Fabian Reese von Hertha BSC animiert die Fans. (Foto: IMAGO / Matthias Koch)

2. Fußball-Bundesliga Hertha-Lazarett lichtet sich: Warum die Rückkehrer Hoffnungsschimmer sind (oder auch nicht)

Stand: 02.01.2025 06:38 Uhr

Hertha BSC will in der Rückrunde noch einmal ins Aufstiegsrennen eingreifen. Die Berliner setzen dabei viel Hoffnung in die Rückkehr verletzter Spieler. Diese werten Herthas Kader definitiv auf, doch fraglich ist, ob sie alle Probleme lösen können. Von Marc Schwitzky

Nach dem 0:0 am 17. Spieltag gegen Hannover 96 griff Toni Leistner zum Megafon. Der Kapitän von Hertha BSC bedankte sich bei über 10.000 mitgereisten Auswärtsfans und beschwor trotz ernüchternder Hinrunde die blau-weiße Einheit. Zum Schluss versprach der 34-Jährige den Fans: "Wenn die Verletzten zurückkommen, dann greifen wir in der Rückrunde noch mal an!"
 
Und angreifen müssen die Hauptstädter. Hertha beendete die Zweitliga-Hinrunde mit 22 Punkten auf Rang zwölf - bereits sieben Zähler hinter einem direkten Aufstiegsplatz. Das Ziel, ins Oberhaus zurückzukehren, ist derzeitig merklich weit weg. Im kommenden Jahr wird die "alte Dame" am Maximum spielen müssen, um durch eine Serie wirklich oben andocken zu können.
 
Hierfür stecken die Berliner große Hoffnungen in die Rückkehr einiger Spieler, die mehr oder weniger große Teile der Hinrunde verletzt verpassten. Doch können jene Comebacks solch einen großen Effekt haben?

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Der Aderlass war groß

Unbestritten ist, dass Hertha in der abgelaufenen Hinrunde von einem unheimlichen Verletzungspech heimgesucht wurde. Der immense Aderlass ist das eine Argument, das Trainer Cristian Fiél uneingeschränkt wohlwollend ausgelegt werden muss. Zwar hat ein Coach die Aufgabe, auch auf Verletzungen reagieren zu können, doch zwischenzeitlich musste Berlins Übungsleiter mit einem regelrechten Rumpfkader auskommen, in dem zig Positionen von fachfremden Kickern übernommen werden mussten. Dass Eingespieltheit und Konstanz unter solch einem Umstand leiden, ist naturgemäß.
 
"Wir hatten eine unglaubliche Verletzungsmisere zu verkraften, die natürlich Einfluss auf unsere Leistungen und Ergebnisse hatte", resümierte Herthas Sportdirektor Benjamin Weber im vereinseigenen Interview. Zeitweise fehlte nahezu eine komplette Startelf mit Spielern, die große Bedeutung für die Berliner haben oder haben könnten.
 
Die Rückkehr einiger Langzeitverletzter dürfte somit zumindest für eine verbesserte personelle Konstanz sorgen, die sich meist in einer souveränen Leistung widerspiegelt, da die Startelf mehr in sich ruht und jeder Spieler eher weiß, was sein Nebenmann tut. Auch der Konkurrenzkampf und das Trainingsniveau werden durch die Rückkehrer erhöht - ein leistungsfördernder Umstand.

Können die Rückkehrer wirklich sofort helfen?

Doch die Wahrheit liegt bekanntlich auf dem Platz. Es stellt sich die Frage, ob Hertha tatsächlich mit all den Rückkehrern auf Anhieb besser wird und in der Rückrunde noch einmal angreifen kann. Fabian Reese weckt bekanntermaßen die größten Hoffnungen. In 35 Pflichtspielen der Vorsaison sammelte der Flügelspieler mit 13 Toren und 17 Vorlagen atemberaubende 30 direkte Torbeteiligungen. Auch in den tieferliegenden Angriffsstatistiken dominierte Reese die 2. Bundesliga.

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In der laufenden Saison konnte der 27-Jährige allerdings noch nichts davon zeigen. Er fiel die ersten 13 Spieltage der Saison durch eine Sprunggelenksverletzung aus. Ersatz Derry Scherhant spielte eine ordentliche Hinrunde, kann Reese aber vor allem bei der Torvorbereitung nicht ersetzen. Es fehlen Reeses Ruhe, Übersicht und Flankenqualität. Ende September gab Reese gegen Magdeburg sein Comeback, bei dem er sogar an einem Tor direkt beteiligt war. In den zwei darauffolgenden Spielen sollte Reese weitere Joker-Minuten sammeln, jedoch wesentlich weniger effektiv agieren.
 
Reeses Rückkehr kam vermutlich zu früh, dann nach jener englischen Woche fiel er erneut angeschlagen aus, er verpasste die letzten beiden Spiele des Jahres. Im Januar soll der Angreifer zurückkehren, doch Kurzeinsätze haben gezeigt: Es ist nicht zu erwarten, dass Reese auf Anhieb wieder zu alter Stärke findet. Er fiel lange aus, hat keinen Spielrhythmus und wird Wochen brauchen, um wieder ein Selbstverständnis zu entwickeln.

Wenige Sofortverstärkungen

Ähnlich verhält es sich auch mit weiteren Rückkehrern. Sommer-Neuzugang Kevin Sessa wurde ebenfalls im Testspiel gegen Cottbus verletzt, er fiel bis Mitte September aus. Dem zentralen Mittelfeldspieler fiel es anschließend sichtlich schwer, zu seiner alten Form zu finden. Sessa, der seine Klasse beim FC Heidenheim definitiv schon nachgewiesen hat, reihte gleich mehrere sehr unglückliche Auftritte aneinander - und gerade, als er sich stabilisierte, verletzte er sich erneut. Mit einer Muskelverletzung fehlte der 24-Jährige die letzten drei Partien des Jahres, doch nun ist er wieder einsatzbereit.
 
Sessa hat das Potenzial, noch wichtig für Hertha zu werden, doch anhand seiner bisherigen Leistungen ist nicht davon auszugehen, dass seine Rückkehr eine Sofortverstärkung darstellt – er wird Zeit brauchen, einen Rhythmus aufzubauen.

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Auch Innenverteidiger Linus Gechter ist das große Potenzial nicht abzusprechen. Das Berliner Eigengewächs spielte eine hervorragende Vorbereitung unter Fiél, war auf Anhieb gesetzt. Gechter ereilte allerdings am 5. Spieltag eine schwere Schulterverletzung, die ihn für zwei Monate außer Gefecht setzte. In jener Zeit wurden vor allem seine Fähigkeiten im Spielaufbau und proaktiven Verteidigen vermisst, allerdings zeigte Ersatz Leistner auf, wie viel Gechter in Sachen Zweikampfführung und Kopfballduell noch zu lernen hat.
 
Auf eine kurze Rückkehr folgten erneut mehrere Wochen Pause, sodass Gechter im Januar zwar wieder zur Verfügung steht, aber ohne Spielpraxis wahrscheinlich keine sofortige Bereicherung darstellen wird. John Anthony Brooks, der im September nach Berlin zurückkehrte, sich aber gleich im ersten Training schwer verletzte, wird noch viele Wochen des behutsamen Aufbaus brauchen, bevor er eine echte Option für das Trainerteam ist.

Ein Kandidat für die Startelf

Auch die Rückkehr von Marten Winkler und Luca Schuler sind zwar für die Kaderbreite erfreulich, doch beide Offensivspieler sind bislang den Nachweis schuldig geblieben, Herthas Angriffsspiel merklich zu verbessern. Beide Angreifer werden Wechseloptionen sein.
 
Etwas anders ist es bei Michal Karbownik, der unter Fiél seine besten Spiele im blau-weißen Trikot absolviert hat. Eine Sprunggelenksverletzung setzte den 23-Jährigen gleich zweimal für mehrere Wochen außer Gefecht, doch im letzten Spiel des Jahres gab er sein Comeback. Karbownik kann sowohl als Linksverteidiger als auch im zentralen Mittelfeld spielen und besticht durch Dynamik und technische Fähigkeiten. Er kann den Ball sehr gut nach vorne treiben und Lücken beim Gegner reißen. Fiél schätzt den vierfachen Nationalspieler Polens sehr, sodass er auf Anhieb ein Kandidat für die Startelf sein könnte.

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Die Baustellen bleiben

Mit Diego Demme kehrte zuletzt auch ein weiterer zentraler Mittelfeldspieler zurück, auf den Fiél sofort wieder setzte. All jene Rückkehrer tun dem blau-weißen Aufgebot ohne Zweifel gut, doch ob die "alte Dame" allein dadurch neue Höhen erreicht, bleibt abzuwarten. "Stand jetzt denke ich, es wird es für uns ein eher ruhiger Januar, da wir gerade mit Blick auf die vielen verletzen Spieler fast eine halbe Mannschaft zurückbekommen werden", blickte Sportdirektor Weber auf das Transferfenster im Winter voraus.
 
Herthas Baustellen werden jedoch nicht allein durch das sich lichtende Lazarett geschlossen. Zum einen, weil jene Spieler womöglich eine lange Zeit benötigen werden, um zu alter Stärke zu finden und somit echte Hilfen sein zu können. Zum anderen, weil Problemzonen wie das Sturmzentrum, der rechte offensive Flügel oder auch die Linksverteidigung nicht auf die Profile der Rückkehrer passen. Der bestehende Kader hat zu viele Defizite aufzeigt, sodass Reese, Sessa und Co. voraussichtlich kein Allheilmittel sein werden. Es wird zusätzlich ein paar Kniffe auf dem Transfermarkt und der Taktiktafel brauchen, um in der kommenden Rückrunde wirklich noch einmal angreifen zu können.