ARD-Recherche zu Infusionen im Sport Instagram-Foto bringt Boxer Sturm in Bedrängnis
Ein offenbar achtlos gepostetes Foto, das sie während einer Infusion zeigt, hat für den Profiboxer Felix Sturm und einen Heilpraktiker möglicherweise strafrechtliche Konsequenzen. Eine Recherche der ARD-Dopingredaktion zeigt: Das Maß an Unwissenheit in Bezug auf verbotene Infusionen scheint in der Sportszene alarmierend zu sein.
Das Foto, das möglicherweise bald einen Staatsanwalt beschäftigt, hatte auf der Social-Media-Plattform Instagram gerade mal 67 Likes. Es zeigt einen Heilpraktiker, der neben einer Liege steht. Dort liegt eine Person entspannt auf dem Rücken und grüßt lässig mit der rechten Hand in Richtung Kamera, in seinem linken Arm steckt eine Infusionsnadel. Die Person, die die Infusion erhält, ist Felix Sturm, einer der erfolgreichsten deutschen Profiboxer, fünfmaliger Weltmeister.
Veröffentlicht wurde das Bild im Januar 2023 von dem Physiotherapeuten und Heilpraktiker, der Sturm behandelt hat. Er postete es auf dem offiziellen Profil seiner Praxis. Einer Recherche der ARD-Dopingredaktion zufolge bringt dieses offenbar achtlos hochgeladene Foto nun beide Männer möglicherweise in Bedrängnis.
Dieses Instagram-Foto (aus rechtlichen Gründen redaktionell bearbeitet) könnte für Felix Sturm und den Heilpraktiker Folgen haben.
NADA-Chef Mortsiefer erwägt Strafanzeige
"Wenn wir wissen, welche Personen sich auf dem Bild befanden, wo diese Handlung stattgefunden hat, werden wir auf jeden Fall eine entsprechende Anzeige bei der zuständigen Staatsanwaltschaft einreichen", sagte Lars Mortsiefer, der Vorstandsvorsitzende der Nationalen Anti-Doping Agentur (NADA). Die ARD-Dopingredaktion hatte ihm den Fall im Verlaufe der monatelangen Recherche präsentiert, ohne die Identität der betroffenen Personen zu diesem Zeitpunkt preiszugeben.
Mortsiefer will den Sachverhalt anzeigen, weil die Infusion, die der Heilpraktiker aus Nordrhein-Westfalen Sturm verabreicht hat, zu den für Leistungssportler verbotenen Methoden gehört. Sie ist in der Verbotsliste der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) aufgeführt, auf der wiederum das deutsche Anti-Doping-Gesetz basiert.
Sobald innerhalb von zwölf Stunden mehr als 100 Milliliter Flüssigkeit – nur etwa die Menge einer kleinen Tasse Kaffee - verabreicht werden, handelt es sich um eine verbotene Methode. Einzige Ausnahmen: medizinische Notfälle oder offiziell erteilte Sondergenehmigungen – die im Fall von Sturm nach ARD-Recherchen nicht vorlagen. Das Verbot gilt unabhängig davon, welches Mittel die Infusion enthält, auch zum Beispiel bei Vitamin-Gaben. Die WADA erklärt, dass neben einer leistungssteigernden Wirkung die Infusionen allein durch die Flüssigkeitszufuhr auch Dopingsubstanzen im Körper verschleiern können.
Sturms Heilpraktiker kennt Doping-Gesetzgebung offenbar nicht
Der Heilpraktiker, der bei Sturm die Infusion durchgeführt hatte, bestätigte der ARD-Dopingredaktion in einem Interview, dass der Boxer die Standardbehandlung bekommen habe: 250 Milliliter Kochsalzlösung plus den Wirkstoff, im Fall des Profiboxers angeblich Vitamin C. "350 Milliliter, die kann ich bedenkenlos reinbekommen, rein theoretisch könnte ich auch bis auf 500 Milliliter hochgehen", sagte der Therapeut. Aus rechtlichen Gründen bleibt sein Name in der Berichterstattung ungenannt.
Das Maß an Fahrlässigkeit, mit dem er neben sich selbst auch die zahlreichen Athletinnen und Athleten unter seinen Patienten gefährdet, ist hoch. Denn der Mann hatte zuvor offenbar noch nie von einem möglichen Problem seiner Infusionsbehandlungen im Zusammenhang mit der WADA-Verbotsliste und dem Anti-Doping-Gesetz gehört. Seinem Instagram-Profil zufolge betreut er zahlreiche Sportler und ist sogar als Therapeut für einen der Spitzenverbände tätig, die im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) organisiert sind.
Die ARD-Dopingredaktion hat Sturm über dessen Manager sowie den Heilpraktiker um Stellungnahmen gebeten. Beide haben sich bis Redaktionsschluss nicht geäußert.
WADA-Code betrifft Sturm nicht
Nach dem auf dem WADA-Code basierenden Sportrecht droht Athleten in solchen Fällen eine Regelsperre von vier Jahren, für den 44-jährigen Sturm gilt dies allerdings nur theoretisch: Die für ihn zuständigen Profiboxverbände haben sich nicht dem Dopingcode unterworfen. "Wenn die verbotene Methode nicht explizit in dem Anti-Doping-Code der jeweiligen Sportorganisation genannt ist, dann fehlt es an einem Anknüpfungspunkt für eine Sanktion", sagte Sportrechtler Paul Lambertz der ARD. Infusionen werden in den Anti-Doping-Bestimmungen des Bundes Deutscher Berufsboxer (BDB) nicht explizit erwähnt.
Dem deutschen Anti-Doping-Gesetz, das Ende 2015 in Kraft getreten ist, unterliegt Sturm allerdings. Das Gesetz gilt einerseits für Athleten, die einem Testpool der NADA angehören, aber auch grundsätzlich für diejenigen, die durch ihren Sport erhebliche Einnahmen erzielen – was bei Sturm der Fall ist.
"Methode unterfällt einem Straftatbestand"
Der Strafrechtler Oliver Kraft sagte der ARD: "Die hier angewendete Methode unterfällt einem Straftatbestand, und zwar sowohl betreffend den Heilpraktiker als auch den konkreten Sportler." Während Sturm allerdings eine Dopingabsicht nachgewiesen werden müsse, erklärte Kraft im Hinblick auf den Heilpraktiker: "Bei ihm steht schon eine Strafbarkeit im Raum, wenn er fahrlässig eine verbotene Doping-Methode angewendet hat." In beiden Fällen, so Kraft, "muss ein Staatsanwalt den Sachverhalt ermitteln und dann am Ende entscheiden: Liegt hier ein Tatverdacht vor, der es ihm ermöglicht, Anklage zu erheben?"
Auch die Tatsache, dass Sturm bereits mit dem Gesetz in Konflikt geraten ist, könnte laut Kraft die Probleme für den Profiboxer nun verstärken. Sturm, bürgerlich Adnan Ćatić, ist vorbestraft. Zuletzt verbüßte er im offenen Vollzug eine Haftstrafe von zwei Jahren und vier Monaten, die im Oktober auf Bewährung ausgesetzt wurde. Neben Steuerhinterziehung war auch ein Verstoß gegen das Anti-Doping-Gesetz in das Strafmaß für Sturm eingeflossen. 2016 war er nach seinem WM-Kampf gegen den Russen Fjodor Tschudinow mit dem anabolen Steroid Stanozolol erwischt worden.
Der 44 Jahre alte Sturm hat seine Karriere noch nicht beendet, nach seinem Sieg am 2. Dezember gegen Sükrü Altay in Ludwigsburg ließ er seine sportliche Zukunft offen.
ARD-Umfrage offenbart viel Unwissenheit
Unterdessen offenbarte eine Recherche der ARD-Dopingredaktion unter 111 Heilpraktikerinnen und Heilpraktikern, die auf ihren Webseiten Infusionsbehandlungen anbieten, ein erschreckendes Maß an Unwissenheit in Bezug auf die aktuellen Anti-Doping-Bestimmungen im Sport- und Strafrecht. Dass die Methode auf der Dopingliste steht, wussten nur zwölf Prozent der kontaktierten Heilpraktiker. Der Rest, alarmierende 88 Prozent, gab an, es entweder nicht zu wissen oder die Methode für unbedenklich zu halten.
Zu dieser Gruppe gehörte auch der Vertreter einer Praxis, die ihrer Website zufolge mit einem Klub aus der Deutschen Eishockey Liga (DEL) zusammenarbeitet. Bei ihrer telefonischen Anfrage hatten sich die Journalisten als Leistungssportler ausgegeben und explizit gefragt, ob die Infusionsbehandlung mit dem Anti-Doping-Regelwerk kollidieren könnte.
"Macht euch schlau!"
Aber es finden sich auch immer wieder ahnungslose Spitzen-Athleten, die die Regeln nicht kennen. Berühmtester Fall eines Sportlers, der offenkundig achtlos in die Dopingfalle tappte, ist der des Schwimm-Olympiasiegers Ryan Lochte aus den USA. Er postete ein Foto, das ihn ähnlich wie nun Sturm während einer Infusion zeigte. Er wurde dafür 2018 für 14 Monate gesperrt.
Und es gibt auch Fälle in Deutschland. Der Bamberger Triathlet Chris Dels hatte bei der Vorbereitung auf die Ironman-WM 2019 auf Hawaii per Video bei Youtube und Facebook über einen Besuch in einem Center für Infusionen in Texas berichtet. Die Beschreibung der vermeintlich harmlosen Kochsalz-Elektrolyt-Infusion brachte ihm eine 14-monatige Sperre ein.
Dels leistete als gebranntes Kind danach viel Aufklärungsarbeit und appelliert an alle Leistungssportler: "Macht euch schlau! Wenn ihr diesen Sport so ernst betreibt, Zeit investiert, Training investiert, Geld investiert, dann gehört auch dazu, sich an die Regeln zu halten und sich mit ihnen auseinanderzusetzen."