Special Olympics Einfach mal die Welt umarmen - fünf Geschichten aus Berlin
Neun Tage haben die Special Olympics World Games Berlin und die Welt bewegt. Auf und neben den Sportplätzen gab es große Emotionen. Fünf Geschichten dieser Weltspiele.
Bei ihrer Premiere in Deutschland haben die Special Olympics World Games gleich 330.000 Fans angezogen. Die weltweit größte Sportveranstaltung für Menschen mit geistiger und mehrfacher Beeinträchtigung hat Berlin für neun Tage bewegt. Die Athletinnen und Athleten eiferten in 26 Sportarten um Medaillen. Dabei stand aber nie der Medaillenspiegel im Vordergrund, sondern immer die Idee, dem inklusiven Sport eine größere Bühne zu bieten. Bejubelt wurden am Ende alle.
I. Der Mann, der die Welt umarmt
Er schreit. Dann lacht er und reißt die Hände in die Luft. Nur einen Sekunden-Bruchteil später schießen ihm die Tränen in die Augen. Es sind Freudentränen. Charles Philipps, genannt "Charlie", hat gerade Silber im Kraftdreikampf gewonnen. Für den US-Amerikaner geht damit ein Lebenstraum in Erfüllung. "Als ich geboren wurde, haben die Ärzte gesagt, ich würde mein ganzes Leben lang im Rollstuhl sitzen", erzählt der 26-Jährige und redet sich - im besten aller Sinne - währenddessen in Rage: "Doch jetzt schaut mich an. Ich bin Teilnehmer bei den Special Olympics World Games und stemme eine Menge Gewichte."
Charlie Phillips hat sich in den Wochen vor und dann auch während der Weltspiele in Berlin zum Star gemausert. Seine mitreißende, stetig positive Art ist ansteckend. Das beste Beispiel ist ein Live-Interview beim US-Sender "ESPN" nach seinem Wettkampf. Während des Gesprächs luchst er der Reporterin das Mikrofon ab und richtet das Wort an die Zuschauenden. "Ich will nur noch sagen", beginnt er mit zittriger Stimme, "ihr bedeutet mir alle so viel!"
Es reicht nicht zu mehr, denn im Anschluss bricht er erneut, überwältigt von seinen Emotionen, in Tränen aus. Charlie Philipps steht mit seiner offenen, empathischen und positiv aufbrausenden Art stellvertretend für die vielen tausenden Athletinnen und Athleten dieser Spiele. Das i-Tüpfelchen auf Charlie Phillips‘ Special-Olympics-Happy-End: Letztendlich gab es bei den Weltspielen sogar vier Mal Edelmetall.
II. Bunter. Lauter. Athleten-Disko.
Es ist vermutlich eine der größten Polonaisen, die sich in der Hauptstadt seit langer Zeit gebildet hat. Während aus den Boxen wummernde Bässe dröhnen, schlängelt sich vor dem Brandenburger Tor eine hunderte Meter lange Kette von Menschen über den Platz. Im Schatten der ikonischen Quadriga verrät ein Blick in die Gesichter: Dieser Moment ist für viele das Highlight der Special Olympics World Games.
Diverse Male war im Vorfeld über die "Athleten-Disco" gemunkelt worden - sie werde "episch", "legendär" und "ein rauschendes Fest". Sie wurde all das - und mehr. Knapp 10.000 Menschen, mit und ohne Beeinträchtigung, Athletinnen und Athleten, Betreuerinnen und Betreuer liegen sich in den Armen. Die Schweizer Delegation stimmt zum Sprechchor an: "Party, Party, Party".
Bei den Special Olympics in Deutschland gehört eine Athleten-Disco zum festen Programm auch der nationalen Veranstaltungen - jüngst gesehen beim Testlauf für die Weltspiele im vergangenen Jahr in Berlin. Im Ausland ist das (noch) nicht so. Dementsprechend ist die Begeisterung bei den 175 Gast-Delegationen schier grenzenlos. "The beste Party ever", also "die beste Party aller Zeiten" ruft ein Athlet aus Italien. Die Journalistinnen und Journalisten müssen übrigens nach einer Stunde das Feld räumen - die Teilnehmenden sollen kamerafrei die Zeit genießen und unter sich einfach mal die Sau rauslassen.
III. Die "Pooper Scoopers"
"Wir müssen die Scheiße schaufeln", sagt Sonia mit einem Lachen. Dabei schiebt sie ihre Schubkarre über die Reitanlage des Olympiaparks. Zusammen mit Maria und Michelle ist sie eine von 18.000 Freiwilligen, die bei den Special Olympics World Games arbeiten.
Zu ihrer eher ungewöhnlichen Aufgabe sind sie durch ein Missverständnis gekommen. Auf dem Blatt habe "apple pickers", also Apfelpflücker, gestanden. "Wir dachten, dass sie Leute suchen, die die Pferde mit Äpfeln füttern", so Sonia. Die Auflösung gab es erst in Berlin: "Oh mein Gott, wir sind aus Irland angereist, um Pferdemist aufzuheben." Die gute Laune ließen sich die drei davon nicht verderben. "Riecht ihr dieses Aroma? Es ist fast so, als würden wir nach Gold suchen. Nur, dass es Pferdeäpfel sind", sagt Sonia und rüttelt die Schubkarre so, dass sich Pferdeäpfel und Sand trennen: "Ich sage euch: es ist brillant."
IV. "Unified“ oder: alle zusammen!
Zu fünft stehen sie in einem Kreis zusammen. Unter ihren Füßen von der Sonne aufgeheizter Sand. Die Gruppe streckt ihre Arme in die Mitte und legt die Hände übereinander. "Drei, zwei, eins: 'Gemeinsam stark'", rufen alle aus vollen Halse und werfen die Arme nach oben. Diese Gemeinschaft ist eine von zwei "Unified Mannschaften", die für Deutschland beim Beachvolleyball antritt. "Unified" - also vereinigt.
Das Konzept ist relativ simpel: Menschen mit und ohne Beeinträchtigung bilden ein Team. Bei den Weltspielen in Berlin wurden 16 Unified-Sportarten ausgetragen, darunter Badminton, Boccia oder Freiwasserschwimmen. Mehr als 1,4 Millionen Menschen weltweit nehmen solche Unified Sportangebote wahr.
Alle zusammen: Das deutsche Unified-Bechvolleyballteam klatscht sich ab.
Zurück zum Beachvolleyball. Pauline Clauß ist Unified-Partnerin, heißt: Sie lebt ohne geistige Beeinträchtigung. "Wir kennen uns jetzt schon sehr lange und es sind richtige Freundschaften entstanden", erzählt die 29-Jährige: "Es geht darum, gemeinsam Spaß zu haben." Die Aufgabe der Unified-Partner ist klar: "Die Hauptsache ist, dass die Athletinnen und Athleten ihr Spiel machen können. Die Partner unterstützen das. Generell ist wichtig, dass niemandem Bälle weggenommen werden. Jeder soll seinen Raum haben." Kaya Schöbel lebt mit einer geistigen Beeinträchtigung und spielt seit zwei Jahren Volleyball. Erfolgreich zu spielen ist ihr zwar wichtig, wenn es aber mal nicht so läuft, dann "klatschen wir uns ab und dann geht es mir wieder besser. Dann geht es uns allen besser." Na "unified" eben.
V. Healthy Athletes
Ein Athlet von den Seychellen zeigt aufgeregt seine neue Brille. Eine Sonnenbrille, ebenfalls neu, sitzt oben auf dem Cap. Er ist einer von 4.000 Sportlerinnen und Sportlern, die während der Weltspiele bei "Healthy Athletes" für Gesundheitschecks vorbeigeschaut haben. Das Gesundheitsprogramm wurde 1997 durch Special Olympics gegründet und konzentriert sich auf die Bedürfnisse von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung. An sieben bunt dekorierten Stationen können sie sich möglichst stressfrei untersuchen und beraten lassen. Das Angebot reicht von Mundhygiene, über mentale Gesundheit bis hin zu Hör- und Sehtests.
Die Station "Opening Eyes" ist besonders beliebt. Denn durch mehrere Sponsoren können Thomas Pohlenz und sein Team kostenlos Brillen mit Sehstärke an die Athletinnen und Athleten herausgeben. Teilweise ergeben die Screenings Werte von minus 20 Dioptrien. Am Ende sind es über 1.300 Brillen mit Stärke. "Es ist immer ein toller Moment, wenn die Athleten ihre Brillen bekommen. Manche sind dabei, die zum ersten Mal eine Brille haben", so Pohlenz, der wie alle im Team ehrenamtlich arbeitet.