Vor den French Open Alexander Zverevs Kampf gegen die eigenen Dämonen
Dass Alexander Zverev die Fähigkeiten besitzt, ganz vorne in der Weltspitze mitzumischen, hat er bereits bewiesen. Doch derzeit scheint er nicht er selbst zu sein. Kommt er zu den French Open noch in Form?
Letzte Ausfahrt Genf? Was sich so existentiell anhört, ist für Alexander Zverev tatsächlich die einzig verbliebene Möglichkeit, einen letzten Test auf Wettkampf-Niveau zu absolvieren. Der 26-Jährige wird in der kommenden Woche ganz kurzfristig am ATP-Turnier in der Schweiz teilnehmen. Eine letzter Versuch Zverevs, vor den French Open doch noch in die nötige Top-Verfassung für ein Grand-Slam-Turnier zu kommen? Oder gar eine Form der Selbstkasteiung?
Nach der jüngsten, deutlichen Pleite gegen Daniil Medwedew (2:6, 6:7) in Rom - der bereits dritten in diesem Jahr gegen den Russen - sparte Zverev nicht mit Selbstkritik mit Blick auf seine Rückkehr in die Weltspitze: "Ich bin immer noch 1.000 Kilometer weit entfernt. Um zu sagen, man ist wieder dabei, muss man wenigstens einmal gewinnen, und das tue ich ja nicht. Momentan spiele ich dieses Jahr das schlechteste Tennis wahrscheinlich seit 2015, 2016."
Herbe Niederlagen zuvor gegen Carlos Alcaraz in Madrid (1:6, 2:6) oder auch Pleiten gegen den vor allem nur Tennis-Insidern bekannten Australier Christopher O'Connell unterstreichen die Selbsteinschätzung Zveres. "Ich kriege es irgendwie jetzt momentan nicht hin, weiter im Turnier zu kommen", sagte Zverev.
Viel Substanz verloren gegangen
Der gebürtige Hamburger scheint enttäuscht von sich selbst zu sein. Er wirkt auf dem Court seltsam wankelmütig, sein ursprünglicher Fokus auf die entscheidenden Situationen scheint vollständig abhanden gekommen zu sein. Das Selbstbewusstsein, in den engen Matches die richtigen Schläge zu nutzen und den Gegner an dieser Mauer der Selbstüberzeugung wie selbstverständlich abprallen zu lassen, ist verloren gegangen.
Zverev wirkt in diesen Tagen häufig gerade nach langen Ballwechseln kraftlos und ausgepumpt. Kein Vergleich zu dem kraftstrotzenden jungen Mann, der er vor seinen schweren Bänderverletzungen war, die er sich im vergangenen Jahr in Paris zugezogen hatte. Sieben Monate lang musste er pausieren. Ein langer Zeitraum, der ihm offenbar eine gehörige Portion körperliche, aber auch mentale Substanz gekostet hat. Es scheint, als würde er gegen die eigenen Dämonen ankämpfen müssen.
Ähnlich wie beim Österreicher Dominik Thiem, der ebenfalls nach einem längeren, verletzungsbedingten Ausfall verzweifelt den Anschluss sucht. Noch im Jahr 2020 standen beide bei den US Open im Finale, das Thiem in einem hochbrisanten Match hauchzart für sich entscheiden konnte. Mit dem Blick aus heutiger Sicht eine Partie, die aus einem anderen Millennium zu stammen scheint.
Struff löst Zverev ab
Noch immer versucht Zverev, seine Schläge vor allem mit viel Kraft und Wucht auszuführen. Aber zum einen wirkt er derzeit körperlich nicht voll auf der Höhe. Zum anderen kommen bei ihm Spielwitz, die Flucht nach vorn ans Netz, die nötige Variabilität, oft zu kurz.
So ist es auch kein Zufall, dass Zverev (Weltranglistenplatz 27) laut ATP-Ranking nun erstmals seit langer Zeit nicht mehr der beste deutsche Tennisspieler ist und von Jan-Lennard Struff (26) ab kommenden Montag abgelöst wird. Zverevs größter Wunsch, mindestens einmal eines der vier Grand-Slam-Turniere (Melbourne, Paris, London, New York) zu gewinnen, erscheint derzeit überaus weit entfernt.
Djokovic sieht neue Generation
Kein Geringerer als der Superstar der Tennisszene, Novak Djokovic, stellte nach seinem Ausscheiden in Rom gegen den Shootingstar Holger Rune fest: "Er war einfach besser." So etwas musste der 22-malige Grand-Slam-Sieger bislang nur äußerst selten über einen direkten Kontrahenten sagen.
Und auch die Folgerung des 35-Jährigen daraus dürfte die Generation Zverev hellhörig machen. "Offensichtlich ist bereits eine neue Generation da. Alcaraz ist ab Montag die Nummer eins der Welt. Offensichtlich spielt er fantastisches Tennis", so Djokovic. "Ich denke, es ist auch gut für unseren Sport, dass wir neue Gesichter haben, neue Leute, die aufsteigen. Das ist ganz normal."
Dabei wäre die Chance für Zverev - seine Normalform vorausgesetzt - in diesem Jahr umso größer gewesen, den Titel in Paris zu gewinnen. Schließlich ist Seriensieger Rafael Nadal erstmals seit seinem Debüt im Jahr 2005 nicht dabei, sagte verletzungsbedingt ab. Und damit ist die wohl größte unüberwindbare Hürde nicht mehr vorhanden.
Aber: Es ist nur schwer vorstellbar, dass Zverev in Genf innerhalb kürzester Zeit zu seinem alten Status zurückfindet. Womöglich hilft ihm dieses Turnier sich selbst zu finden? Gerade noch rechtzeitig vor Paris?