Eklat bei Fecht-WM Ukrainerin Charlan gewinnt gegen Russin - und wird disqualifiziert
Weil sie ihrer russischen Gegnerin Anna Smirnowa den Handschlag verweigerte, ist die ukrainische Top-Fechterin Olha Charlan bei der Fecht-WM disqualifiziert worden. Trotz ihres 15:7-Sieges durfte Charlan in der zweiten Runde gegen die Bulgarin Joana Ilijewa nicht mehr antreten. Es ist der vorläufige Tiefpunkt des konfliktreichen Aufeinandertreffens ukrainischer und russischer Fechter bei der WM in Mailand.
Schon dass Charlan gegen Smirnowa angetreten war, ist bemerkenswert. Sportliche Duelle zwischen der Ukraine und Russland sind seit Beginn des Krieges sehr selten, Sonderregelungen wie im Tennis sind eine Ausnahme. Die viermalige Einzel-Weltmeisterin Charlan bezwang Smirnowa klar mit 15:7, begleitet von "Slawa Ukraini"-Rufen ihrer 20-köpfigen Delegation, übersetzt "Ruhm der Ukraine".
Nach dem Gefecht ging die Russin auf Charlan zu und streckte die linke Hand aus. Die Ukrainerin schüttelte jedoch nur kurz den Kopf und hielt ihr ihren Säbel entgegen. Smirnowa weigerte sich daraufhin, die Fechtbahn zu verlassen, blieb einfach stehen. Irgendwann bekam sie einen Stuhl gereicht. Der Kampfrichter redete vergeblich auf die Russin ein, bis diese dann nach 45 Minuten doch Platz für die längst wartenden Fechter nach ihr machte.
Anna Smirnowa sitzt protestierend auf der Planche.
Ukraine weicht Startverbot auf
Zwei Stunden später folgte Charlans Disqualifikation, der internationale Fechtverband FIE hielt sich dabei an sein Regelwerk. Demnach müssen "die beiden Fechter (...) dem Gegner die Hand schütteln, sobald die Entscheidung gefallen ist".
In der Ukraine war das Entsetzen groß. Der Ausschluss sei "absolut beschämend", schrieb Mychajlo Podoljak, Berater des Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, in den Sozialen Netzwerken. Auch das Internationale Olympische Komitee schaltete sich ein und forderte die Sportverbände auf, sensibel mit Aufeinandertreffen zwischen ukrainischen und russischen Athleten umzugehen. Der ukrainische Verband legte Protest gegen die FIE-Entscheidung ein.
Keine Überraschung für Hartung
"Leider war zu befürchten, dass es so einen Fall geben könnte", sagte der ehemalige deutsche Fechter und Athletensprecher Max Hartung im Sportschau-Gespräch. "Es war sehr unglücklich, dass es bereits in der ersten Runde zu dieser Paarung kam, es ist ja der wichtigste Wettkampf. Für den Wettkampf und Olha ist es sehr schade und traurig."
Bei der WM dürfen Fechterinnen und Fechter aus Russland und Belarus in den Einzelwettbewerben als neutrale Athleten starten. Die ukrainische Regierung hatte ihren Sportlern als Reaktion auf den Krieg zunächst untersagt, gegen Russen oder Belarusen anzutreten. Am Mittwoch wurde diese Vorgabe jedoch geändert, nun sind nur noch Kämpfe gegen Sportler untersagt, "die die Russische Föderation oder die Republik Belarus repräsentieren".
Igor Reislin tritt nicht gegen Russen an
Zuvor war der ukrainische Degenfechter Igor Reislin war am Mittwoch nicht gegen den Russen Wadim Anochin angetreten und hatte so auf eine mögliche Medaille verzichtet. Auch Charlan hatte im März gegenüber der Sportschau gesagt, sich nicht vorstellen zu können, gegen Russinnen zu kämpfen.
Zuletzt verkündete Charlan aber, gerne gegen Russinnen fechten zu wollen. "Es ist wichtig für unsere Nation, dass wir nicht auf der Couch sitzen bleiben", sagte die 32-Jährige vor der WM der Nachrichtenagentur AFP. Die Soldaten an der Front verfolgten ihre Gefechte, führte Charlan aus.
Als Vorbild nannte sie Tennis. Wie ihre Kolleginnen dort würde sie nach einem Gefecht einer Russin den Handschlag verweigern. "Ihr Land bombardiert und tötet unsere Landsleute", sagte sie.
Was passiert bei Olympia?
Der internationale Fechtverband FIE hat viele Verbindungen nach Russland. Bis Kriegsbeginn war der russische Oligarch Alischer Usmanow FIE-Präsident, aktuell lässt er sein Amt ruhen.
Mit den Vorfällen von Mailand wurde ein Jahr vor Olympia erneut deutlich, dass der von IOC-Präsident Thomas Bach erhoffte "normale" Wettkampf zwischen Ukrainern und Russen - auch als neutrale Athleten - schwierig realisierbar ist. Noch ist die Olympia-Teilnahme der "neutralen" Sportler aus Russland und Belarus in Paris nicht offiziell. Sollte dieser Fall jedoch eintreten, droht ein Boykott der Ukraine.