Weiter, immer weiter – oder doch nicht? Die Zukunft der Boston Celtics auf dem Prüfstand
Nach einer weiteren titellosen Saison müssen die Boston Celtics wichtige Zukunftsentscheidungen treffen. Will man es mit dem erfolglosen Mannschaftskern weiterhin versuchen oder soll ein Umbruch eingeleitet werden? Eine Franchise am Scheideweg.
Höchste Euphorie und tiefster Schmerz - das kann manchmal ganz nah beieinander liegen. Wie brutal dieses Wechselbad der Gefühle sein kann, zeigte sich in den vergangenen Tagen einmal mehr in der NBA. "Ich habe mich noch nie so gefreut, nach Boston zurückzukehren", sagte ein überglücklicher Jayson Tatum erst am vergangenen Samstag. Seine Celtics hatten da gerade das sechste Spiel der Playoff-Serie gegen die Miami Heat gewonnen. Es war der dritte Sieg in Folge, nachdem die ersten drei Spiele verloren gegangen waren.
Ein weiterer Erfolg, und das Team von der amerikanischen Ostküste hätte Historisches erreicht. Nie zuvor in der Geschichte der Liga war es einem Team gelungen, eine Serie nach 0:3-Rückstand doch noch zu gewinnen. 150 Versuche, kein einziger von Erfolg gekrönt. Und auch der 151. Anlauf sollte es nicht werden. Trotz des in den vergangenen Duellen aufgebauten Momentums, trotz aller erfolgreichen taktischen Anpassungen und trotz der vielen Starspieler im Team sollte die Boston-Saison nun ein jähes Ende finden.
"Wir haben es vergeigt"
Einer dieser Starspieler ist Jaylen Brown, der nun das siebte Jahr im grün-weißen Trikot hinter sich gebracht hat. Nach der Schlusssirene des entscheidenden siebten Spiels ging der 26-Jährige hart mit sich ins Gericht. "Wir haben es vergeigt. Ich habe es vergeigt. Im Moment ist es schwer, an etwas anderes zu denken." Auch sein Teamkollege Jayson Tatum, der nur 50 Stunden zuvor noch wie der glücklichste Mensch der Welt gewirkt hatte, verzweifelte nun auf der Suche nach dem Grund für den plötzlichen Einbruch. Zu groß die Enttäuschung über die nächste Saison ohne Titel.
Dabei schien die Organisation der Celtics lange Zeit auf einem guten Weg zu sein. Seit der Saison 2016/17 erreichten die "Kobolde" gleich fünf Mal die Eastern Conference Finals, das Halbfinale. Im vergangenen Jahr gelang sogar erstmals der Sprung in die Endrunde der Playoffs, die Finals. Dort scheiterten Tatum, Brown und Co. zwar an den Golden State Warriors um Superstar Stephen Curry, doch niemand zweifelte daran, dass die nächste Chance nicht lange auf sich warten lassen würde.
Hoch gehandelt und doch tief enttäuscht
Und doch entpuppte sich auch diese Saison als große Enttäuschung. Angefangen hatte die Misere mit Ex-Coach Ime Udoka. Wie noch vor Saisonbeginn bekannt wurde, hatte der 45-Jährige im Umgang mit mehreren Mitarbeiterinnen der Franchise gegen die Teamrichtlinien verstoßen. Die Celtics suspendierten ihn daraufhin - nur Tage vor Saisonbeginn. Sein Nachfolger wurde Joe Mazzulla, ein Neuling auf dieser Position.
Die fehlende taktische Raffinesse war mit ein Grund dafür, dass sich Boston in der Postseason schwerer tat als nötig. Zwei Niederlagen gegen Atlanta, drei gegen Philadelphia und nun sogar vier gegen Miami. Nicht wenige sind der Meinung, dass das Team im vergangenen Jahr deutlich souveräner wirkte als jetzt. Auch hinsichtlich der Ergebnisse ist ein klarer Rückschritt zu erkennen.
Dabei waren die Celtics auch in den vergangenen Jahren längst nicht über alle Zweifeln erhaben. Zu oft ließen die großen Stars konstante Leistungen vermissen. Nicht zuletzt deshalb entbrannte längst eine Debatte darüber, ob der Kern der Mannschaft überhaupt in der Lage dazu sei, um Titel mitzuspielen. In der abgelaufenen Saison konnte die Diskussion im Keim erstickt werden, nun droht sie wieder aufzuflammen.
Aussicht auf namhafte Spieler groß
Wasser auf die Mühlen der Kritiker dürfte auch die zu erwartende Vertragsverlängerung von Jaylen Brown sein, der aufgrund seiner Nominierung für das Second-All-NBA-Team auf eine saftige Gehaltserhöhung hoffen darf. Wäre es nach den jährlich wiederkehrenden Misserfolgen nicht angebracht, die Kaderzusammenstellung zumindest zu hinterfragen? Immerhin stehen bei vielen großen Ligakonkurrenten große Umbrüche an, die Aussicht auf namhafte Spieler war wohl lange nicht mehr so groß. Ein Gedanke, der den Verantwortlichen sicher längst gekommen sein dürfte.