Fußball Namhafte Zweitligisten: Die Tradition in der Krise
Ist es die beste zweite Liga aller Zeiten? Diesmal wohl wirklich. Bundesliga-Gründungsmitglieder, Europapokal-Sieger, gefühlte Spitzenklubs - alles dabei. Fußball-Romantiker freuen sich. Was hat das zu bedeuten? Von Shea Westhoff
Mmmh, lecker, 2. Liga. Wer ein romantisches Faible für Fußball hat, kann ja fast nicht anders, als bei der aktuellen Konstellation ins Schwärmen zu geraten. HSV, Schalke, Hertha, Braunschweig, der 1. FC Köln, Düsseldorf, Nürnberg, Karlsruhe: So viele klangvolle Namen, die fest verankert sind in der deutschen Fußball-Kultur.
Der Run auf die Arenen darf auch in dieser Spielzeit als gesichert gelten. Bereits in der vorigen Saison gab es Spieltage, an denen das Unterhaus mehr Besucher in die Stadien lockte als die Bundesliga.
Fans der Zweitligisten dürfen sich sogar doppelt freuen: Ihnen bleiben die ungeliebten Erstliga-Auswärtsfahrten an die Aller oder ans Elsterbecken erspart. (Ihnen sagt die Aller nichts? Das Elsterbecken auch nicht? Eben.)
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Doch leider ist das eine verkürzte Darstellung. Denn die Situation der historisch etablierten Vereine ist in Deutschland eigentlich dramatisch. Es scheint, sie werden sukzessive aus dem Kreis der Sportelite verdrängt. Stattdessen übernehmen zunehmend kleinere, pfiffig wirtschaftende Vereine sowie von Unternehmen gelenkte Klubs die Bundesliga.
Warum tun sich Traditionsvereine trotz breiten Fan-Rückhalts so schwer? Und was bedeutet das für den deutschen Fußball?
Das Szenario
Ein Blick auf die Zweitliga-Tabelle von vor 20 Jahren gibt einen Hinweis, was den großen, noch verbliebenen Traditionsvereinen blühen könnte. Schon damals tummelten sich illustre Fußball-Adressen im Unterhaus - übrig geblieben sind die wenigsten. MSV Duisburg, Alemannia Aachen, 1. FC Saarbrücken, 1860 München, Rot-Weiß Oberhausen, Rot-Weiß Erfurt, Rot-Weiss Essen, Eintracht Trier, Erzgebirge Aue - Vereine mit breiter Basis und in Teilen üppig befüllten Trophäenschränken. Heute spielen sie im besten Fall noch drittklassig.
Es wirkt, als wäre die erste Schicht an Traditionsvereinen bereits vom Gipfel abgetragen. Und nun wartet die nächste Riege, die bislang nur halt etwas widerspenstiger war.
Christoph Breuer, Ökonom an der Kölner Sporthochschule, verweist allerdings darauf, dass es sowieso gar nicht möglich ist, dass alle Traditionsvereine erstklassig spielen. "Es gibt in Deutschland deutlich mehr als 18 solcher Klubs", sagt er. "Daher ist es nur konsequent, dass nicht alle in der ersten Liga spielen können." Trotzdem: "Es lässt sich beobachten, dass sich Traditionsteams schwer tun."
Fehlende Innovationsfreude
"Bei Nicht-Traditionsteams ist die Orientierung auf Innovation typischerweise stärker ausgeprägt", sagt Breuer. Auf der fachlichen Ebene lasse sich beobachten, dass es eher die Neulinge und weniger etablierte Klubs waren, die frühzeitig auf wissenschaftliche Unterstützung in der Scoutingabteilung, Gegnerbeobachtung und neue Trainingsmethoden gesetzt hätten.
Erschwerend kommt hinzu, dass historisch tiefer verwurzelte Vereine dazu neigen, in der Führungsetage eher auf die Lichtgestalt mit Klub-DNA zu setzen als auf den smarten Geschäftsmann.
Komplizierte Strukturen
"Erfolgreiche Nicht-Traditionsvereine ähneln häufiger einer zweckrationalen Organisation, die alleine die Maximierung des sportlichen Erfolgs zum Ziel hat", sagt Breuer. Hingegen sei das Organisationsziel bei einigen Traditionsteams diffuser.
"Traditionsvereine ähneln häufig politischen Organisationen, die unterschiedliche Stakeholder befrieden müssen", sagt Breuer. Zum Beispiel die Bedürfnisse einer breiten Fanbasis samt Ultra-Gruppierungen.
Solche Klubs lassen sich in ihren Entscheidungsprozessen mit einem schwerfälligen Dampfer vergleichen, der weniger gut auf die wechselhaften Bedingungen einer schnelllebigen Branche reagieren kann als ein wendiges Speedboot, um im Bild zu bleiben.
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Fußball verändert sich, der Druck wächst
Die Klubs sind aber gezwungen, sich stets zu modernisieren und neu zu erfinden, wenn sie sich in einem Ligasystem behaupten wollen, das durch den Auf- und Abstieg von ständigem Druck geprägt ist.
Zudem gibt es nur eine begrenzte Anzahl an Qualifikationsplätzen für das europäische Geschäft, auch dadurch verschärft sich der Wettbewerb. "Der Druck ist gewachsen, weil immer mehr Geld ins System gekommen ist, und sich insbesondere die europäischen Klubwettbewerbe überproportional kommerzialisiert haben", sagt Breuer. Dadurch entstehe auch in den nationalen Ligen eine zunehmende finanzielle Ungleichheit.
"Klubs, die sich regelmäßig von den finanziellen Fleischtöpfen Europas ernähren, können sich im Zweifelsfall auch Management-Fehler erlauben, weil genügend Geld da ist, um das aufzuwiegen", sagt Breuer.
Abwärtsspirale
Zweite Liga, Fußball-Romantik? Höchstens vorübergehend. "Der sportliche Abstieg bedeutet vor allem ein Risiko, weil sich im Jahr des Abstiegs die Ausgaben nicht schnell genug den verminderten Einnahmen anpassen lassen", so Breuer. "Traditionsvereine, die in den letzten Jahren abgestiegen sind, wie Schalke 04 oder zuletzt der 1. FC Köln, haben dann ruckzuck 30 bis 40 Millionen Euro weniger Einnahmen." Das abzufedern gleicht einer Mammutaufgabe.
Die zweite Liga vereint für Fußball-Romantiker unwiderstehliche Vereinsnamen, die auch in dieser Saison an manchen Spieltagen mehr Zuschauer anlocken werden als die Bundesliga. Trotzdem ist klar: Die Spitzen-Traditionsvereine werden alles dran setzen, um der Liga schnell wieder zu entkommen.
Sendung: rbb24 Inforadio, 10.08.2024, 09:15 Uhr