Gewalt im Sport Meilenstein für mehr Schutz
Bundesinnen- und Sportministerin Nancy Faeser hat die unabhängige Ansprechstelle "Safe Sport" für Betroffene sexualisierter, psychischer und physischer Gewalt im Sport eröffnet.
Das Wort "Meilenstein" fällt oft an diesem Nachmittag. Vielen, die in den vergangenen Jahren am Aufbau der Anlaufstelle gearbeitet haben, ist die Freude anzusehen und auch ein wenig der Stolz. Stolz darauf, dass es jetzt mit "Safe Sport. Dein Halt bei Gewalt" die erste unabhängige Anlaufstelle gibt, die sich speziell an Betroffene aus dem Breitensport richtet.
"Es ist furchtbar, dass wir sie brauchen, aber wir brauchen sie", ist Bundesinnen- und Sportministerin Nancy Faeser überzeugt. Und die jüngste Studie "Sicher im Sport" gibt ihr Recht. Forscherinnen und Forscher von der Sporthochschule Köln und der Uniklinik Ulm haben dafür mehr als 4.000 Vereinssportlerinnen und -Sportler befragt. Ilse Hartmann-Tews hat an der Studie mitgearbeitet. Die Professorin nennt in ihrer Rede bei der Eröffnung der Anlaufstelle "Safe Sport" die wichtigsten Ergebnisse der Studie aus dem vergangenen Herbst.
Fast zwei Drittel der Befragten hätten angegeben, im Sport schon einmal oder sogar mehrfach Gewalterfahrungen gemacht zu haben Diese reichten von verbalen und körperlichen sexuellen Belästigungen über psychische Gewalt bis hin etwa zu Schlägen.
Für Betroffene im Vereinssport
"Die Hälfte dieser Betroffenen vertraut sich niemandem an", so Hartmann-Tews: "Und wenn Betroffene Vorfälle und Übergriffe bekannt machen, dann, so zeigen die Untersuchungen, stoßen sie ganz oft auf taube Ohren. Das, was sie sagen, wird negiert, oftmals werden die Vorfälle auch in den Vereinen unter den Tisch gekehrt." Die Wissenschaftlerin ist auch Vorstandsmitglied im Verein Safe Sport e.V, dem Trägerverein der neuen Ansprechstelle.
Hier können ab sofort Menschen mit Gewalterfahrung speziell im Vereinssport Unterstützung bekommen. Das Besondere an "Safe Sport": Die Anlaufstelle ist auf den Themenbereich Sport spezialisiert, aber unabhängig von den Strukturen des organisierten Sports. Betroffene können sich anonym bei "Safe Sport" melden. "Über eine 0800 Nummer oder über unsere Website. Da bieten wir eine Online-Beratung an. Das wird vielleicht gerade von jüngeren Menschen eher angenommen. Und es gibt auch die Möglichkeit, Termine für die Vorort-Beratung hier in Berlin zu machen", beschreibt Ina Lambert die Möglichkeiten der Kontaktaufnahme zur Beratungsstelle. Die Psychologin ist Geschäftsführerin von "Safe Sport". Zwei weitere Mitarbeitende stehen ihr zur Seite. Sie behandeln alle Meldungen vertraulich, geben nichts an Sportvereine oder -verbände weiter. Das Angebot richte sich an Menschen aus ganz Deutschland.
Arbeit "auf Augenhöhe"
Im ersten Jahr finanziert der Bund die Stelle mit 300.000 Euro. Ab 2024 beteiligen sich die Länder zur Hälfte daran. Betroffene waren von Beginn an in die Entwicklung der neuen Ansprechstelle eingebunden. Eine Ausnahme, wie Angela Marquardt aus eigener Erfahrung bestätigt. Sie gehört mit weiteren Betroffenen ebenfalls zu den ehrenamtlichen Gründungsmitgliedern des Trägervereins von "Safe Sport": "Wir haben viele Stunden mit an der Konzeptionierung gearbeitet und waren zu jedem Zeitpunkt und bei jedem Arbeitsschritt dabei. Und das war schon ein, wie ich finde, Prozess auf Augenhöhe. Das erleben Betroffene nicht so oft, selbst dann nicht, wenn es eigentlich um ihre Interessen geht."
Auch Sportlerinnen und Sportler sind über ihre Interessenvertretung "Athleten Deutschland" Mitglied im Trägerverein der neuen Anlaufstelle. "Athleten Deutschland" ist ausschließlich für Kaderathletinnen und -athleten zuständig und hat für sie bereits vor mehr als einem Jahr "Anlauf gegen Gewalt" gegründet, eine unabhängige Beratungsstelle, an die sie sich Leistungssportlerinnen und -Sportler bei Gewalterfahrungen wenden können. Hier bekommen sie psychologische und juristische Erstberatung. Im ersten Jahr des Bestehens haben sich 150 Menschen an "Anlauf gegen Gewalt" gewendet, berichtet Maximilian Klein von "Athleten Deutschland", "alle zwei Tage eine Email". Betroffenen aus dem Breitensport habe "Anlauf gegen Gewalt" mangels Mandat nicht helfen können.
Baustein für "Zentrum Safe Sport"
Bei der Eröffnung der Ansprechstelle "Safe Sport" wirkt Klein froh und erleichtert, "dass jetzt alle Betroffenen im Sport unabhängige Beratungsangebote haben". Jetzt blickt er auf den nächsten Schritt: ein unabhängiges Zentrum für Safe Sport. Das soll eine übergeordnete Institution werden, für die die jetzt eröffnete Anlaufstelle "Safe Sport" der erste Baustein ist: "Mit dem Zentrum für Safe Sport kommt dann auch die Lösung vor allem im Bereich Intervention, damit dann auch unabhängige Untersuchungen durchgeführt werden und mutmaßliche Täter sanktioniert werden können". Intensive Vorbereitungsgespräche für das Zentrum laufen aktuell, mit der Anlaufstelle "Safe Sport" ist der erste Schritt gemacht.
Bei deren Eröffnung haben alle Rednerinnen und Redner Appelle an den organisierten Sport gerichtet: "Helfen Sie mit, Gewalt im Sport vorzubeugen", sagte auch Bundesinnen- und Sportministerin Nancy Faeser, "helfen Sie mit, eine Kultur des Hinsehens zu schaffen. Machen Sie die Arbeit der Ansprechstelle sichtbar."
Neben seinen eigenen Beratungsangeboten etwa bei Landessportbünden solle der organisierte Sport Hilfesuchende und Betroffene auch auf das unabhängige Beratungsangebot bei "Safe Sport" hinweisen. Dadurch könnten Betroffene dann selbst entscheiden, von welcher Stelle sie sich Unterstützung holen möchten.
Safe Sport. Dein Halt bei Gewalt:
https://www.ansprechstelle-safe-sport.de
Anlauf gegen Gewalt:
https://www.anlauf-gegen-gewalt.org