Vor Darts-EM Martin Schindler - "Habe gelernt, mit meiner Angst umzugehen"
Bei der Darts-Europameisterschaft in Dortmund geht Martin Schindler als Nummer eins der Setzliste an den Start. Er ist mittlerweile der beste Deutsche und hat gerade in diesem Jahr eine bemerkenswerte Entwicklung genommen. Im Sportschau-Interview spricht er über Ängste, gestiegene Erwartungen und das perfekte Spiel.
Sportschau: Herr Schindler, denken Sie gerne mal zehn Jahre zurück. Sie waren ein hoffnungsvolles Talent, aber noch kein Profi. Sie haben bei Turnieren am Einlass gearbeitet und sich so ein bisschen was dazuverdient. Was würde Ihr damaliges Ich sagen, wenn es wüsste, was seither passiert ist?
Martin Schindler: Wahrscheinlich würde es sagen: "ich bin echt stolz auf Dich, Martin, was du alles geschafft und erreicht hast." Ich habe damals nicht so tief daran geglaubt, dass es mal so weit geht, weil es immer alles so weit weg schien.
Sportschau: Sie haben dieses Jahr als erster Deutscher zwei Turniere auf der European Tour gewonnen. War das aus Ihrer Sicht so zu erwarten?
Schindler: Ich habe mir schon nach dem ersten Sieg in Riesa zugetraut, dass ich auch ein zweites Turnier gewinnen kann. Aber hätte mich jemand am Anfang des Jahres gefragt im Hinblick auf die European Tour, hätte ich wahrscheinlich nicht gesagt, dass ich mit zwei Titeln nach Hause gehen werde. Ich habe gehofft und daran geglaubt, dass ich dieses Jahr meinen ersten Titel holen kann. Aber jetzt sind es direkt zwei, und das Jahr ist ja noch nicht vorbei.
Sportschau: Ihnen ist dieses Jahr auch ein 9-Darter gelungen. Wie besonders war das für Sie?
Schindler: Für mich war das schon sehr bedeutend, weil ich mir selbst gezeigt habe, dass ich in der Lage bin, gerade auf der Bühne das perfekte Spiel auch zu leisten. Ich finde, dass das so ein riesiger mentaler Fortschritt ist. Vor ein paar Jahren war nach sechs perfekten Darts schon immer dieses Gefühl da, dass ich jetzt gleich einen 9-Darter spielen kann, das hat mich damals mental schon sehr unter Druck gesetzt.
Sportschau: Noch immer finden bei der Professional Darts Corporation einige Turniere ohne Zuschauer statt. Früher haben Sie sich in dieser Umgebung deutlich wohler gefühlt, als bei den größeren Turnieren vor Publikum. Mittlerweile sieht das aber ganz anders aus. Was hat diese Kehrtwende herbeigeführt?
Schindler: Dass ich mich mit meiner eigenen Psyche beschäftigt und mich eben auch gefragt habe: was ist denn der Grund gewesen, dass es auf der Bühne nicht so lief. Dabei habe ich festgestellt, dass die primäre Antwort einfach Angst war. Vor einer Blamage, vor der Niederlage, oder dass mir irgendwo etwas Peinliches passiert. Ich habe mich dann gefragt: was ist denn das Schlimmste, was passieren kann? Im schlimmsten Fall gehst du 6:0 in der ersten Runde raus, bist dabei noch gestolpert und hast dich noch aus Versehen mit Wasser überschüttet. Das gäbe dann vielleicht ein bisschen Gespött im Internet, aber mehr ist es nicht. Morgen startet der Tag dann wieder von vorne. Ich habe gelernt, mit meiner Angst umzugehen und kann jetzt Niederlagen besser verarbeiten und verschiedene Situationen handeln.
Sportschau: Sie sind seit April die neue deutsche Nummer Eins, in der Weltrangliste stehen Sie auf Platz 21. Wie sehr zählen Sie sich mittlerweile zur Weltspitze?
Schindler: Ich mache meine ganz eigenen Fortschritte und kann immer wieder Leute schlagen, die auch in der Rangliste vor mir stehen. Und das ist auch der Grund, weshalb ich sage: ich kann auch nach ganz oben angreifen. Wenn ich es schaffe, bei einem großen Turnier mal einen Run bis ins Finale hinzulegen, oder zu gewinnen, dann bin ich ganz schnell in den Top 10 der Welt drin. Der Sprung ist nicht mehr so riesig, wie er vor einem Jahr war. Auch wenn so ein ganz großer Titel mental noch mal was anderes ist, kann ich mittlerweile jeden schlagen.
Sportschau: Bei der diese Woche stattfindenden Europameisterschaft sind Sie als erster Deutscher an Nummer 1 gesetzt, vor klangvollen Namen wie Michael van Gerwen, Luke Humphries oder Wunderkind Luke Littler. Wie ordnen Sie das ein?
Schindler: Es ist ein schönes Gefühl, man muss gleichzeitig aber auch sagen: ich habe jedes Turnier gespielt und die anderen haben auch mal was ausgelassen. Zwei gewonnene Titel sprechen aber natürlich auch für sich. Alleine unter den Top Fünf zu stehen, ist schon eine Ehre. Wenn du dich für dieses Turnier qualifizierst, hast du ohnehin nur noch große Kaliber. Aufgrund der Setzposition gehe ich Littler, van Gerwen und Co aber bis zu einem eventuellen Halbfinale aus dem Weg.
Sportschau: Sie konnten bei der Europameisterschaft noch nie die erste Runde überstehen. Wie sehr beschäftigt Sie das im Vorfeld?
Schindler: Mir ist es schon aufgefallen, ich habe auch zu meiner Frau mit einem ironischen Unterton gesagt: Ich würde schon gerne endlich mal mein erstes Spiel in Dortmund gewinnen. Bislang hatte ich verdammt gute Gegner und das Momentum war nicht auf meiner Seite. Ich hoffe, dass sich das jetzt ändert und freue mich auf Dortmund.
Sportschau: In diesem Jahr stehen noch vier große Turniere an, darunter die Weltmeisterschaft. Was müsste passieren, dass sie zufrieden aus diesem Saisonhöhepunkt herausgehen?
Schindler: Ich bin jetzt schon zufrieden mit 2024. Bei der WM würde ich aber gerne mal das Achtelfinale erreichen und von dort auch gerne weiter ins Viertelfinale. Ich will meine eigenen Limits weiter nach oben setzen und Stück für Stück Dinge besser machen. Wenn Sie mich auf eine Antwort festnageln, würde ich sagen: Ganz zufrieden wäre ich, wenn ich am Ende des Jahres unter den Top 16 der Welt stünde.