Fall Mazraoui FC Bayern - Fehlende Positionierung als Prinzip
Ob sexuelle Gewalt wie bei Rubiales, Körperverletzung wie bei Boateng oder Antisemitismus wie nun bei Noussair Mazraoui - bei Menschenrechtsfragen lässt der FC Bayern München jegliche Positionierung vermissen. Ein Kommentar.
Zugegeben, angesichts der Situation in Israel und Gaza ist es durchaus nachvollziehbar, dass die Geschehnisse auch an Bundesliga-Spielern nicht spurlos vorbeigehen. Am 7. Oktober 2023 überfiel die Terrororganisation Hamas Israel und richtete ein Massaker an. 1.400 Jüdinnen und Juden wurden vergewaltigt, ermordet, geschändet, rund 200 Menschen als Geiseln nach Gaza verschleppt. Die israelische Regierung reagierte mit massiver Bombardierung palästinensischer Gebiete. Es starben Hunderte Zivilisten, auch unter ihnen Frauen, Kinder und ältere Menschen.
Dass auch Fußball-Spieler sich dazu äußern wollen, ist also nachvollziehbar. Vor allem dann, wenn sie persönlich betroffen sind. Sei es als Israelis, als Jüdinnen und Juden oder Menschen mit palästinensischen Wurzeln. Wo Menschen sterben, wo Familienangehörige sterben, da sind unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer Community immer auch Schmerz, Trauer und Wut.
Worten folgen keine Handlungen beim FC Bayern
Und trotzdem muss eines klar sein: Es gibt keinen Platz für Antisemitismus. Der Terror der Hamas ist kein Befreiungskampf. Und wo bei allem Mitgefühl und aller Menschlichkeit die Grenze zum Antisemitismus verläuft, ist ziemlich klar.
Im Januar 2021 haben alle Bundesligavereine die Arbeitsdefinition zu Antisemitismus der IHRA, der International Holocaust Rememberance Alliance anerkannt. FC-Bayern-Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge erklärte zu diesem Anlass: "Antisemitismus hat in unserer Gesellschaft nichts verloren. Die Übernahme der IHRA-Definition ist ein gutes Beispiel, wie man als Zivilgesellschaft Diskriminierung und Hass entgegentritt."
Das Problem an solchen Definitionen scheint zu sein, diese Worte auch mit Leben zu füllen. Zumindest beim FC Bayern München. Denn im Umgang mit dem von Noussair Mazraoui geteilten Instagram-Post, in dem den Palästinensern "der Sieg" gewünscht wird, fehlt nicht nur eine Entschuldigung des Spielers selbst. Es gibt auch keinerlei Konsequenzen seitens des Vereins.
Die veröffentlichte Pressemitteilung lässt jegliche Einordnung der Äußerungen des Spielers vermissen. Der Vorsitzende der FC Bayern München AG, Jan-Christian Dreesen, lässt sich lediglich mit einem generellen Statement zitieren, in dem er den Spieler halbherzig entschuldigt: "Noussair Mazraoui hat uns glaubwürdig versichert, dass er als friedliebender Mensch Terror und Krieg entschieden ablehnt. Er bedauert es, wenn seine Posts zu Irritationen geführt haben." Das Wort Antisemitismus ist in dem Statement nicht mal enthalten.
Antisemitismus muss Konsequenzen haben
Dass es auch anders geht, haben die Verantwortlichen des 1. FSV Mainz 05 gezeigt. Sie stellten ihren Stürmer Anwar El Ghazi wegen eines antisemitischen Posts mit sofortiger Wirkung frei und begründen diesen Schritt damit, dass die Äußerungen des Spielers nicht mit den Werten des Klubs in Einklang stehen. El Ghazi hatte in einem Post eine Losung geteilt, die Israel das Existenzrecht abspricht und die inzwischen auch von der Berliner Staatsanwaltschaft als klar antisemitisch und strafbar eingeordnet wird.
Auch der inzwischen gelöschte Post von Mazraoui war eindeutig antisemitisch. Auch darin wurde Israel das Existenzrecht aberkannt. Dass eine klar antisemitische Äußerung aber weder als solche benannt wird, noch irgendwelche Folgen für den Spieler hat, das geht so nicht. Ein persönliches Statement des Spielers mit der Bitte um Verzeihung wäre das Mindeste gewesen. Und es ist auch möglich, den Terror der Hamas als antisemitisch zu kennzeichnen und zu verurteilen und gleichzeitig die jüdischen Opfer in Israel und die zivilen Opfer in Gaza zu betrauern. Auch für einen Bundesliga-Profi.
Antisemitismus, zumal israelbezogener Antisemitismus, ist keine Lappalie. Es sterben Menschen. Es werden hier in Deutschland Menschen bedroht. Brandsätze auf eine Synagoge geworfen. Allein in den vergangen zwei Wochen haben auch hier antisemitische Übergriffe massiv zugenommen. In der ersten Woche nach den Massakern der Hamas vermeldet der Bundesverband RIAS im Schnitt 22 verifizierte, israelbezogene antisemitische Angriffe pro Tag. Und der FC Bayern ... schweigt. Wie so viele andere Sportverbände und -vereine auch. Aber beim FC Bayern häufen sich die Fälle, in denen versäumt wird, sich klar zu Menschenrechten zu bekennen und entsprechend zu handeln.
Auch bei Rubiales und Boateng keine klare Position
Stattdessen weichen die Verantwortlichen wiederholt einer klaren Positionierung in Menschenrechtsfragen in der Öffentlichkeit aus. Allein in den vergangenen zwei Monaten hätte der Verein mehrfach die Gelegenheit gehabt, sich klar zu positionieren. Zum Beispiel, als es um den Übergriff des inzwischen suspendierten spanischen Verbandspräsidenten Luis Rubiales ging. Bis heute hat sich der Verein nicht vom Statement seines Aufsichtsratsmitglieds Karl-Heinz Rummenigge distanziert, der die Aktion seines Ex-UEFA-Exko-Kollegen Luis Rubiales verharmlost hat.
Als es darum ging, sich klar zu den Vorwürfen gegen Jêróme Boateng zu verhalten, wurden die vor Gericht verhandelten Vorwürfe der gewaltvollen Übergriffe gegen seine Ex-Partnerin zur "Privatsache" deklariert. Trotz des Awareness-Konzepts "Obacht", das eine klare Positionierung des FC Bayerns verspricht, wenn es um Diskriminierung, Hass und Gewalt geht – und zwar auf allen Ebenen des Vereins.
Und jetzt steht auch noch Antisemitismus auf der Liste der Menschenrechte, zu denen die Verantwortlichen innerhalb der FC Bayern München AG lieber schweigen. Bei denen symbolische Gesten herhalten müssen, wie die ohne Frage großzügigen Spenden an die jüdische Gemeinde in München. Aber wenn es darum geht zu handeln, sich klar gegen Antisemitismus zu positionieren und auch entsprechende Konsequenzen folgen zu lassen, wenn sich ein Spieler antisemitisch verhält, dann passiert einfach nichts.
Große gesellschaftliche Verantwortung
Dabei hat ein Verein, gerade wenn er eine so große, weltweite und vielfältige Fangemeinde hat, eine ebenso große gesellschaftliche Verantwortung. Nicht nur die Spieler des Vereins erreichen mit ihren Social-Media-Kanälen und Statements Millionen von Menschen weltweit. Auch der Verein selbst.
Es reicht einfach nicht, irgendwelche Banner hochzuhalten, auf denen etwas von Respekt und Anti-Rassismus steht. Es reicht nicht, die Münchner Arena in Regenbogenfarben anzustrahlen, wenn hinter der symbolischen Geste kein Leben, keine echte Überzeugung steckt. Dann sind all diese Statements nicht mehr als Marketing. Und es reicht eben auch nicht, sich nach einem antisemitischen Statement eines Spielers hinzustellen und zu sagen: Das hat er nicht so gemeint.
Antrag auf Satzungsänderung steht bevor
Erst recht nicht, wenn am 11. und 12. November 2023 auf der Jahreshauptversammlung des FC Bayern der Antrag auf Satzungsänderung des e.V. durchgehen sollte, der immerhin die Mehrheitsbeteiligung an der FC Bayern München AG hat. Dann soll dem Paragrafen 2 "Zweck und Aufgaben" das Wort "Werte" hinzugefügt werden. Und unter 3. steht, dass der Klub "verfassungs- und fremdenfeindlichen sowie antidemokratischen Bestrebungen und jeder weiteren Form von diskriminierenden, menschenverachtenden oder antisemitischen Einstellungen […]" entschieden entgegentritt.
Wie der e.V. dann die AG dazu anhalten will, diese Leitlinien auch im Profifußball umzusetzen, bleibt abzuwarten. So wie sich die Verantwortlichen des Profifußballs gerade jeder Positionierung und Übernahme von Verantwortung verweigern, geht es jedenfalls nicht.