Social Media Die Bundesliga auf "X": Bleiben oder gehen?
Nirgends ließ sich besser, schneller und pointierter über Fußball diskutieren als auf Twitter. Doch die Übernahme des Social Networks durch Elon Musk hat die Plattform maßgeblich verändert. Das merken auch die Bundesligaklubs.
8. Juli 2014 - WM-Halbfinale Deutschland gegen Brasilien. Ein historischer Abend - auch für Twitter. An diesem Abend wurde dort ein Rekord aufgestellt: Der 7:1-Sieg des deutschen Teams war das bis dahin meist kommentierte Sportevent - und das schon zur Halbzeit.
Sport und Twitter sind wie geschaffen füreinander. In damals noch 140 Zeichen ließ sich in Echtzeit jedes Sportevent weltweit kommentieren. Alles, was dafür nötig war: ein Smartphone, die App mit dem blauen Vogel, Internet - und irgendeine Möglichkeit das Spiel zu verfolgen. Twitter war das internationale Lagerfeuer der Sportfans.
Bundesligisten waren früh dabei
Viele Bundesligisten waren früh dabei, haben seit 2009 mindestens einen Account dort, haben sich über die Jahre eine große und treue Fangemeinde erarbeitet. Allen voran der FC Bayern München, dem allein auf seinem deutschen Kanal 7 Millionen Accounts folgen, mit großem Abstand dahinter der BVB (4,4 Millionen) und Schalke (knapp 790.000).
Twitter ist der place to be für Fußballfans, die ganz dicht dran sein und keine News ihres Vereins verpassen wollen. Das wissen auch die Vereine. "Rund um den SC Preußen Münster hat sich eine sehr lebhafte, kreative und humorvolle Community entwickelt, mit der wir uns sehr gerne und intensiv austauschen." So oder ähnlich antworten viele der Presseverantwortlichen auf eine Anfrage von sportschau.de an alle Klubs der 1. und 2. Bundesliga.
Drastische Kehrtwende unter Elon Musk
Inzwischen heißt das Netzwerk nicht mehr Twitter, sondern "X", ist nicht mehr blau, sondern schwarz - und den kleinen Vogel hat ein Multimilliardär aus den USA abgeschossen: Elon Musk. Seit ziemlich genau zwei Jahren ist er alleiniger Eigentümer der Plattform, hat sie nach seinen Wünschen umgestaltet.
Unter dem Vorwand absoluter Redefreiheit hat Musk bereits kurz nach der Übernahme Accounts von zuvor gesperrten Rechtsextremisten wieder freischalten lassen, obwohl sie Hassrede und Gewaltandrohungen verbreiteten. Noch in derselben Woche verzeichnete das amerikanische "Center for Countering Digital Hate" (CCDH) eine Verdreifachung der Hassrede gegen Schwarze und People of colour, Homosexuelle, Frauen sowie Jüdinnen und Juden.
Moderation extrem herunter gefahren
Unternehmensintern wurde das Netzwerk massiv umgebaut. Viele Mitarbeitende wurden entlassen. Auf Moderation wurde in der Folge fast ganz verzichtet. Verträge mit Firmen, die Hassrede, Rassismus, Antisemitismus, Darstellungen von Gewalt oder sexuellem Missbrauch an Kindern identifizieren und löschen sollten, wurden gekündigt. Angeblich werden diese Aufgaben inzwischen von Künstlicher Intelligenz übernommen.
Die Erfahrungswerte zeigen allerdings: Gelöscht wird nur noch selten - auch dann nicht, wenn die Inhalte klar gegen die Menschenrechte verstoßen.
Vereine betrachten Entwicklungen mit Sorge
Auch den Verantwortlichen der Bundesligavereine ist bewusst, dass sich die Plattform stark verändert hat. So schreibt der VfL Bochum: "Der Verbreitung von Fake News, Beleidigungen und rassistischen Äußerungen wird zu selten Einhalt geboten, dagegen ist das Melden und Sperren kompliziert beziehungsweise oftmals erfolglos."
Obwohl es auch bei Twitter schon schwierig war, Hassrede zu melden und löschen zu lassen, bei X ist es nahezu unmöglich, auch weil menschliche Ansprechpartner*innen fehlen.
Musk selbst ein Treiber von Verschwörungserzählungen
Musk selbst verbreitet neben antisemitischen Äußerungen und Hass gegen seine eigene Tochter, aktuell Verschwörungserzählungen im Hinblick auf die anstehende US-Wahl, warnt vor angeblichem Wahlbetrug, sollten die Demokraten gewinnen. Den Wahlkampf von Donald Trump, der am 6. Januar 2021 zum Sturm auf das Kapitol aufrief, unterstützt Musk mit Millionen.
Entwicklungen, die auch die Pressesverantwortlichen von Bayer 04 Leverkusen beunruhigen: "Die zunehmende Radikalisierung und unvorhersehbare Richtung, die Elon Musk der Plattform gibt, beobachten wir mit Besorgnis." Das gelte auch für Musks politische Äußerungen, die nicht nur die Nutzerwahrnehmung, sondern auch die Verlässlichkeit der Plattform zunehmend beeinflussen würden.
"Musk hat die Plattform X in eine politsche Waffe verwandelt", kommentiert der Journalist Martin Fehrensen vom Social Media Watchblogdie Entwicklung. "Es ging ihm nie darum, aus Twitter ein profitables Unternehmen zu bauen. Musk hat von Anfang an das Ziel verfolgt, progressive Stimmen verstummen zu lassen."
Sport als Wirtschaftsfaktor für die Plattform
Inhalte von Sportvereinen und Events spielen für X eine große Rolle. In einer Präsentation von X für potentielle Werbekunden von 2023 ist zu sehen, dass Sport mit Abstand die meisten Inhalte generiert. Für Unternehmen ist das durchaus interessant, denn hier lässt sich sicher eine große Zahl potentieller Kunden erreichen. Das heißt: Die Inhalte von Bundesligaklubs und ihren Fans sind für X selbst ein Wirtschaftsfaktor.
Das gilt umgekehrt auch für die Vereine: Hohe Reichweiten in sozialen Medien machen sie attraktiv für Sponsoren. Je größer die Reichweiten, desto mehr Fans bekommen die Werbebotschaften angezeigt. Für die Vereine bedeutet das bares Geld, denn diese Reichweiten sind relevante Größen in den Medienverträgen.
Die Bundesligisten stehen vor einem Dilemma
Gleichzeitig verstehen sich viele deutsche Vereine als Teil einer demokratischen Basis. Sie treten aktiv ein gegen Rassismus, Antisemitismus, Homophobie - Werte, die Musk mit Füßen tritt. Für einige Klubs ist das genau der Grund, warum sie - noch - auf der Plattform bleiben wollen: "Wir lehnen die rechtspopulistischen Äußerungen von Musk klar ab und nutzen X vor allem zur politischen Gegenrede", antwortet zum Beispiel der Pressesprecher des FC St. Pauli auf die Frage, wie die aktuellen Entwicklungen der Plattform beobachtet werden.
Auch die Frage, warum es aktuell schwer ist, die Plattform zu verlassen, wird ähnlich beantwortet: "Wir als VfB Stuttgart (wollen) die Fans auch über den Kanal X weiterhin erreichen und mit ihnen interagieren. Außerdem positioniert sich der VfB - gerade auch auf X - unmissverständlich gemäß seiner Werte und steht dafür aktiv ein." Man müsse die Plattform unabhängig von seinem Eigentümer betrachten.
Fußball umgeben von Falschmeldungen und Desinformation
Allein, das fällt schwer. "Durch die große Popularität von Musk und die breite Berichterstattung zum Kauf der Plattform werden Netzwerk und Person meiner Einschätzung nach bei den Rezipienten nicht getrennt." sagt Medienwissenschaftlerin Inga Oelrichs. Und Social-Media-Experte Fehrensen gibt zu bedenken: "Social Media Plattformen sind nie neutral. Nicht demokratisch gewählte, weiße, extrem privilegierte, mittelalte Männer bestimmen, welche Inhalte wie viel Reichweite erhalten. Bei X sind es vor allem die Inhalte von Musk selbst oder aber Inhalte, die seinen Vorstellungen entsprechen."
Elon Musk bei einer Wahlkampfveranstaltung für Donald Trump
Hashtags von Spielpaarungen werden zudem regelmäßig gekapert, um Desinformation zu verbreiten. Sei es zum Krieg gegen die Ukraine oder dem sich ausweitenden Krieg Israels in Gaza und dem Libanon. Fans, die diesen Hashtags folgen, werden automatisch auch diesen Inhalten ausgesetzt.
Glaubwürdigkeit von Quellen schwer überprüfbar
Da stellt sich durchaus die Frage, ob das ein adäquates Umfeld ist, um sich als Verein auf der Plattform zu präsentieren. Zumal es schwer geworden ist, die Glaubwürdigkeit von Quellen zu überprüfen seit sich alle blaue oder goldene Haken kaufen können.
"Bei der Vermarktung über soziale Medien stehen bei den Bundesligaklubs vornehmlich wirtschaftliche Interessen im Vordergrund", sagt auch Medienwissenschaftlerin Oelrichs mit Blick auf den internationalen Markt: "Dabei ist es sicher nicht im Interesse der Klubs, desinformierende Inhalte auf X zu unterstützen."
Auf die Frage, wann ein Grund gegeben wäre, die Plattform zu verlassen, antwortet Bayer 04 Leverkusen: "Sollten Musks politische Positionierungen, die Förderung kontroverser oder polarisierender Inhalte oder grundlegende Änderungen an den Richtlinien dazu führen, dass unsere Beiträge in den Hintergrund gedrängt oder mit ungeeigneten Themen assoziiert werden, müssten wir die Plattformnutzung überdenken."
Es fehlt eine Alternative
Bleiben oder gehen? Das ist nie eine einfache Frage. Aber es ist höchste Zeit sich zu fragen, wie viele rote Linien noch überschritten werden müssen, bis es heißt: Bis hier hin und nicht weiter. Für Fehrensen ist klar: "X gehört nicht nur Elon Musk, die Plattform ist Musks wichtigstes Instrument geworden, um sich und seinen radikalen Ansichten uneingeschränkt Gehör zu verschaffen. Demokraten haben dort nichts mehr zu suchen."
Natürlich steht für die Vereine viel auf dem Spiel. Sie müssen wirtschaftlich denken. Und bisher, so schreiben viele Medienverantwortliche, fehle eine passende Alternative. Communities lassen sich nicht einfach umziehen. Es dauert lange, woanders ähnliche Reichweiten aufzubauen. Einige Vereine versuchen sich gerade auf BlueSky, andere haben WhatsApp-Kanäle für sich entdeckt.
Sprengpotenzial für Demokratien
Zur Wahrheit gehört aber auch: Bundesligaklubs und ihre Inhalte werden instrumentalisiert. Sie füttern ein Netzwerk, das Desinformation, Hassrede und Menschenrechtsverletzungen nicht nur zulässt, sondern aktiv unterstützt. "Elon Musk ist der mächtigste und gefährlichste politische Influencer Welt", sagt Martin Fehrensen. "Er könnte zum Steigbügelhalter für einen rassistischen, autoritären und demokratiefeindlichen US-Präsidenten werden."
Damit ist diese Plattform geeignet, Demokratien zu zerstören. Das gilt auch für die Bundestagswahl 2025 in Deutschland. Vielleicht wird es höchste Zeit, die Frage öffentlich zu diskutieren, ob und wie lange X noch eine Plattform für ein friedliches Miteinander sein kann - nicht nur, aber eben auch von Fußballklubs und ihren Fans. Eine Diskussion, der sich auch die Sportschau stellen muss, die ebenfalls noch auf X vertreten ist.