Australian Open Alexander Zverev - gegen Djokovic und sich selbst
Jetzt ist es soweit. Vor knapp zwei Wochen saß Alexander Zverev in der Pressekonferenz vor den Australian Open und antwortete auf die scherzhafte Frage von Novak Djokovic, wann er endlich seinen ersten Grand-Slam-Titel holen würde, mit: "Wenn du mich lässt." Nun stehen sich beide im Halbfinale gegenüber.
Alexander Zverev kam so ausgeruht, wie man nach fünf Matches eben sein kann, in den großen Pressekonferenz-Raum der Australian Open. Eine Stunde zuvor hatte er sein Viertelfinale gegen Tommy Paul in vier Sätzen für sich entschieden. Zum siebten Mal insgesamt in seiner Karriere steht der 27-jährige im Halbfinale eines der vier Grand-Slam-Turniere, zum dritten Mal bei den Australian Open. Angesprochen darauf, was bei diesem Lauf ins Halbfinale anders sei als vergangens Jahr, kam Zverev auf das Offensichtliche zu sprechen, den Kräfteverschleiß: "Letztes Jahr habe deutlich länger auf dem Platz gestanden." Nur zwei Sätze hat er bisher abgegeben, drei Stunden weniger gespielt als sein kommender Gegner Novak Djokovic.
Ein großes Hindernis in der Grand-Slam-Karriere Zverevs war wiederholt, dass er sich in frühen Runden aufrieb und in den entscheidenden Matches keine Kraft mehr hatte. Das ist vor dem Halbfinale am Freitagmorgen deutscher Zeit anders. Und Novak Djokovic musste im Viertelfinale nicht nur körperlich, sondern auch emotional ans Limit gehen.
Djokovic verschiebt Grenzen
Das Match von Djokovic gegen Carlos Alcaraz hatte Substanz gekostet. "Es war so viel Energie auf dem Platz. Es hat sich wie ein Grand-Slam-Finale angefühlt, um ehrlich zu sein. Ich wünschte, das wäre es gewesen", gab Djokovic Einblick in sein Körper- und Seelenleben. Der 24-malige Grand-Slam-Sieger schafft es immer wieder, seine Grenzen zu verschieben. Das war schon beim Finale der Olympischen Spiele 2024 der Fall, das war jetzt in Melbourne genauso. Nur noch mit Verletzung obendrauf.
Ein falscher Schritt Djokovics, Schmerzen im Oberschenkel, Medical Timeout, Tape. Wie sehr ihn die Verletzung am Freitag einschränken wird, steht zu diesem Zeitpunkt noch nicht fest. Alexander Zverevs Bruder Mischa wiegelte im Interview mit der ARD aber schon ab: "Das gab es schon öfter bei Novak in Grand Slams. Ob das eine Bauchmuskelzerrung war oder eine Schulterverletzung. Er ist imstande, auch wenn er leicht angeschlagen ist, sein bestes Tennis zu produzieren."
Novak Djokovic findet auch im 23. Jahr seiner Profikarriere noch Nuancen in seinem Spiel, an denen er arbeiten kann. Anfang 2024 trennte er sich von seinem Coach Goran Ivanisevic, stellte überraschend Ende des Jahres seinen jahrzehntelangen Konkurrenten Andy Murray als neuen Trainer vor. Jeder Stein wird umgewälzt, um das Optimum herauszuholen.
Neuer gegen alter Zverev
Zwölf Mal haben Djokovic und Zverev gegeneinander gespielt, achtmal gewann Djokovic. Drei Matches wurden bei Grand Slams ausgetragen, Djokovic gewann alle drei. Zuletzt jedoch 2021. Zverev war damals ein anderer, ein unsicherer Spieler. Der Aufschlag, jetzt ein stabiler Grundpfeiler seines Spiels, war noch keine verlässliche Größe, die taktische Ausrichtung eher defensiv. In den vergangenen Monaten hat Zverev an einer offensiveren Form seines Spiels getüftelt. Zum Aufschlag gesellt sich eine mit mehr Tempo geschlagene Vorhand, häufigere Besuche am Netz.
Dass der Kampf zwischen dem "alten" und dem "neuen" Zverev noch nicht entschieden ist, zeigte sich im Achtelfinale gegen Ugo Humbert. Nach einem fast perfekten ersten Satz verlor Zverev den zweiten. Leichte Unsicherheit kroch im dritten Satz in seinen Körper. Doch im Laufe des Matches erinnerte sich der Weltranglistenzweite wieder an sein neues, sein offensives Spiel. Er gewann das Match in vier Sätzen. Auch gegen Tommy Paul im Viertelfinale lief nicht alles zu Zverevs Zufriedenheit. Paul war über weite Strecken der ersten zwei Sätze der risikoreichere Spieler.
Will Zverev gegen Djokovic gewinnen, wird er häufiger den neuen Zverev zeigen müssen. Die Grand-Slam-Duelle haben es bewiesen: Djokovic ist ein Meister darin, die anstrengenden, langen Grundlinienduelle mitzugehen. In Melbourne hat er die meisten der langen Ballwechsel für sich entschieden. Es wird spannend, wie sich der Deutsche verhält, wenn der Spielstand eng ist. Verfolgt er weiter seinen neu entdeckten Offensivstil oder zieht er sich in seine Komfortzone zwei Meter hinter der Grundlinie zurück? Ausgeruht dürfte er sein, so dass ihm nicht die Puste ausgeht. Nur, auf eines wird Zverev nicht zählen können: Dass Djokovic ihn lässt.