Nach Missbrauchsvorwürfen Janine Berger zu DTB-Reaktion: "An Scheinheiligkeit nicht zu überbieten"
Mehrere Turnerinnen haben heftige Vorwürfe gegen den Verband und dessen Trainer und Funktionäre erhoben. Ex-Turnerin Janine Berger meint, eine interne Aufarbeitung könne nicht funktionieren.
Janine Berger ist wütend: "Hartes Training und Machtmissbrauch ist kein schmaler Grad, da ist eine klar definierte Grenze", sagte die ehemalige Turnerin am Sonntagabend bei SWR Sport in Richtung des Deutschen Turner-Bundes (DTB) und des Schwäbischen Turner-Bundes (STB). Dem DTB unterstellt sie, seit etwa zehn Jahren von den Vorwürfen zu wissen, die mehrere Spitzen-Turnerinnen Ende Dezember und Anfang Januar auf Sozialen Netzwerken veröffentlicht haben. Das sei "nachweislich bekannt". Für die Turnerinnen war es "systematischer körperlicher und mentaler Missbrauch", wie es auch zum Beispiel in einem Instagram-Statement von Tabea Alt hieß. "Zu sagen, man wusste nicht Bescheid, obwohl über Jahre hinweg Gespräche geführt wurden und einige Beweise vorliegen, ist an Scheinheiligkeit nicht zu überbieten", meinte Berger.
Daher sei eine interne Aufarbeitung seitens des Verbandes zum Scheitern verurteilt: "Da braucht es ganz klar eine externe Aufarbeitung. Aber meiner Meinung nach auch eine personelle Veränderung", erklärte die 28-jährige. "Jemand, der jahrelang aktiv am Missbrauch gearbeitet und zusätzlich weggeschaut hat - da frage ich mich: Wie tragfähig ist so jemand? Und wie glaubwürdig kann man da aufarbeiten?" Berger geht von weiteren Enthüllungen aus: "Mir schreiben so viele Turnerinnen und schicken mir Beweise, da läuft es mir eiskalt den Rücken runter."
DTB wehrt sich gegen den Vorwurf, nichts unternommen zu haben
Der DTB vertritt den Standpunkt, erst im Juli 2024 aus anonymen Quellen von den Vorwürfen am Stützpunkt Stuttgart erfahren zu haben. Im Oktober 2024 habe sich dann auch die ehemalige Spitzenturnerin Michelle Timm, die mittlerweile auch als Trainerin arbeitet, beim Turner-Bund beschwert. "Man hat sich sehr schnell bei mir gemeldet, das hat mich positiv überrascht", sagte die 27-Jährige Timm. "Ich weiß, dass dann Gespräche geführt worden sind, allerdings konnte ich in der Folge keine Konsequenzen erkennen."
Sicher ist: Bereits 2021 hatte sich Tabea Alt in einem mehrere Seiten langen Brief an den DTB gewandt. Doch Alt hat festgestellt, "dass es erfolglos war und zu nichts geführt hat. Es wurde ignoriert oder einfach nicht ernst genommen." Der DTB gab dagegen an, mit seinem Kultur- und -Strukturprozess "Leistung mit Respekt" reagiert zu haben. "Zahlreiche Veränderungen sind die Folge gewesen", schrieb der Verband Anfang Januar. Der DTB musste jedoch zugeben: "Am Bundesstützpunkt Stuttgart kam es aber nach nun vorliegenden Hinweisen wohl weiterhin zu Verfehlungen, wodurch sich bei Tabea Alt verständlicherweise der Eindruck verfestigte, dass es seit ihrer Zeit keinerlei Veränderungen gegeben habe."
DTB will Sportlerinnen einbinden
Im Interview mit SWR Sport sagte DTB-Vorstandsvorsitzende Kalle Zinnkann am Samstag: "Der DTB wird einen Aufarbeitungsprozess starten, um zu schauen, ob die beschlossenen Maßnahmen aus der Vergangenheit ausreichend waren, welche angepasst werden müssen und ob weitere Konsequenzen gezogen werden müssen. Dazu werden wir auch die Athletinnen und Athleten mit einbinden."
Berger: "Eltern werden mitmanipuliert"
Wenn Trainerinnen und Trainer ihre Schützlinge gegen ärztlichen Rat mit teilweise schweren Verletzungen trainieren lassen, Athletinnen mit ihren Schikanen in Essstörungen treiben und der Verband sie nicht schützen kann, bleibt noch eins offen: "Ich kann verstehen, dass man als Außenstehender fragt: Warum greifen die Eltern nicht ein?", weiß Janine Berger. "Aber die Eltern werden auch manipuliert. Wenn wir auf Trainingslagern sind, vertraut man den Trainern." Zudem habe Berger ihren Eltern lange nichts davon erzählt: "Ich habe gedacht, das ist normal, wenn man damit aufwächst."
Erst als sie älter war, habe sie sich ihren Eltern anvertraut. "Aber im Endeffekt hatten die auch keine Macht." Denn es sind die Trainerinnen und Trainer. die die Macht haben, über Karrieren zu entscheiden. "Das ist das Perfide daran: Man weiß ganz genau, dann ist man weg. Egal, wie gut man ist." Dann komme auch der Ehrgeiz der Jugendlichen selbst hinzu, der die Eltern unter Druck setze: "Das war mein Traum, für den ich seit ich klein bin hart gearbeitet habe. Ich weiß bis heute nicht, ob ich ihnen verziehen hätte, wenn sie mich aus diesem System herausgenommen hätten."
Sendung am So., 12.1.2025 22:05 Uhr, SWR Sport, SWR