Union Stürmer Kevin Volland schlägt die Hände vors Gesicht. (Bild: IMAGO / RHR-Foto)

2:3-Niederlage in der Champions League Der 1. FC Union wiederholt seine Fehler

Stand: 04.10.2023 10:17 Uhr

Gegen Braga schoss der 1. FC Union in einer Halbzeit doppelt so viele Tore wie im ganzen Monat September. Weil die Mannschaft defensiv weiter die gleichen Fehler macht, setzte es trotzdem die sechste Niederlage in Serie.

Von Till Oppermann

Historisch war er schon, der Abend im Berliner Olympiastadion. So viele Unioner auf einem Haufen gab es noch nie. Über 73.000 strömten gen Westen, um das erste Champions-League-Heimspiel der Vereinsgeschichte zu sehen.

Gerade genug, um sicherzugehen, dass jeder live im Stadion geschmeckt hat, dass es als Union-Fan dazugehört, auch mal richtig bitter zu verlieren. Obwohl Braga mehr Ballbesitz hatte, dominierten die Eisernen das Spiel: 2:0 stand es nach 37 Minuten. Ab da ging es bergab. In der 94. Minute erzielten die Portugiesen den Siegtreffer.

Unglücklicher Spielverlauf

"Wie viele Schläge kann man einstecken", fragte sich Trainer Urs Fischer nach dem späten Gegentor. Union verlor erneut und steht an einem Punkt, der für viele im Umfeld der Eisernen schwer einzuordnen ist. In den letzten fünf Jahren hatte der Verein durchgehend Erfolg, aber jetzt hat Union sechsmal hintereinander verloren. Soll man sich jetzt darüber freuen, dass Union vor so einer unglaublichen Kulisse europäisch spielt, oder darüber ärgern, dass es in dieser Saison noch gar nicht läuft?

Auf den Tribünen mischte sich trotziger Stolz mit Ärger über das nächste späte Gegentor und das nächste Spiel, das Union trotz besserer Chancen verloren hat. "Enttäuschung trifft es gut", sagte Urs Fischer. "Aber ich kann nicht wütend sein auf meine Mannschaft nach dieser Leistung."

Union besinnt sich auf alte Stärken

Im Vergleich zur letzten Bundesliga-Niederlage in Heidenheim setzte Fischer wieder auf Unions bewährtes 5-3-2-System. Der dritte Stürmer David Datro Fofana musste einem weiteren Mittelfeldspieler weichen. Union stand etwas tiefer als in den letzten Spielen, wollte den Gegner kommen lassen. Bragas Trainer Artur Jorge hatte in dieser Saison schon mehrmals davor gewarnt, dass seine Mannschaft mit Gegnern Probleme hat, die vor dem eigenen Strafraum ein enges Netz stricken. Unions Stürmer attackierten Bragas Spielaufbau erst ab der Mittellinie, hinter ihnen standen zwei enge Abwehrreihen.

Trotzdem spielte Jorges Team auch in Berlin viele kurze Pässe und seine Außenverteidiger rückten so weit aus der Viererkette nach vorne, dass die Portugiesen effektiv nur noch mit den zwei Innenverteidigern und Sechser Al-Musrati standen, wenn Union den Ball eroberte und schnell in die Spitze spielte. Beide Tore fielen, nachdem Sheraldo Becker jeweils über die linke Abwehrseite von Braga in die Tiefe geschickt wurde.

Unions Umschaltspiel war am Dienstag wieder auf dem Niveau der letzten Jahre. Die Mannschaft spielte konsequent die richtigen Lücken an. "Es waren sehr gute erste 35 Minuten mit zahlreichen Möglichkeiten", so Fischer. "Das 2:0 war wirklich verdient."

Abwehrfehler wiederholen sich

Leider klang Fischers "war" verdächtig nach seinen Interviews in den Wochen vor dem Heimdebüt im Olympiastadion. Auch in den Ligaspielen gegen Wolfsburg, Hoffenheim und Heidenheim hatte Union ausreichend Chancen, um zu gewinnen. Punkte holte Union keine, vor allem weil im gesamten September nur ein Tor gelang. Gegen Braga waren es innerhalb von sieben Minuten ab der 30. Spielminute gleich zwei. Für den Sieg reichte das trotzdem nicht, weil Union nicht in der Lage war, die Führung zu verteidigen.
 
Man sei natürlich leer, beschrieb Janik Haberer die Gefühlslage der Mannschaft. Bei Union sei der Wurm drin, schloss er an. Das klingt so, als wären die Spieler langsam ratlos und würden die aktuellen Probleme als höhere Gewalt einordnen. Dabei gibt es auch für die Treffer von Braga eine fußballerische Erklärung: Bei allen drei Gegentoren blieb der Rückraum vor dem Strafraum ungedeckt. Auch gegen Heidenheim, Real Madrid und Leipzig kassierte Union Tore aus dieser Zone. Wenn Jannik Haberer also sagt: "Wir kriegen den nächsten Schuss aus 25 Metern", dürfen Union-Fans durchaus besorgt sein. Denn wenn eine Mannschaft regelmäßig denselben Fehler macht, ist Glück oder die sportliche Klasse des Gegners keine hinreichende Erklärung mehr für die Gegentore.

Khedira und Knoche fehlen

Zumal Union gegen Braga die Spielanlage der letzten Saison kopiert hat. Doch damit kam die Sicherheit nicht wieder. Dass eine 1:0-Führung der Eisernen in der letzten Saison quasi dem Sieg gleichkam, war kein Naturgesetz, sondern das Ergebnis einer perfekt eingestimmten Mannschaft. Der größte Unterschied zur Vorsaison sind die Verletzungen von Rani Khedira und Robin Knoche.


Das wurde in den letzten Wochen häufig analysiert und eigentlich müssten Neuzugänge wie Leonardo Bonucci, Alex Kral und Lucas Tousart in der Lage sein, sie zu ersetzen. Scheinbar hat sich die Tektonik der Mannschaft aber derart verschoben, dass das nächste Gegentor - oder das nächste Erdbeben im Rückraum - nie weit entfernt ist. "Auch nach diesem Schlag gilt es, wieder aufzustehen", forderte Urs Fischer.

Auf die Fans ist Verlass

Zumindest auf die Fans kann sich Union dabei verlassen. Auch wenn sich in der Champions League gegen Braga wenig anfühlte wie bei einem normalen Heimspiel in der Alten Försterei: "FC Union, unsere Liebe, unsere Mannschaft, unser Stolz, unser Verein" hallte noch lange nach Abpfiff von den Rängen des Olympiastadions, obwohl dort niemand wie zuhause in Köpenick den Text vom Dach ablesen konnte. Das war das Positive: Welche Massen Union mittlerweile in Berlin bewegt, wurde noch nie so klar wie an diesem Abend in der Champions League.

Sendung: rbb24 Inforadio, 04.10.2023, 9:15 Uhr