Mein Sportmoment 2024 Olympische Spiele in Paris - mit Loriot, einem seltsamen Stahlseil und Jia You
329 Wettbewerbe gab es in Paris. Unmöglich, das alles live zu sehen. SWR-Sportredakteur Holger Kühner war bei den Olympischen Spielen zwischen Eiffelturm und den Champs-Élyseés - und erinnert sich gerne zurück.
Olympische Spiele - vom Privileg zum Geschenk
Es ist ein Privileg, als Journalist von den Olympischen Spielen berichten zu können. Paris 2024 ein paar Tage privat erleben und genießen zu dürfen, war hingegen ein Geschenk. Es ist die Faszination für die Olympischen Spiele und die Idee, die sich dahinter verbirgt, die uns im Sommer 2024 als Familie nach Paris gezogen hat. Die Spiele im Zeichen der Ringe, ineinander verflochten, mit den einfachen Farben blau, gelb, schwarz, grün, rot, die sich in allen Länderflaggen wiederfinden. Die Farben der Ringe können auch für fünf Kontinente stehen und bei genauerer Betrachtung kann ich von einem Kontinent zum anderen gehen. Alles hängt miteinander zusammen, schnörkellos. Alle Farben, alle Kulturen, alle Meinungen, alle Religionen verbinden sich in dieser Flagge. Insofern steckt in den Olympischen Spielen auch der Wunsch und die Hoffnung nach einer friedvollen Welt - die genauso utopisch ist wie die Vorstellung, dass teilnehmen wichtiger ist als siegen.
Der Olympische Moooment
Ich war als Reporter dabei, als die Olympischen Spiele 2024 an Paris vergeben wurden - im Doppelpack mit Los Angeles 2028. Hamburg hatte noch gezuckt, eine Bewerbung für 2024 dann doch nicht eingereicht. Also geht es mit dem TGV im Sommer 2024 nach Paris. In meinem Reisetagebuch finde ich am 3. August den Eintrag: "Komme kaum hinterher, alles aufzuschreiben, weil die Tage so dicht sind und gefüllt mit so vielen Erlebnissen und Eindrücken."
Wie soll ich da den einen Moment herausfiltern? "Moooment", denke ich und Loriot kommt mir in den Sinn, der großartige Humorist, Filmemacher und Realsatiriker, der mit seinem berühmten "Moooment" den Augenblick vervielfältigen und uns mitteilen wollte, dass sich manche Erlebnisse nicht in einem Moment zusammenfassen lassen, sondern auch einen "Moooment" lang dauern können.
Der Pariser Eiffelturm während der Olympischen Spiele bei Nacht
"Jia You" - chinesische Begeisterung, olympische Leidenschaft
Also rein in die Spiele. Wir haben darauf verzichtet, Karten zu tauschen oder gezielt nach Events zu schauen, bei denen deutsche Athletinnen und Athleten starten. Wir mögen das Internationale und sind heute beim Badminton in der Arena Porte de la Chapelle und sehen die vier Halbfinals im Doppel. Nur ein taiwanesisches Duo kann im Herrendoppel die chinesische Dominanz an diesem Tag brechen. Schräg vor uns sitzt ein chinesischer Fan, schmettert seinen Anfeuerungsruf mit der Ausdauer eines Marathonläufers durch die Halle. "Jia you", was ausgesprochen so ähnlich klingt wie "Tschai-Jo" und "Auf geht’s" bedeutet. Dazu wedelt der Mann - wir haben ihn gefragt, er ist extra aus London angereist - abwechselnd mit einem oder zwei Chinafähnchen. Er lächelt milde, als wir sagen, dass wir aus Deutschland kommen,
Badminton ist bei uns Randsport. Der "Jia You"-Anhänger ist ein echter Olympiafan, er jubelt, egal wie seine Landsleute spielen. Immer mehr Zuschauer kommen und wollen ein Foto mit ihm machen, seine Begeisterung ist ansteckend. Dann wedelt und ruft er weiter. Wir staunen über die chinesische Dominanz auf dem Court und schräg vor uns auf der Tribüne.
"Jia you" - "Auf geht's China"
Paris 2024 - ohne App bin ich nichts
Wie oft wurde von den "Spielen der kurzen Wege" berichtet. Vergiss es! Es braucht gutes Schuhwerk, ein Metroticket, Zeit und Geduld. Reinspringen ins Getümmel der Stadt, Abtauchen in die Unterwelt der Metro, fahren bis der Zug hält, auftauchen - und oft nicht wissen, in welche Richtung es weitergeht. Für alles gibt es eine App. Tickets für die Wettbewerbe sowieso, die Dauerkarte für die Metro, die Paris 2024 Info-App, der Stadtplan, alles auf dem Smartphone. Wenn der Akku die Grätsche macht, geht nichts mehr. Ich möchte nicht wissen, wie viele Besucher sich in Paris noch eine Powerbank gekauft haben, um das Smartphone mit Strom zu füttern und ich werde bei nächster Gelegenheit beim IOC fragen, ob das wirklich umweltfreundlich ist.
Olympische Spiele sind eine Belastung für die Stadt
Einen Moment lang denke ich daran, dass sich Hamburg um diese Ausgabe der Spiele 2024 bewerben wollte. Doch kaum jemand war Feuer und Flamme. Verstehe ich, seit ich in Paris war. Die Olympischen Spiele sind eine Belastung für die Stadt und die Menschen, die in ihr leben. Wer versucht, das zu verschweigen, hat verloren, kann nicht gewinnen, noch nicht einmal teilnehmen am Wettbewerb um die Austragung der Spiele. Die Plätze am Eiffelturm, der große Kreisverkehr am Place de la Concorde, monatelang gesperrt. Die Prachtstraße Avenue des Champs-Élysées, gesperrt. Umwege, Staus, Baustellenlärm.
Dann landet das "Raumschiff Olympia" für knapp drei Wochen. Viele Pariser sind geflohen, nicht wissend, dass die olympischen Besatzer friedlich sind, ohne Pyro und Hassparolen auskommen, dass Straßenradrennen, Marathonläufe und der Triathlon - als die Seine dann sauber war - mitten durch die Stadt führen. Nicht wenige der "Parisien" sind zurückgekommen, weil sich die Begeisterung im Land rumgesprochen hatte.
Ein Stahlseil vom Trocadero zum Eiffelturm - für eine TV-Kamera
Wer zu spät kam, hat auch das tägliche Public Viewing verpasst: Auf dem Place du Trocadero, der großen Fläche mit Blick auf den Eiffelturm, die zum öffentlichen Stadion umgebaut wurde, mit vier megagroßen Monitoren und den Liveübertragungen im französischen Fernsehen. Als ich dort sitze, sehe ich eine Kamera, die an einem Stahlseil schwebt, das vom Eiffelturm zu einem der historischen Gebäude am Trocadero gespannt ist. Wie dieses 800 Meter lange Stahlseil am Eiffelturm und an dem historischen Gebäude befestigt wurde, will ich von einem Mitarbeiter des IOC wissen, den ich im International Broadcast Center besuche. "Das willst Du nicht wissen", sagt er. "Moooment", erwidere ich, in der Hoffnung mehr über diesen Olympischen Moment auf dem Trocadero zu erfahren. "Das willst Du nicht wissen", wiederholt er und ich stelle mir nur vor, wie es wohl wäre mit Olympischen Spielen in Deutschland und einer "Spider Cam" an einem Stahlseil, befestigt an der Quadriga auf dem Brandenburger Tor und am goldenen Engel der Siegessäule. Echt jetzt? Vielleicht doch eine Nummer zu groß, die Distanz von zwei Kilometern, oder doch auch die gesamten Spiele in Deutschland?
Spider Cam - fast unsichtbar neben dem Eiffelturm
Moooment, da war auch noch der Nachmittag im Stade de France, Rugby Seven. Ein paar Tage später, Samstag, 3. August, im selben Stadion die karibische Nacht. Thea LaFond aus Dominica gewinnt Gold im Dreisprung, Julien Alfred aus St. Lucia den 100-Meter-Lauf. Leo Neugebauer gibt im abschließenden 1.500-Meter-Lauf die Führung im Zehnkampf an den Norweger Markus Rooth ab und gewinnt Silber! Es regnet, das Stadion steht Kopf. Stille. Auch das ist Paris.
Die sehenswerte Ausstellung "Olympische Spiele im Spiegel der Gesellschaft" im Shoa Memorial. Mitten in der Stadt. Tagebucheintrag, Sonntag, 4. August: "Beim Beachvolleyball kann das zweite Spiel noch nicht beginnen. Es ist 21.00 Uhr, die Arena wird dunkel, im Hintergrund beginnen die Lichter am Eiffelturm zu flackern, ein Glitzern und Flimmern liegt über den Spielen", dann geht’s weiter. The show must go on. Zufällig haben wir Tennistickets für den Abend, an dem die Spanier Rafael Nadal und Carlos Alcaraz im Doppel spielen. Die beiden fliegen im Viertelfinale gegen ein US-amerikanisches Doppel raus. Stars gewinnen nicht immer bei den Spielen.
Turnen in Bercy: Maximales Suchvolumen auf Social-Media-Plattformen
Jeden Abend schauen wir Zusammenfassungen in der Mediathek. Oft habe ich in Vorträgen und Artikeln darauf hingewiesen, dass die Olympischen Spiele fürs Fernsehen und für Social-Media-Plattformen gemacht sind. Als einfachem Besucher fehlen mir viele Infos und Ergebnisse, auch Olympische Highlights lese, höre und sehe ich erst viel später. Doch noch nie habe ich mich der Idee der Spiele so verbunden gefühlt wie dieses Mal. Ein Geschenk.
Sendung am Sa., 28.12.2024 14:00 Uhr, Stadion, SWR1