Turnerin bei EM 2018 in Glasgow

Missstände an Stützpunkten in Baden-Württemberg Politik macht Druck im Turnskandal: "Zuschüsse sollten eingefroren werden"

Stand: 13.02.2025 08:25 Uhr

Die schweren Vorwürfe von Spitzenturnerinnen über eklatante Missstände an den Turn-Stützpunkten in Baden-Württemberg beschäftigen nun auch die Landespolitik.

Öffentliche Ausschusssitzungen im baden-württembergischen Landtag sind selten. Aber am Donnerstag (13.02./14 Uhr) ist es soweit. Auf Antrag der SPD-Fraktion werden die bekannt gewordenen Missstände vor allem am Bundesstützpunkt Turnen in Stuttgart in einer öffentlichen Sitzung im Ausschuss für Kultus, Jugend und Sport beraten.

Schon im Vorfeld der Sitzung reagierten Landespolitiker auf einen offenen Brief, den etliche Turnerinnen um Janine Berger (Olympia-Vierte 2012), Sophie Scheder (Olympia-Bronze 2016) und Nadine Jarosch (Olympia-Teilnehmerin 2012) Anfang der Woche an den Deutschen Turner-Bund (DTB), das Sportministerium Baden-Württemberg und den Landessportverband BW adressiert hatten. Darin forderten die Unterzeichner den DTB auf, seinen bereits erteilten Auftrag an die Frankfurter Rechtsanwaltskanzlei Rettenmaier zur Untersuchung der erhobenen Vorwürfe und Missstände zurückzunehmen. Die Unterzeichner äußerten große Bedenken an der Unabhängigkeit der Kanzlei. Sie fordern stattdessen "eine neutrale und von den Turnverbänden unabhängige Aufklärung".

SPD-Politiker Binder: "Die Zuschüsse sollten eingefroren werden"

Unterstützung erhalten die Turnerinnen von Sascha Binder, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Landtagsfraktion. "Eine interne Aufarbeitung reicht nicht aus – aber nicht mehr findet statt, wenn eine offenbar mit dem Deutschen Turner-Bund in Beziehung stehende Kanzlei eingesetzt wird." Die Bedenken der Sportlerinnen müssten von den Verbänden endlich akzeptiert werden. "Deswegen müssen die Verbände umgehend eine externe und unabhängige Untersuchungskommission einsetzen, damit die Vorwürfe vollständig und transparent mit den Betroffenen aufgearbeitet werden." Binder fordert: "Bis das passiert, sollten die Zuschüsse eingefroren werden."

Für das Jahr 2025 ist eine finanzielle Förderung des Turnsports in Baden-Württemberg in Höhe von gut 1,6 Millionen Euro vorgesehen. Auch Sportministerin Theresa Schopper behält sich ein mögliches Einfrieren von Fördergeldern vor. Ihr Ministerium betont, die Mittel für den Schwäbischen Turnerbund (STB) stünden aktuell unter Vorbehalt.

Sportministerin Schopper: "Aufklärer müssen das volle Vertrauen aller Akteure genießen"

Hinsichtlich der Beauftragung der Frankfurter Anwaltskanzlei durch den DTB sagte Schopper dem SWR: "Bei einer Vertrauenskrise von solch einem Ausmaß müssen die Aufklärer das volle Vertrauen aller Akteurinnen und Akteure genießen. Nur das kann eine transparente Aufarbeitung gewährleisten." Sie fügt an: "Deshalb fordern wir ein unabhängiges, ergebnisoffenes und sorgfältiges Vorgehen – ohne Schnellschüsse."

Die schlimmen Erfahrungen von Rekordturnerin Elisabeth Seitz

Am 20. Januar hatte der Deutsche Turner-Bund mitgeteilt, dass die Frankfurter Kanzlei Rettenmaier "mit der umgehenden Untersuchung der Vorwürfe" beauftragt werden solle. Nach SWR-Informationen will der DTB aber erst am kommenden Freitag (14.02.) den Schwäbischen Turnerbund (STB) und das zuständige Ministerium über das "Untersuchungs-Design" unterrichten. Anschließend will der DTB öffentlich auf den offenen Brief der Turnerinnen reagieren.

Haben DTB und STB die Missstände verschwiegen?

Nicht immer scheint eine transparente Kommunikation durch DTB und STB zu gelingen. Auf die Frage der SPD-Landtagsfraktion, wann das zuständige Sportministerium BW vom Brief Tabea Alts im Jahr 2021 zu den Missständen am Kunst-Turn-Forum in Stuttgart erfahren habe, antwortet das Ministerium in einer Stellungnahme vom 20. Januar 2025, dass es erst am 29. Dezember 2024 durch die Medien von Alts Brief in Kenntnis gesetzt wurde. Auf Nachfrage, inwiefern das Ministerium (von DTB und/oder STB) darüber hätte informiert werden müssen, gibt es - vielsagend - keine Antwort.

Haben DTB und STB also wissentlich die Missstände am Kunst-Turn-Forum gegenüber dem geldgebenden Ministerium verschwiegen? Haben die Turnverbände Steuergelder erhalten, obwohl das Ministerium immer wieder deutlich machte: "Wer Landesmittel möchte, muss sich verpflichten, jegliche Form von psychischer, physischer und sexualisierter Gewalt zu unterbinden"?

Olympia-Vierte Janine Berger ohne Vertrauen in die Sportverbände

Janine Berger, Olympia-Vierte am Sprung 2012 in London, hat ihr Vertrauen in die Selbstreinigungskräfte des Sports verloren. Sie setzt ihre Hoffnung auf die Politik. Berger sagte im SWR:

Ich vertraue darauf, dass die Politik in Zukunft genauer hinschaut: Was passiert mit den Fördergeldern? Janine Berger, Olympia-Vierte 2012

Bergers Forderung: "Die staatlichen Institutionen sollten die Verbände künftig besser kontrollieren, als sie es bisher gemacht haben." Mittlerweile hat die ehemalige Spitzensportlerin sogar eine eigene Petition auf den Weg gebracht. Darin fordert sie eine unabhängige Aufklärung des Turnskandals. Innerhalb von 24 Stunden unterzeichneten fast 1500 Personen die Petition.

Währenddessen bestätigte die Staatsanwaltschaft Stuttgart dem SWR, dass die Ermittlungen des Landeskriminalamts BW gegen einen ehemaligen Trainer am Kunstturnforum Stuttgart wegen des Verdachts der Nötigung weiterlaufen. Anklage sei bisher nicht erhoben worden.

Missstände im Turnen: Staatsanwaltschaft leitet Ermittlungsverfahren ein

Noch keine Trainer-Nachfolge gefunden

Auf SWR-Nachfrage bestätigte zudem ein Sprecher des STB, dass das Training im Kunstturnforum nach wie vor mit dem vorhandenen Trainer-Personal absolviert werden müsse. Matthias Ranke, Vize-Präsident Geschäftsleitung des STB, hatte am 21. Januar noch erklärt, er hoffe, "in wenigen Tagen" einen Nachfolger für zwei gekündigte Trainer gefunden zu haben. Nun sind Wochen ins Land gegangen - und die Spitzenturnerinnen um Olympia-Teilnehmerin Helen Kevric warten immer noch.

Bei der Besetzung der eigentlich zum 1. Februar ausgeschriebenen Stelle des Bundesstützpunktleiters in Stuttgart war der Schwäbische Turnerbund offenbar erfolgreicher. Nach Informationen der Stuttgarter Zeitung soll Nicolas Windelband zum 1. März die Nachfolge von Michael Breuning (65) antreten. Der 35-Jährige war zuletzt beim Badischen Turnerbund als Gesamtkoordinator für Olympischen Spitzensport tätig.

Sendung am Do., 13.2.2025 12:00 Uhr, SWR1 Baden-Württemberg, SWR1 Baden-Württemberg