradecky, 34, ist seit fünfeinhalb Jahren Torhüter von Bayer Leverkusen, einem Klub, der oft oben mitspielte, aber nie Meister geworden ist. Das hat Tradition. Leverkusen wird deshalb "Vizekusen" genannt. Doch gerade wirkt es so, als mache der Klub eine Wandlung durch. Aus "Vizekusen" könnte "Meisterkusen" werden.
Ganz vorne steht Leverkusen - vor den Bayern
In der Fußball-Bundesliga sind 17 von 34 Spieltagen absolviert, die Hinrunde ist vorbei. Der Tabellenführer kommt diesmal nicht aus München, er kommt auch nicht aus Dortmund oder Leipzig. Ganz vorne steht Bayer Leverkusen: 45 Punkte, vier mehr als die Bayern, die aber ein Spiel weniger absolviert haben.
Über die Meisterschaft sprechen sie in Leverkusen trotzdem nicht gerne, da ist der Torhüter Hradecky keine Ausnahme. Nationalspieler Jonas Hofmann, 31, gab immerhin zu, dass ihm der Blick auf die Tabelle schon gefällt. "Ich habe immer noch Herzklopfen", sagte Hofmann nach dem Last-Minute-Sieg gegen Augsburg und meinte auch den Vorsprung auf die Bayern. "Das ist einfach nur geil."
Oft landete Leipzig vor Leverkusen
Am Samstagabend tritt der Tabellenführer Leverkusen beim Tabellenvierten RB Leipzig an, es ist das Spitzenspiel des 18. Spieltags. Eine Überraschung ist das nicht, überraschend ist nur, wie die Rollenverteilung vor dem Spiel ist.
Leipzig spielt seit der Saison 2016/17 in der Bundesliga, seitdem lag RB in der Tabelle nach dem letzten Spieltag in fünf von sieben Spielzeiten vor Leverkusen. Zuletzt trennten Marco Roses Leipziger am Saisonende sechzehn Punkte von Xabi Alonsos Leverkusenern. Nun trennen sie nach der Hälfte der Saison schon wieder zwölf Punkte, nur liegt diesmal Leverkusen deutlich vor Leipzig (33 Punkte, Rang vier).
Es gibt für diese Entwicklung Erklärungen. Manche sind ziemlich offensichtlich, in Leipzig haben sie manchmal auf wichtige Spieler verwiesen, die den Klub vor der Saison verlassen haben: Josko Gvardiol (Manchester City), Dominik Szoboszlai (FC Liverpool), Christopher Nkunku (FC Chelsea) oder Konrad Laimer (Bayern München). Oder auf Stammspieler, die viele Wochen oder gar Monate fehlten, weil sie verletzt waren. So wie Dani Olmo oder Kapitän Willi Orban.
Als Leipzigs Trainer Rose über die feinen Unterschiede sprach
Zuletzt, als Leipzig in der Bundesliga gegen Eintracht Frankfurt verloren hatte, sprach der Trainer Rose aber nicht über verletzte Fußballer oder solche, die nicht mehr für RB spielen. Er sprach über die feinen Unterschiede. Für seine Mannschaft hatten Statistiker gegen Frankfurt 26 Torschüsse notiert, aber kein Tor. "Wir schießen uns den Wolf, haben Großchancen ohne Ende und machen kein Tor", sagte Rose. "Das ist vielleicht auch das, was uns nach ganz oben hin fehlt."
Von denen ganz oben, von den Leverkusenern, unterschied Leipzig an diesem Spieltag tatsächlich vor allem dieser eine Treffer. Bayer Leverkusen hat in Augsburg 25 Mal aufs Tor geschossen und ein Tor erzielt, es fiel in der vierten Minute der Nachspielzeit. Der Held des Nachmittags war Exequiel Palacios.
"Das ist das Schönste im Fußball, wenn man es versucht, versucht, versucht und dann im letzten Moment trifft. Es ist ein euphorischer Moment für alle auf der Bank, für die Fans und auch für die Spieler", sagte der Trainer Xabi Alonso. Nur mit Glück habe die späte Entscheidung nichts zu tun gehabt: "Das ist eine Belohnung für ein gutes Spiel."
Wenn die Bundesliga zum Marathon wird
Alonso, 42, ist noch gar nicht so lange Trainer in Leverkusen, er kam im Herbst 2022. Da war der Klub Tabellenvorletzter. Er stabilisierte zunächst die Defensive und akzeptierte, dass darunter das Offensivspiel litt. Dann ging er das mit der Offensive an. Heute ist Leverkusen eine Ballbesitzmannschaft, die auch Defensivarbeit kann. Eine, die schönen Fußball spielt und Erfolg hat. Die auch knappe Spiele wie gegen Augsburg gewinnt.
Nach dem Spiel hat Leverkusens Hofmann dann doch einmal über den Titel gesprochen, nur verpackte er diese Erzählung in einen Vergleich. Das Wort Meisterschaft nannte er nicht. In Leverkusen schweigen sie laut. Hofmann verglich die Saison mit einem Marathon. Die Hälfte der Strecke, so sah er das, seien sie bei Bayer Leverkusen gelaufen. Er sagte: "Jeder, der einen Marathon läuft, will am Ende ins Ziel rennen. Dafür tun wir alles."