Australian Open Viktoria Azarenka vor Halbfinale: "Zehn verdammte Jahre!"
Zehn Jahre nach ihrem zweiten und bisher letzten Grand-Slam-Titel hat sich Viktoria Azarenka in Melbourne wieder ins Rampenlicht gespielt. Die mittlerweile 33-Jährige spricht am Rande der Australian Open über Panikattacken und Versagensängste und erklärt: "Tennisplätze triggern diese Ängste."
"Echt? Von dieser Sponsorenaufschrift bis zur nächsten?" Ungläubig fragt Viktoria Azarenka ihren Fitnesstrainer und fügt mit einem durchaus kritischen Unterton hinzu: "Die sind schon ein bisschen weit entfernt." Die 33-jährige Spielerin aus Belarus ist eine mündige Sportlerin. Das bekommen nicht nur die PR-Berater der WTA-Tour regelmäßig während Pressekonferenzen zu spüren - wenn sie heikle Themen anspricht.
Die 33-Jährige bereitet mitunter auch mal dem eigenen Team mehr Arbeit und hinterfragt Dinge, wie der spielfreie Mittwoch auf der Anlage in Melbourne zeigte. So musste Francis Bougy Azarenka während einer Warmmachübung vor dem Tennistraining ganz genau erklären, warum denn jetzt der Korridor, in der sie Tennisbälle antizipieren und dann jeweils links und rechts mit einer Hand fangen sollte, so groß sei. Der Trainer entgegnete lediglich: "Ja, das schaffst du schon".
Dass sie dann während der folgenden Trainingseinheit wenig falsch zu machen schien, darf nach diesen knapp zwei Wochen an der Ostküste Australiens nicht mehr verwundern. Azarenka steht erstmals seit ihren beiden Titeln in Melbourne 2012 und 2013 wieder in der Vorschlussrunde. Sie besiegte die ehemalige Turniersiegerin Sofia Kenin, die gesetzte Madison Keys und die hochgehandelte Nummer drei des Turniers, Jessica Pegula, also allesamt Größen der WTA-Tour. Nun wartet mit der Wimbledon-Siegerin Elena Rybakina, die mit Iga Swiatek die Nummer eins der Welt eliminierte, am Donnerstagmorgen (26.01.2023) deutscher Zeit die in diesen Tagen vielleicht schwierigste Aufgabe im Damentennis.
Azarenka über Panikattacken: "Tennisplätze triggern das"
Statt um Sport ging es Azarenka in der Pressekonferenz aber um andere Dinge: Panikattacken und Versagensängste. Einige werden sich sofort an die Miami Open im vergangenen Jahr erinnert haben. Damals ließ sie ihre junge Gegnerin Linda Fruhvirtova während des Matches stehen, gab ihr die Hand und verschwand. Später bedauerte sie diesen Auftritt öffentlich. "Sich in so einer unkomfortablen Situation zu befinden, ist beängstigend", erklärte Azarenka nun, nachdem der Erfolg wieder zurück ist. "Tennisplätze, wahrscheinlich für alle, aber speziell für mich, triggern diese Ängste sehr." Sie habe lange gebraucht, um diese überhaupt richtig wahrnehmen und damit umgehen zu können.
Ihr Team um Trainer Maxime Tchoutakian ist ihr nun eine Stütze. Der Franzose ist 28 Jahre alt, war vor fünf Jahren unter den besten 600 der Weltrangliste, absolvierte seine Trainerlizenz an der renommierten Mouratoglou-Akademie in Nizza. Dort baute er vor zwei Jahren Vertrauen zu Azarenka auf, die ihn vor den US Open 2021 zum alleinigen Trainer beförderte. Mit Fitnesstrainer Francis Bougy und Physiotherapeut Alan Obst präsentieren sie sich Down Under als geschlossene Einheit. Azarenka wirkt gefestigt.
Azarenka über sexualisierter Gewalt "Passiert links und rechts"
Das war lange nicht so. Die Spielerin aus Belarus lebt seit vielen Jahren in Kalifornien. Nach der Geburt ihres Sohnes Leo vor sechs Jahren kam es zum Sorgerechtsstreit mit dem Vater, weshalb sie lange nicht den Staat verlassen durfte und so viele Turniere verpasste, unter anderem zweimal die Australian Open.
In der Folge blieben die großen Erfolge aus, trotzdem übernahm sie Verantwortung im Spielerrat der WTA. Während der US Open im vergangenen Jahr berichtete sie als erste deutlich über sexualisierte Gewalt auf der Damentour, berichtete von toxischen Spieler-Trainer-Beziehungen, Gefahren für junge Spielerinnen und forderte von den Verantwortlichen neue Regeln für besseren Schutz. "Sowas passiert links und rechts auf der Tour", sagte Azarenka. Zuvor waren Vergewaltigungsvorwürfe gegen einen ehemaligen Trainer der französischen Spielerin Fiona Ferro öffentlich geworden.
"Zehn verdammte Jahre, um darüber hinweg zu kommen"
Nun also nur noch ein Schritt bis zum Finale der Australian Open. Wie vor zehn Jahren, 2013, unvergessen. Im Halbfinale gegen Sloane Stephens nahm sie damals eine ausufernde medizinische Auszeit, zehn Minuten war sie verschwunden, sicherte sich danach den Sieg. Anschließend hatte sie sich in einem TV-Interview und später in der Presserunde mit zwei verschiedenen Verletzungserklärungen verzettelt. Das Medienecho war dementsprechend negativ. "Es war eine der schlimmsten Erfahrungen meiner Karriere, wie ich danach öffentlich behandelt wurde, wie ich mich bis 22.30 Uhr abends erklären musste, weil mir niemand glauben wollte. Es hat mich zehn verdammte Jahre gekostet, um darüber hinweg zu kommen."
Es gebe in dieser Welt manchmal ein unglaublich großes Verlangen nach Geschichten, die Helden aber auch Bösewichte beinhalteten. In dieser Hinsicht müsse sie Novak Djokovic rechtgeben, der ähnliches preisgab. "Aber wir sind keine Bösewichte", stellte Azarenka klar. "Wir sind auch keine Helden. Wir sind normale Menschen, die so, so viele Dinge durchmachen."