WDR-Sport "Verzweiflung, Frust, Wut": Fechterin Ndolos emotionaler Nationenwechsel
2022 holte die Leverkusenerin Alexandra Ndolo noch WM-Silber für Deutschland, nun tritt sie für Kenia auf die Planche. Ein Wechsel, der zahlreiche Herausforderungen mit sich brachte.
Nur zu gerne denkt Alexandra Ndolo noch einmal zurück. An die WM in Kairo im Vorjahr, an den "ganz schön emotionalen" Moment, als sie überraschend Silber gewann und den deutschen Fechtern die einzige Medaille bescherte.
Silbermedaille als Wendepunkt
Es war der größte Erfolg ihrer Laufbahn - und gleichzeitig ein Wendepunkt in ihrer Karriere. Denn kurz darauf wechselte die für den TSV Bayer 04 Leverkusen startende Degenspezialistin den Verband. Nun reist Ndolo erneut als große Hoffnungsträgerin zur WM (22.07. - 30.07.2023) nach Mailand, aber nicht für Deutschland, sondern für Kenia. Sie habe nach dem Triumph mitbekommen, wie sich die Menschen in Kenia, dem Herkunftsland ihres Vaters, gefreut hätten, so die 36-Jährige. Da habe sie gewusst, dass sie dort, wo den Sport noch kaum jemand kennt, "richtig was vorantreiben kann".
Ndolo fördert Fechtsport in Kenia
Seit Jahren engagiert sich Ndolo bereits in Kenia. Sie ist Mitgründerin des nationalen Fechtverbandes, sammelt Ausrüstung für den Nachwuchs, organisiert Kurse in Slums oder an Schulen und ist immer wieder selbst vor Ort. Der Wechsel ist eine Herzensangelegenheit - er sorgte aber auch für "Verzweiflung, Frust oder Wut". Etwa wenn sie rassistischen Anfeindungen ausgesetzt ist.
Als ich für Deutschland gestartet bin, gab es Menschen, die meinten, dass ich nicht deutsch genug sei. Dann wechselt man und dieselben Leute sagen: Jetzt verlässt die Deutschland, obwohl sie so lange im Fördersystem war und verrät ihr Vaterland.
Alexandra Ndolo
Zudem sei bei der Fecht-Konkurrenz nach dem Wechsel mehr über sie als mit ihr gesprochen worden. Mit dem Deutschen Fechter-Bund (DFeB), beteuert sie, sei "nach dem ersten Schock" dagegen alles in Frieden auseinandergegangen. Natürlich sei seit der Entscheidung "auch die eine oder andere Träne geflossen", gab Ndolo zu - vor allem aufgrund der finanziellen Situation.
Finanziell unsichere Zeit
Die Förderung in Deutschland fiel weg, Hotels, Flüge, Verpflegung, all das finanziert und organisiert die Einzelkämpferin, die in Leverkusen trainiert, inzwischen selbst. Es sei "nicht schön zu wissen, ob man die nächsten Monate die Miete, ob man die nächste Mahlzeit bei einem Turnier bezahlen kann. Es kam vor, dass ich nicht wusste, ob meine Kreditkarte noch ausreicht", sagte die EM-Dritte von 2019.
Wenn sie dann aber in Kenia sei "und die jungen Athletinnen und Athleten fechten sehe", gebe ihr das "sehr viel". Zudem denke sie daran, dass sie als frisch gekürte Afrikameisterin und Sechste der Weltrangliste beste Chancen auf ihre erste Olympia-Teilnahme besitzt. "Und ich weiß, dass das dem kenianischen Fechtsport sehr, sehr viel geben würde", sagte Ndolo. Hilfreich wäre auch eine erfolgreiche WM, am Dienstag (25.07.) tritt sie mit der kenianischen Flagge auf dem Anzug auf die Planche. Ihre Ziele verrät sie nicht, nur so viel: "Alles", sagte Ndolo, "was jetzt noch kommt, ist on top."