Leichtathletik-Verband plant Regeländerung Weitsprung ohne Absprungbalken?
Der Leichtathletik-Weltverband World Athletics plant eine Regeländerung: Der Absprungbalken soll abgeschafft und stattdessen eine Absprungzone eingeführt werden. Eine Änderung, über die die Meinungen auseinandergehen.
Bislang sind es noch Gedankenspiele: Der Leichtathletik-Weltverband World Athletics überlegt im Weitsprung, den traditionellen Absprungbalken abzuschaffen und durch eine größere Absprungzone zu ersetzen.
So soll die Anzahl der Fehlversuche reduziert werden. Bei der Leichtathletik-WM in Budapest im Vorjahr hätten ein Drittel der Sprünge nicht gezählt, so World-Athletics-Geschäftsführer Jon Ridgeon: "Das funktioniert nicht, das ist Zeitverschwendung." Mit der Regeländerung würde so jeder Sprung zählen, "das erhöht die Spannung und die Dramatik des Wettkampfs."
Auch Sebastian Coe zeigt sich einer Regeländerung gegenüber zumindest aufgeschlossen
Auch Sebastian Coe, Präsident des Leichtathletik-Weltverbandes, zeigte sich jüngst durchaus aufgeschlossen für eine potenzielle Änderung der Absprungregel: "Wir haben nach der WM in Budapest viel geforscht, im Stadion, mit den Leuten an den Fernsehgeräten und wir werten das immer noch alles aus, aber es gab doch einige Schlüsselerkenntnisse [...] Ich sage nicht, dass diese Änderung die einzige Lösung ist, es ist eine von mehreren möglichen, aber wir werden uns nicht vor Innovation verschließen."
Regeländerung käme Malaika Mihambo entgegen
Mit einem Sieg beim ISTAF Indoor in Berlin und einer Weite von 6,95 Meter beendete Weitsprung-Olympiasiegerin Malaika Mihambo in der vergangenen Woche ihre kurze Hallensaison. Es war ihr weitester Sprung in diesem Winter und wie schon so häufig in ihrer Karriere gelang er im entscheidenden letzten und sechsten Durchgang, nach zuvor drei ungültigen Versuchen. Der Absprungbalken und Mihambo sind nicht unbedingt beste Freunde.
In den vier Hallenwettkämpfen gelangen ihr jeweils nur drei gültige Versuche, beim ISTAF Indoor in Düsseldorf schied sie am Tag nach ihrem 30. Geburtstag ohne gültigen Versuch aus dem Wettkampf aus. "Einer davon wäre über sieben Meter gewesen", so ihr Trainer Uli Knapp.
Mit 6,95 Metern konnte sich Weitspringerin Malaika Mihambo beim Istaf Indoor in Berlin gegen ihre Konkurrenz durchsetzen
Messtechnik zeigt: Sprünge wären weiter gewesen
Mithilfe modernster Messtechnik lässt sich in der Leichtathletik inzwischen exakt ermitteln, wie weit ein Sprung gewesen wäre, wäre er gültig gewesen. So hätte Mihambo bei der WM 2022 in Eugene (USA) ihren Titel nicht mit 7,12 Meter verteidigt, sondern wäre mit 7,34 Meter Weltmeisterin geworden und hätte bei den anschließenden Europameisterschaften in München statt der Silbermedaille mit 7,03 Meter die Goldmedaille gewonnen.
Bundestrainer Knapp: "Sehe das sehr ambivalent"
Der Bundestrainer Weitsprung der Frauen sieht die mögliche Regeländerung ambivalent. "Zum einen ist es sehr interessant, dass man die beste Weite ermitteln kann und wirklich weiß, wer am weitesten gesprungen ist. Gleichzeitig macht die Genauigkeit am Absprungbalken aber den Weitsprung gerade aus", sagt Knapp.
Bei Wettkämpfen stets an der Seite von Weitsprung-Olympiasiegerin Malaika Mihambo: Trainer Ulrich Knapp
Besonders die Konstanz im Anlauf und Absprung mache für ihn die Faszination am Weitsprung aus: "Der Anlauf ist die wichtigste Steuerkomponente. Das ist Teil der Disziplin Weitsprung und das wird mit bewertet!"
Busemann: "Du musst das in sechs Versuchen schaffen"
Eine Ansicht, die auch Leichtathletik-Sportschau-Experte Frank Busemann teilt. Im Mehrkampf wäre für ihn eine Absprungzone denkbar, nicht aber im Wettbewerb der Spezialisten: "Das macht den Weitsprung doch erst aus. Der Kampf mit dem Balken, es gewinnt nicht automatisch der beste Sportler, sondern der, der den weitesten Sprung gültig macht. Das musst du schaffen in sechs Versuchen!"
Sollten sich die Regeln ändern und Weitspringer zukünftig aus einer Absprungzone abspringen, könnte Knapp gut damit leben, wie er im Sportschau-Interview erklärt: "Manchmal gehen Springer und Springerinnen unter Wert nach Hause, sie können viel weiter springen, als es das blanke Wettkampfergebnis zeigt."
Knapp betreut seit knapp vier Jahren Olympiasiegerin Mihambo. Er vermutet, dass der Leichtathletik-Weltverband nicht nur die Anzahl der Fehlversuche reduzieren möchte, sondern noch aus einem weiteren Grund Handlungsbedarf sieht: Dem erhöhten Verletzungsrisiko beim Absprung.
Verletzungsrisiko am Absprungbalken
Denn eine ausgereifte Video- und Messtechnik hat mittlerweile den Plastilin-Fußabdruck zum Nachweis des Übertretens auf dem Absprungbalken abgelöst. In der Aussparung des Absprungbalkens, in der früher die Plastilinmasse lag, liegen nun rutschige Kunststoff- und Sperrholzriegel. Eine Gefahrenquelle für die Athleten, warnt der erfahrene Trainer.
"Ich kann mich alleine an zehn Verletzungen in den letzten Jahren erinnern, die beim Absprung passiert sind. Ein Wadenbeinbruch, Athleten sind auf dem Plastilin weggerutscht. Auch bei der WM im vergangenen Jahr in Budapest sind einige Athleten übergetreten, da gab es viele Verletzungen" so Knapp.
Kunststoffeinlagebrett für sicheren Absprung
Beim ISTAF Indoor in Berlin wurde Athletenmanager Marc Osenberg kurzerhand kreativ: Er ließ ein Kunststoffeinlegebrett in die Aussparung legen und mit Tartan übergießen: "Darauf konnten die Spikes gut greifen, das hat wunderbar funktioniert."
Für Knapp stellt sich allerdings auch die Frage: Wenn man eine solche Regeländerung im Weitsprung macht, würden dann nicht auch andere Disziplinen nachziehen wollen? Würde dann über eine Abwurfzone im Speerwurf oder gültige Versuche beim Kugelstoßen trotz Übertretens diskutiert?
Großer technischer Aufwand nötig
Der Leichtathletik-Weltverband World Athletics will die geplante Regeländerung zunächst mit Athleten der zweiten Reihe testen, wie das konkret ablaufen soll, weiß Knapp nicht. Denkbar wären für ihn ausgewählte internationale Meetings. "Aber: Für eine solche Videokontrolle bedarf es eines enormen technischen Aufwands für die Messapparatur. Wer hat diese technischen Möglichkeiten? Nur bei vielleicht fünf Prozent der Wettkämpfe kann eine solche Apparatur zur Verfügung gestellt werden."
Für Knapp steht fest: Entweder gibt es eine Absprungzone oder einen Absprungbalken, es muss auf jeden Fall einheitlich zugehen. Dass die Regeländerung schon sehr bald kommt, möglicherweise schon 2026, wie vom Leichtathletik-Weltverband angedacht, kann er sich nicht vorstellen: "Denn ich glaube auch, dass sich sehr viele dagegen aussprechen werden. Alle Rekorde wären dann auf einen Schlag ungültig und ich glaube, das würde den wenigsten gefallen."