Super Bowl 2023 Warum zwei Schwarze Quarterbacks im Super Bowl "historisch" sind
Jahrzehntelang wurde Schwarzen Athleten der Zugang zur Quarterback-Position erschwert. Nun stehen erstmals zwei Schwarze Quarterbacks im Super Bowl. Ein Zeichen für schwindenden Rassismus im US-Football? Nur bedingt.
Als Reporterlegende Sal Paolantonio die "NFL Opening Night" und damit die Super-Bowl-Woche eröffnete, richtete er sich zunächst an die anwesenden Quarterbacks: Jalen Hurts von den Philadelphia Eagles und Patrick Mahomes von den Kansas City Chiefs. Seine Einstiegsfrage handelte jedoch nicht von Titelchancen, Vorfreude oder Erwartungen. Sie handelte von: Herkunft. Erstmals in der NFL-Geschichte stehen zwei Schwarze Quarterbacks für ihre Mannschaften im Super Bowl. Was bedeute ihnen das?
"Ein historischer Augenblick"
"Das ist Big Time History. Ein historischer Augenblick", sagte Hurts, der vor seiner Antwort einen Jubelsturm der Zuschauer abwarten musste. Und Mahomes: "So viele Leute vor uns haben den Grundstein dafür gelegt. Das wird ein spezieller Moment, der hoffentlich ewig leben wird."
Unter all den Geschichten, die das Medienspektakel Super Bowl (in der Nacht auf Montag hier live in der Audio-Vollreportage) bietet, ist die Biografie der Quarterbacks in den USA die präsenteste. Während die Antworten von Mahomes und Hurts eine Idee davon geben, wie relevant und bedeutsam dieser Meilenstein vor allem für Afroamerikaner ist, sind hierzulande viele Menschen irritiert von dem Thema; vor allem jene, die glauben, Herkunft und Hautfarbe spielten 2023 keine Rolle mehr. Dass die Welt indes nicht "farbenblind" ist, gerade in den USA, zeigt sich an kaum einer Personengruppe so plakativ wie an den Quarterbacks der NFL.
Schwarze Spieler "nicht intelligent" genug
56 Mal wurde der Super Bowl bereits ausgetragen. Nur neun der 112 Quarterback-Startplätze besetzten Schwarze Spieler (8 Prozent). In einer Liga mit rund 60 Prozent Schwarzen Profis und einer zu 13 Prozent afroamerikanischen Gesellschaft ist das eine bemerkenswerte Unterrepräsentation. Die Wurzeln davon reichen weit über Football hinaus.
"Man muss sich die Wahrnehmung Schwarzer Menschen in der Gesellschaft ansehen und dann darüber sprechen, wie sich diese Wahrnehmung im Sport manifestiert", sagt Dr. Todd Boyd, Professor für Film- und Medienwissenschaften und Lehrstuhlinhaber für Race and Popular Culture. "Lange Zeit wurden Schwarze Menschen gegenüber Weißen als intellektuell unterlegen betrachtet, aber womöglich körperlich überlegen."
Schwarzer Körper, weißer Geist; dieses Grundschema hat seine Anfänge im Kolonial- und Sklavenzeitalter. Im Sport haben sich daraus eigene Stereotype entwickelt, die in abgeschwächter Form noch heute wirksam sind. Zum Einen: der Mythos des "naturbegabten" Schwarzen Athleten, qua Genetik körperlich dominant, aber ungezügelt und intellektuell limitiert. Zum Anderen das Stereotyp des "vernunftbegabten" weißen Athleten, spielintelligent und strukturiert, der sich seine Fähigkeiten hart erarbeiten musste.
Diese Narrative sind tief verankert, über Generationen haben sie sich ins menschliche Denken eingenistet - auch in das der Betroffenen. Dass es für die vermeintliche genetische Überlegenheit Schwarzer Sportler bis heute kein tragbares wissenschaftliches Gerüst gibt, wird weitgehend ignoriert. Mit weitreichenden Folgen - nicht zuletzt auf der Quarterback-Position.
Neben der nötigen Intelligenz wurden Schwarzen Spielern auch weitere positionsspezifische Fähigkeiten abgesprochen. "Quarterbacks sind Leader. Schwarze Spieler wurden nicht als Führungspersönlichkeiten angesehen.", so Boyd. Und weiter: "Quarterbacks sind oft das Gesicht einer Mannschaft. Und Schwarze Menschen wurden daran gehindert, diese Position zu besetzen. Das hat eine lange Geschichte."
Strukturelle Benachteiligung Schwarzer Athleten
Eine der wichtigsten Figuren in der Geschichte Schwarzer Quarterbacks ist Warren Moon: Trotz einer rekordgespickten College-Karriere wurde er 1978 von keinem Team im Draft ausgewählt. Erst 1984, nach sehr erfolgreichen Jahren in Kanada, schaffte er es in die NFL. Dort überzeugte Moon mit sechs Pro-Bowl-Nominierungen in zehn Jahren. 2006 wurde er als erster Schwarzer Quarterback in die Hall of Fame aufgenommen.
Dank der erfolgreichen Karrieren von Pionieren wie Warren Moon, Doug Williams oder Marlin Briscoe wurde es für Schwarze Quarterbacks zunehmend leichter, in die Liga zu kommen. Dass sie dabei jedoch rassistischer Diskriminierung ausgesetzt waren und sind, ist gut dokumentiert. Ein Auszug von Befunden aus den letzten 20 Jahren:
- Schwarze Quarterbacks wurden nach unterdurchschnittlichen Performances doppelt so häufig auf die Bank gesetzt wie weiße
- Schwarze Quarterbacks wurden tendenziell unterbezahlt
- In Draft Reports lag der Fokus bei Schwarzen Akteuren signifikant häufiger auf körperlichen Tugenden, während bei weißen geistzentrierte Fähigkeiten betont werden. Zudem wurden soziales Verhalten und Umfeld bei Schwarzen überproportional oft hinterfragt
- Medien betonten bei Schwarzen Spielern überproportional häufig körperliche Tugenden positiv, bei weißen hingegen den Football-Intellekt*
Diese tendenzielle Ungleichbehandlung basiert in der Regel nicht auf einer ideologischen, menschenverachtenden Haltung, sondern auf erlernten, unbewussten Denkmustern und Zuschreibungen. Kurz: auf strukturellem Rassismus.
Diverse Quarterback-Generation
Dass es nun zum ersten Schwarzen Quarterback-Duell der Super-Bowl-Geschichte kommt, ist ein Symbol einer neuen Ära: In der ersten NFL Saisonwoche waren elf von 32 Starting Quarterbacks Schwarz - mehr als je zuvor. Mit dem frisch gekürten Mahomes sind nun drei der letzten fünf MVPs, der sogenannten wertvollsten Spieler in der Saison, Schwarze Quarterbacks. Er steht an der Spitze einer neuen Generation von Werfern, die wesentlich diverser ist als es die vergangenen waren.
Der Trend zeigt sich übrigens auch in der entgegengesetzten Richtung: Auf einigen Positionen, die als prädominant Schwarz gelten, geben aktuell weiße Akteure den Ton an - zumindest in der Spitze. Unter den Wide Receivern etwa war Cooper Kupp die prägende Figur der letzten Jahre. Und seit 2016 ist mit Christian McCaffrey der bestbezahlte Running Back der Liga-Geschichte weiß.
Diese Entwicklungen sprechen für ein zunehmendes Aufbrechen rassistischer Strukturen im US-Football, was verständlicherweise zelebriert wird. Doch bei aller Anerkennung dieses Fortschritts: Für den Wandel der Quarterback-Landschaft ist eine andere, rein sportliche Entwicklung relevanter.
"Moderne" Quarterbacks spielen anders
Früher waren die Hände weitaus wichtiger als die Füße, Quarterbacks sollten vor allem Werfen können. Heute hingegen sind Mobilität und Fähigkeiten als Läufer wesentlich größere Faktoren. Das beste Beispiel: Super-Bowl-Quarterback Hurts, der in dieser Saison mit 15 Lauf-Touchdowns einen neuen NFL-Rekord aufstellte.
In gewisser Weise ist der moderne Quarterback dem Stereotyp des Schwarzen Athleten somit deutlich näher als früher. Das begünstigt den Aufstieg Schwarzer Quarterbacks, selbst wenn alte Stereotype noch immer wirken. Dass dies zweifellos der Fall ist, belegt ein Blick auf Bereiche, in denen körperliche, vermeintlich "Schwarze Fähigkeiten" nicht eben aufgewertet werden können - nämlich abseits des Feldes.
In der zurückliegenden Saison waren nur zwei von 32 Cheftrainern in der NFL Schwarz. Unter General Managern waren es sieben. Und auf höchster Ebene, unter den Besitzern? Keine einzige Schwarze Person. Das zeigt: Trotz historischen Quarterback-Duells im Super Bowl - der Weg zu faktischer Gleichberechtigung bleibt weit.
* Quellen:
Benching von Quarterbacks:
https://journals.sagepub.com/doi/abs/10.1177/1527002515609659
Gehälter:
https://journals.sagepub.com/doi/10.1177/1527002508327383
Draft Reports:
https://thesocietypages.org/socimages/2014/05/15/race-in-the-nfl-draft/
Medien:
https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/08838151.2014.966364