Alexander Zverev reagiert nach seiner Niederlage.
analyse

Niederlage gegen Alcaraz Zverev geht am Ende die Puste aus

Stand: 09.06.2024 22:58 Uhr

Kann ein einziger Ballwechsel in einem Fünf-Satz-Match mit 292 gespielten Punkten wirklich über Wohl und Wehe eines Grand-Slam-Sieges entscheiden? Oder waren am Ende der offensive Mut von Carlos Alcaraz und die schwindende Physis von Alexander Zverev die ausschlaggebenden Faktoren im French Open Finale?

Von Andreas Thies, Paris

Im fünften Satz führte Carlos Alcaraz, der spanische Überflieger, am Sonntag (09.06.2024) in Roland Garros mit 2:1 und Break, sah sich jedoch seinerseits zwei Breakbällen gegenüber. Die Chance für Alexander Zverev, wieder ins Match zurückzukommen.

Der zweite Aufschlag von Alcaraz, er landete auf der Linie. Oder etwa doch daneben? Der Linienrichter sah den Aufschlag im Aus und auch Zverev war sich sicher, dass das Serve knapp neben dem Ziel gelandet war. Der Hamburger deutete auf den umstrittenen Ballabdruck. Doch Schiedsrichter Renaud Lichtenstein war schon von seinem Stuhl gestürmt, signalisierte, unten angekommen, sofort, dass der Ball aus seiner Sicht gut gewesen sei und ließ sich auch nicht mehr vom Gegenteil überzeugen. Ein Fehler, wie das im Hintergrund mitlaufende System "Hawkeye" belegte.

Alexander Zverev zeigt im Finale der French Open auf den Abdruck des Tennisballs.

Alexander Zverev zeigt im Finale der French Open auf den Abdruck des Tennisballs.

Alcaraz profitiert von Schiedsrichter-Entscheidung

Eine elektronische Unterstützung für die Schiedsrichter und Spieler, wie es sie auf anderen Belägen gibt, wird auf den Sandplätzen dieser Welt aber erst im nächsten Jahr eingeführt. So bekam Alcaraz den Regeln entsprechend zwei neue Aufschläge und hielt im Anschluss sein Serve doch noch zum 3:1, statt den Ausgleich im Entscheidungsdurchgang hinnehmen zu müssen.

Gut eine halbe Stunde nach diesem denkwürdigen Moment verwandelte Alcaraz, in einer intensiv und verbissen geführten Partie, seinen ersten Matchball. Die Uhr zeigte 19.31 Uhr, Alcaraz hatte im jungen Tennisalter von 21 Jahren sein drittes Grand-Slam-Turnier gewonnen. Zverev hingegen steht immer noch ohne einen der ganz großen vier Titel da.

Guido Ringel, Sportschau, 09.06.2024 20:11 Uhr

Alcaraz riskiert mehr

Auch wenn die strittige Szene für Zverev bitter gewesen sein mag, wäre es wohl doch zu kurz gegriffen, die Niederlage an einem Moment festzumachen. Denn auch im weiteren Spielverlauf dieses fünften Satzes hatte Zverev noch Chancen auf eine Wendung. Immer wieder war es jedoch Alcaraz, der in diesen Phasen nicht nur das konsequentere, sondern auch das phantasievollere Tennis spielte.

Mit teils atemberaubenden Offensivschlägen holte sich der Wimbledon-Sieger von 2023 die entscheidenden Punkte. Zverev trauerte in der Pressekonferenz der knappen Entscheidung beim 2:1 kurz hinterher, war aber auch realistisch in seiner Einschätzung des Matchverlaufes: "Hätte ich da das Break geholt, dann kann der fünfte Satz auch in die andere Richtung gehen. Aber er hat fantastisch gespielt. Im vierten und fünften Satz war er besser als ich. So ist es nun mal."

Zverev setzt zu sehr auf Fehlervermeidung

Zverev, das hat sich über die 10 Jahre seiner Profikarriere gezeigt, ist, wenn es wirklich drauf ankommt, ein vor allem defensiv eingestellter Spieler. Einer, der in unsicheren Phasen eher auf seine Rückhand als auf die offensiv wirkungsvollere Vorhand setzt, auf Fehlervermeidung statt zu viel Risiko.

Das zahlte sich wie schon in den vorherigen sechs Runden auch während dieses Matches immer wieder aus. So sahen die Zuschauer auf dem Court Philippe Chatrier eine Partie, die über weite Strecken hin- und herwogte. Aber nicht, weil beide sich mit Weltklasse-Ballwechseln übertrafen. Vielmehr gab es abwechselnde Phasen, in denen einer der Kontrahenten sein bestes Tennis spielte und der andere mit sich, dem eigenen Spiel und den Umständen haderte.

Unorthodoxe Taktik von Alcaraz

So beschwerte sich Alcaraz im vierten Satz beim Schiedsrichter, dass auf Grund der windigen Bedingungen zu wenig Sand auf dem Platz sei. Zverev hingegen schaute nach Antworten suchend zu seinem Vater hoch in die Box, wo die Trainer und der Anhang sitzen.

Doch auch Alexander Zverev Sr. hatte kein Patentrezept für seinen Sohn. Vor allem auf die Taktikänderung seines spanischen Widersachers, statt mit vollem Tempo in die Vorhand des Deutschen zu spielen, eher auf hohe, langsame Topspins zu setzen, fand Zverev letztlich keine Antwort.

Reifer - aber auch reif für einen großen Titel?

Eine Frage, die Zverev in den letzten Tagen immer wieder gestellt bekam, war die, was 2024 anders sei als 2020, als er im US-Open-Finale gegen Dominic Thiem nach 2:0-Satzführung noch verlor. Er sei erwachsen geworden, damals nicht bereit für einen Titel gewesen, ließ Zverev nach dem Halbfinale verlauten.

Von außen betrachtet ist an dieser Aussage auch eine ganze Menge dran. Der Zverev, der Wutanfälle auf dem Platz hat und Schläger zerstört, der gehört offensichtlich der Vergangenheit an. Doch um das Nervenkostüm in den alles entscheidenden Momenten scheint es bis heute nicht ideal bestellt zu sein.

Rekordzeit auf der Asche von Paris

So verlor Zverev trotz einiger Chancen und der 2:1-Satzführung die letzten beiden Durchgänge mit 1:6 und 2:6. Das schrieb Zverev neben dem Spiel seines Gegners auch der schwindenden eigenen Physis zu: "Im vierten Satz habe ich den Fokus verloren und beim Aufschlag habe ich nicht mehr die Kraft aus den Beinen bekommen. Auch wenn ich in solchen Matches eigentlich nicht müde werde."

Schon vor dem Finale hatte Zverev einen Rekord bei der auf dem Platz verbrachten Zeit gesetzt. Seit Erhebung dieser Daten im Jahr 1991 hatte noch kein Spieler, der das Finale erreichte, länger auf dem Platz gestanden als der 27-jährige - insgesamt knapp 19,5 Stunden.

Sportschau, 09.06.2024 21:45 Uhr

Zverev sucht nach Stellschrauben

Und so machte sich Zverev an diesem Abend bei der Pressekonferenz im Bauch des Court Philippe Chatrier Gedanken darüber, was noch fehlt zum großen Triumph: "Ich muss auf mich und auf mein Team schauen und sehen, was ich tun kann, um auf das gleiche Level wie Carlos zu kommen."

Zverev erwies sich in den Stunden nach dem Finale als guter Verlierer. Doch auch er wird eine Frage nicht beantworten können, die seit Jahren schon bei ihm gestellt wird: Wird er je einen Grand-Slam-Titel gewinnen? Darauf gibt es keine offensichtliche Antwort, außer: Leichter wird es nicht werden.