Vorwürfe gegen Nachwuchs-Bundestrainerin Claudia Schunk "Du bist einfach zu schwer!" Die schlimmen Erfahrungen von Rekordturnerin Elisabeth Seitz
Im exklusiven Interview mit SWR Sport wirft die 31-Jährige ihrer ehemaligen Trainerin am Turnzentrum Mannheim Machtmissbrauch und übergriffiges Verhalten vor. Die Europameisterin von 2022 leidet bis heute darunter.
Sie hat lange mit sich gerungen und spricht nun als erste aktive Turnerin über die Missstände im Turnsport. Als sich Elisabeth "Eli" Seitz zum Interview hinsetzt, wirkt sie angespannt. Über ihre Vergangenheit am Turnzentrum Mannheim zu sprechen, fällt ihr sichtlich schwer. Es geht um ihre Zeit in der Trainingsgruppe von Claudia Schunk. Die heutige Bundestrainerin für den weiblichen Turn-Nachwuchs war von 2006 bis 2017 in Mannheim als Stützpunktleiterin tätig.
Auch ehemalige Nachwuchsturnerinnen am Turnzentrum Mannheim hatten zuletzt von einer Verharmlosung von Schmerzen und Verletzungen, von verbalen Attacken und von Bestrafungen berichtet. Von 2006 bis Ende 2014 trainierte Eli Seitz in Schunks Trainingsgruppe. In dieser Zeit gelang Seitz der Sprung in die Weltspitze. Sie wurde 2011 Vize-Europameisterin im Mehrkampf und schaffte 2012 die Olympia-Teilnahme.
Gleichzeitig erlebte auch sie Machtmissbrauch und Demütigungen durch die Trainerin Schunk, wie sie im Gespräch mit SWR Sport schildert.
Deshalb spricht Eli Seitz jetzt
Sichtlich bewegt berichtet sie über ihre vergangenen Erfahrungen am Turnzentrum Mannheim: "Ich liebe diesen Sport, ich lebe für den Sport", betont sie. "Aber es gibt auch einen Teil meiner Karriere vor einiger Zeit, der nicht gut gelaufen ist." Seitz will über ihre Geschichte sprechen, weil es aktuell das Beste für das Turnen sei, dass eben gesprochen wird. "Damit wir es in Zukunft ändern und besser machen können."
"Hör auf, dich selbst zu bemitleiden!"
Während sie konkrete Beispiele schildert, zieht sich Seitz immer wieder die Ärmel ihres schwarzen Pullis über die Hände. Völlig entkräftet, sagt sie, sollte sie am Stufenbarren turnen und knallte beim Jägersalto mit dem Gesicht auf den Holm. Bis ihre Mutter sie 40 Minuten später abholte, musste Seitz mit dem Kühlpack auf den Lippen noch Krafttraining machen.
An einem anderen Tag habe sie mit blutigen Händen so lange weiter geturnt, bis ihr schwindelig geworden sei: "Mir wurde schlecht und es hat sich ein Strich auf dem Arm gebildet. Dann hat sie mich zur Physiotherapie geschickt. Die haben mich sofort in die Notaufnahme ins Krankenhaus geschickt." Mit der Diagnose "Blutvergiftung" sei sie zurück in die Halle gekommen. Man habe die Blutvergiftung nicht sofort erkennen können, aber Seitz erinnert sich an die Reaktion Schunks: "Ihr Kommentar war: 'Ach ja, du musst ja auch immer irgendetwas haben!'"
Es sei grundsätzlich mit den Turnerinnen so umgegangen worden. "Den Satz, den ich eigentlich immer hören musste, war: ‘Hör auf, dich selbst zu bemitleiden'". Leistungssport sei sehr hart und man müsse sich durchbeißen, aber trotzdem gebe es Grenzen, und die sollte man und darf man nicht überschreiten, findet Seitz.
Schmerzen und Verletzungen wurden grundsätzlich als Lappalien hingestellt. Turnerin Eli Seitz, deutsche Rekordmeisterin
Seitz: "Ich habe bis heute Schwierigkeiten, mich zu wiegen."
Mit Tränen in den Augen und sichtlich gerührt spricht Eli Seitz im Interview auch über das Thema Gewicht. Sportliche Misserfolge seien immer darauf zurückgeführt worden, dass sie sowieso zu schwer und zu dick sei. "Das hat sich bei mir sehr in meinem Kopf eingeprägt, auch bis heute. Ich habe bis heute Schwierigkeiten, mich zu wiegen, weil ich das immer als sehr wertend sehe."
Sie empfand es damals so, dass die jungen Turnerinnen über das Gewicht definiert wurden: "Sobald ich weniger gewogen habe, war ich gut. Und wenn ich ein bisschen mehr gewogen habe, war ich einfach schlecht. Und egal, was war, wenn ich mal im Wettkampf gestürzt bin oder im Training irgendwas nicht geklappt hat, war das grundsätzlich so, dass es hieß: ‘Es ist kein Wunder, du bist einfach zu schwer!'"
Übergriffiges Verhalten und Nachfragen zur Sexualität
Als "extrem verstörend" habe Eli Seitz Kommentare von ihrer Trainerin Claudia Schunk zu ihrer Sexualität empfunden. "Als ich dann irgendwann meinen ersten Freund hatte (...), saßen wir gemeinsam mit minderjährigen Turnerinnen auf dem Boden und sie hat gemeint: 'Und wie sieht es bei Euch aus im Bett? Da habt ihr doch bestimmt schon ganz viel ausprobiert.'" Dieses übergriffige Verhalten habe sie zu der Zeit extrem verunsichert.
Fragwürdige Prämienzahlungen an Trainerin Schunk
Ehemalige Nachwuchsturnerinnen berichteten, dass sie Teile ihrer Siegprämien an Schunk abgeben mussten. Auch Seitz schildert solche Vorgänge. Es sei dabei um Preisgelder und Sponsorengelder gegangen: "Meistens sollte es in einem Briefumschlag erfolgen oder auf ihr privates Konto mit der Aussage, dass sie so viel zu tun hat, dass sie sich zuhause jetzt auch eine eigene Putzfrau leisten muss."
Seitz schilderte ihre Erfahrungen mehrmals dem DTB
Der Deutsche Turner-Bund (DTB) wusste von Seitz Erfahrungen in Mannheim, sie habe dem Verband damals zusammen mit ihrer Familie alles auf den Tisch gelegt. Sie persönlich wechselte dann nach Stuttgart. Wer Eli Seitz kennt, weiß, dass sie Dinge hinterfragt, eine Eigenschaft, die Schunk für ihren Machtmissbrauch wohl nicht gebrauchen konnte.
Vor wenigen Wochen habe sie dem DTB nochmal alles auf den Tisch gelegt, sagt Seitz. Sie fordert: "Die Leute, die nicht richtig sind in diesem Verband oder in diesem Sport, die müssen gehen!"
Erst wenn das passiert sei, gebe es die Chance, wirklich etwas zu verändern. "Und zusammenzufinden und diesen Sport so toll machen zu können, wie er es und wie jedes einzelne Kind es verdient hat!" Denn Eli Seitz hat einen Wunsch: "Ich möchte auf keinen Fall, dass irgendein Kind oder irgendein Mädchen nochmal so etwas erleben muss."
Sendung am So., 2.2.2025 22:05 Uhr, SWR Sport, SWR