Ab 1. November in Kraft Das Selbstbestimmungsgesetz und seine Herausforderungen für den Sport
Der Sport trennt in Mann und Frau. Mit dem neuen Selbstbestimmungsgesetz kann ab November selbst über das Geschlecht entschieden werden. Wie passt sich der Sport an?
Selten wurde der Gewinn einer olympischen Goldmedaille so laut diskutiert wie in diesem Sommer. Neben Stolz, Erleichterung und Freudentränen spürte die algerische Boxerin Imane Khelif viel Hetze, Unverständnis und Hass bei den Olympischen Spielen in Paris. Der Grund: Mit ihrer Teilnahme entfachte eine Debatte um ihr weibliches Geschlecht. Gerüchte und Desinformation verbreiteten sich im Netz. Imane Khelif sei keine Frau und zu stark für ihre Gegnerinnen. Es entbrannte eine Hetzjagd auf Khelif, die sie bis heute verfolgt.
Imane Khelif gewann in Paris ihre erste olympische Goldmedaille im Finale gegen Yang Liu aus China.
Wie hart darf der Schlag einer Frau sein?
Spätestens nach dem Kampf im Achtelfinale zwischen Imane Khelif und der Italienerin Angela Carini änderte sich etwas: Die Haltung gegenüber intergeschlechtlichen Menschen und Transmenschen wurde feindlicher. Der Kampf dauerte nicht mal eine Minute, da gab die Italienerin nach wenigen Schlägen auf. In den sozialen Netzwerken zweifelten viele Userinnen und User das Geschlecht von Khelif an und betitelten sie als "Mann, der eine Frau schlägt".
Unveröffentlichte Tests des Box-Weltverbands
Hintergrund der Geschlechterdebatte ist der Entschluss des Weltverbands "International Boxing Association" (IBA). Dieser hatte Imane Khelif von den Weltmeisterschaften 2023 disqualifiziert, weil Khelif nach eigenen Angaben nicht die Teilnahmekriterien erfüllte. Zwei unabhängige DNA-Tests sollen XY-Chromosomen bei Khelif nachgewiesen haben - das Chromosomenpaar eines Mannes. Öffentlich sind die Ergebnisse allerdings nicht.
Für die Olympischen Spiele in Paris war jedoch nicht die IBA verantwortlich, sondern das Internationale Olympische Komitee (IOC), welches die Teilnahme von Imane Khelif zuließ. Die Boxerin hat sich selbst nie als trans- oder intersexuell bezeichnet und international immer als Frau gekämpft.
Intergeschlechtliche und transgeschlechtliche Menschen im Leistungssport
Bettina Rulofs von der Sporthochschule Köln forscht seit über 25 Jahren zur Geschlechtervielfalt. Das Regelchaos bei Olympia zeige, wie überfordert Verbände mit inter- und transgeschlechtlichen Menschen seien. Gerade im Spitzensport sei Klarheit wichtig. Doch bisher hersche nur "ein Flickenteppich an Regularien, der es Menschen wie Imane Khelif schwer mache, sich zu orientieren", so die Expertin.
Um eine Lösung zu finden, brauche es einen Bewusstseinsprozess, Zeit und viel Forschung. Dazu sei ein intensiver Blick auf die Anforderungsprofile der einzelnen Sportarten notwendig: Welche Parameter sind entscheidend für den Erfolg in einer Sportart? Ist die Trennung in Mann und Frau noch zeitgemäß und sinnvoll? Ein Parameter, der in vielen internationalen Verbänden, wie zum Beispiel World Athletics, als Zulassungskriterium gilt, ist der Testosteronwert. Dieser soll entscheiden, ob Transfrauen und intergeschlechtliche Personen in der Frauen-Kategorie starten dürfen.
Expertin: Sport könne nie völlig fair sein
"Das verkürzt die Diskussion", betont Rulofs. Denn der Wert sei nicht primär in jeder Sportart für den Erfolg ausschlaggebend. Auch die Körpergröße könne relevant sein. Beispiele: Die 1,42 Meter große Turnerin Simone Biles oder der 2,16 Meter große Baketballer Shaquille O'Neal. Beide haben besondere Körpergrößen, die sie zu besonderen Leistungen befähigen. Ihre Leistung wird jedoch nicht in Frage gestellt: "Das wird nicht als unfair empfunden. Wir können nicht so tun, als würde sich alles an Testosteron festmachen lassen." Der Sport sei nie völlig "fair", merkt Rulofs an.
Wir haben im Sport ein System, das sehr stark darauf basiert zu sagen: Wir brauchen eine faire Chance, gleichen Wettkampf. Das ist auch etwas Positives. Gleichzeitig ist es aber auch ein Stück weit eine Illusion, dass der Wettkampf immer fair ist.
Bettina Rulofs, Sporthochschule Köln
Selbst über das eigene Geschlecht bestimmen, statt bestimmt zu werden
Mit dem Selbstbestimmungsgesetz, das größtenteils am 1. November 2024 in Deutschland Kraft treten wird, werde ein "Paradigmenwechsel" eingeläutet. Eine Erleichterung und ein harter Kampf, der für Transaktivistin Julia Monro zu Ende geht. Sie weiß, wie schwer der Weg der Geschlechtsanpassung ist. Denn wer vor dem Selbstbestimmungsgesetz seinen Geschlechtseintrag und seinen Vornamen ändern wollte, brauchte zwei psychologische Gutachten und ein Gerichtsurteil - ein langwieriger, kostspieliger und entwürdigender Prozess. Nun reicht der Weg zum Standesamt. Eine Abkürzung, die insbesondere trans-, intergeschlechtliche und nicht binäre Personen freut.
"Die Leute unterschätzen, dass es kein Zuckerschlecken ist. Einfach mal so den Geschlechtseintrag zu ändern. Was alles auf einen zukommt: Die ganzen Papiere, die geändert werden müssen, die Diskriminierung, die man dadurch erfährt, die Nachteile", schildert Monro, die das über 40 Jahre alte Transsexuellengesetz als längst überholt betrachtet. Das wird nun am 1. November durch das Selbstbestimmungsgesetz ersetzt. Die Bundesregierung schreibt sich "Vielfalt" auf ihre Flagge. Jetzt stehen auch Vereine vor der Entscheidung, wie sie mit geschlechtlicher Vielfalt umgehen werden.
Wie muss sich der Amateur- und Wettkampfsport anpassen?
Wo finden trans- und intergeschlechtliche Personen ihren Platz im Vereins- und Wettkampfsport? Wie gehen Verbände mit geschlechtlicher Vielfalt in Zukunft um? Und mündet eine vermeintliche Inklusion in einem unfairen Wettkampf? All das sind Fragen, mit denen sich Sportverbände auf nationaler und internationaler Ebene auseinandersetzen müssen. Das Selbstbestimmungsgesetz wird die Autonomie des Sports nicht antasten. Nach geltendem Recht entscheiden Sportvereinigungen und Zusammenschlüsse weitgehend in eigener Zuständigkeit darüber, wer zu welchen Wettkämpfen zugelassen wird. So ist es im Gesetz verankert.
Eine neue Klassifizierug scheint für viele absurd. "Verbände können nicht einfach das, was sie ja jahrelang, jahrzehntelang im Grunde genommen gelebt haben, über Bord werfen", bestätigt Bettina Rulofs.
Start von Transschwimmerin wird zum Politikum
Für Aufsehen sorgte der Fall der Schwimmerin Lia Thomas. Die Transgenderathletin gewann 2022 die Collegemeisterschaften in den USA - ein Jahr nachdem sich die Transschwimmerin geoutet hatte. Bis 2019 war Thomas noch bei den Männern gestartet.
Lia Thomas hat die Collegemeisterschaften 2022 in den USA gewonnen.
Ihr Fall entlockte viel Frust und Ärger bei ihren Mitstreiterinnen und wurde zum Politikum in den USA. Als Reaktion schloss der Schwimm-Weltverband Thomas vom Wettkampfsport aus. Denn wer zukünftig als Transfrau in der Frauen-Klasse starten will, muss sich schon in der Kindheit bis zum zwölften Lebensjahr oder mit Eintreten der Pubertät einer Hormontherapie unterzogen haben. Damit soll sichergestellt werden, dass Schwimmerinnen wie Thomas keinen unfairen Vorteil haben.
Den Frauensport schützen
Für Thomas, die seit 2022 wegen des Verbots kein Rennen mehr geschwommen ist, ist diese Regel "rechtswidrig und diskriminierend". Deswegen berief sie sich auf die Olympische Charta und die Europäische Menschenrechtskonvention und klagte vor dem Internationalen Sportgerichtshof (CAS). Dieser lehnte die Klage ab. Begründet wurde das Urteil damit, dass Thomas nicht berechtigt sei, die Richtlinien des Schwimm-Weltverbandes anzuzweifeln, solange sie kein Mitglied des US-Schwimmverbandes ist.
Der Weltschwimmverband sieht sich bestätigt. Die CAS-Entscheidung sei ein großer Schritt nach vorn "in unseren Bemühungen, den Frauen-Sport zu beschützen", hieß es. Man wollte ein Umfeld für "Fairness, Respekt und Chancengleichheit für Sportler aller Geschlechter" schaffen. Eine Lösung für Transschwimmerinnen, die am Wettkampfsport teilnehmen wollen, gibt es bisher nicht. Der Versuch des Weltschwimmverbands eine neue, diverse Kategorie für Transmenschen aufzumachen, ist gescheitert.
Samy wurde weiblich geboren und kickt bei den Jungs
Was im Profisport nicht funktioniert, sieht im Amateurbereich teilweise anders aus. Wenn Samy auf dem Sportplatz seines Vereins kickt, fühlt er sich wie einer von den Jungs beim SC Alsenborn. Gemeinsam in der Umkleide, gemeinsam im Training und gemeinsam bei den Fußballspielen der Landesliga der A-Junioren. Dass Samy weiblich geboren ist, fällt nicht auf. Schon lange fühlt er sich wie ein Mann. Die Mannschaft kennt seine Geschichte und schätzt Samys Offenheit.
"Wir gehen schon lange gemeinsam den Weg im Verein und jeder geht ganz normal damit um. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass man ohne Vorbehalte herangeht. Samy ist sehr offen damit umgegangen. Er hat nie ein Geheimnis um die Sache gemacht", lobt Trainer und Ex-Fußballprofi Thomas Riedel.
Zwischen Unsicherheit und Angst
Von einem unfairen Vorteil gegenüber den Mitspielern sei bei Samy nicht die Rede. Als ehemalige Frau, sieht ihn sein Team aber auch nicht im Nachteil: "Er hat sich super integriert, kommt super zurecht!“, bestätigt Riedl.
Als Transmann kann sich Samy sein Spielgeschlecht aussuchen. Die Vorstellung, wieder bei den Frauen zu spielen, schreckt den 18-Jährigen aber ab: "Ich kann mir nicht mehr vorstellen, in der Frauenmannschaft zu spielen." Samy erreichte damals das, was sich viele Fußballerinnen wünschten: Eine Einladung zum Perspektiv-Lehrgang der U15-Nationalmannschaft. Doch der Erfolg spielte für Samy keine Rolle: "Der Lehrgang mit der Nationalmannschaft hat mir gezeigt, dass ich einfach kein Mädchen bin. Das war eine sehr schwierige Zeit, weil ich damals nicht wusste, ob ich mich jetzt outen und meinen Weg gehen soll, oder ob ich in der weiblichen Nationalmannschaft weiterspielen soll? Ich war mir unsicher. Aber ich kann heute sagen, dass das eine gute Entscheidung war, meinen Weg zu gehen und dass es mir besser geht."
Spielberechtigung angepasst: Im Fußball wird selbst bestimmt
Mit Beginn der Saison 2022/2023 führte der Deutsche Fußball-Bund (DFB) bundesweit das Spielrecht für trans- und intergeschlechtliche sowie nicht binäre Menschen ein. Transgeschlechtliche Personen wie Samy können selbst entscheiden, ob sie lieber bei den Männern oder Frauen spielen wollen.
Zuvor war das in den Personaldokumenten eingetragene Geschlecht für die Erteilung der Spielberechtigung entscheidend. Julia Monro, die gemeinsam mit dem DFB an der Ausarbeitung der Spielberechtigung gearbeitet hat, sieht darin einen wichtigen Schritt, Transmenschen in den Sport zu integrieren. "Als Transpersonen wird man ständig fremdbestimmt in eine Funktion oder in eine Rolle hineingedrängt, die einem selber nicht passt. Und deshalb ist es für Transmenschen so wichtig, selbst entscheiden zu können: Welche Rolle liegt mir, wo gehöre ich hin? In welches Team gehöre ich und in welchem Geschlecht fühle ich mich wohl? Und deshalb ist das so wichtig, dort eine selbstbestimmte Entscheidung zu treffen", so Monro.