Hertha-Trainer Cristian Fiél ist nach der Niederlage gegen Kaiserslautern ratlos. (Foto: IMAGO / Matthias Koch)

Niederlage gegen Kaiserslautern Reaktion gezeigt, trotzdem verloren - das Hertha-Paradoxon

Stand: 09.02.2025 12:50 Uhr

Eine Reaktion gezeigt - und trotzdem zu wenig: Hertha BSC verliert auch gegen den 1. FC Kaiserslautern und offenbart dabei altbekannte Schwächen. Die dritte Niederlage in Folge lässt die Berliner gewaltig wanken - und auch Trainer Cristian Fiél.

Von Marc Schwitzky

"Ich glaube, das Momentum habt ihr momentan leider nicht. Aber wenn das wiederkommt, werden auch die Punkte kommen", sagte Kaiserslauterns Cheftrainer Markus Anfang nach dem Spiel seiner Mannschaft gegen Hertha BSC zu Kollege Cristian Fiél. Für Anfang mögen diese Worte einfach und logisch geklungen haben - für Fiél und Hertha allerdings nach dem Unmöglichen.
 
Nach der 0:1-Niederlage am Samstagabend, der damit dritten Pleite in Folge und nur 25 Punkten nach 21 Partien, wirkt ein positives Momentum für Hertha so weit weg wie die Champions League. Wie jenes Momentum zurückkehren soll, ist mittlerweile nicht einmal mehr zu erahnen. Und so wirken Spieler, Trainer und die sportlichen Verantwortlichen der Blau-Weißen alarmierend ratlos.

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Ein guter Matchplan

Trainer Fiél und Sportdirektor Benjamin Weber waren sich vor dem Anpfiff einig: Gegen Kaiserslautern müsse die Mannschaft ein "anderes Gesicht" als bei dem 0:2-Debakel gegen Jahn Regensburg zeigen. Es brauchte eine andere Mentalität, aber auch taktische Hilfestellungen des Trainerteams, um anders auftreten zu können.
 
Beides gelang besonders in der ersten Halbzeit. Fiél hatte sich für gleich mehrere personelle wie taktische Veränderungen entschieden. Kapitän Toni Leistner musste auf die Bank, Fabian Reese feierte hingegen sein Startelf-Comeback. Gegen den Ball agierte Hertha nicht wie sonst im 4-4-2, sondern im 4-2-3-1, um das Zentrum gegen kombinationsstarke Lauterer zu stärken. Zudem lernte Fiél von Regensburg und implementierte eine enge Manndeckung im Mittelfeld, die Hertha in der vergangenen Woche selbst noch das Leben schwergemacht hatte.
 
Daraus resultierte, dass Hertha gegen den Ball weitaus kompakter als in den Vorwochen wirkte und eine der ligaweit besten Offensiven über weite Strecken kaltstellte. Durch den Tausch von Leistner und Marton Dardai konnte Hertha weitaus höher verteidigen, dadurch Räume verdichten und im hohen Pressing einige Balleroberungen verzeichnen. Kaiserslautern hatte sichtlich Probleme.

Das alte Problem

Auch mit dem Ball trat die in den Vorwochen eher verwirrte "alte Dame" mit einem klaren Plan auf. Um die zuletzt großen Probleme in der zu statischen und dadurch ausrechenbaren Spieleröffnung zu lösen, veränderte Fiél den Aufbau. Während Linksverteidiger Deyovaisio Zeefuik neben die beiden Innenverteidiger rückte, schob sich Rechtsverteidiger Jonjoe Kenny bis auf die Höhe von Flügelpendant Reese. Zusätzlich bildeten Kevin Sessa und Pascal Klemens stets eine Doppelsechs vor der Abwehr. So ergab sich im Aufbau eine 3-2-4-1-Formation, die mehr Anspielstationen und Vertikalität erlaubte.
 
Hertha öffnete so Räume, die Kaiserslautern zunächst kaum schließen konnte. Der FCK war in seiner Zuordnung so überfordert, dass irgendwann im ersten Durchgang ein Zettel des Trainerteams als Hilfestellung durch die eigenen Reihen ging. Der Berliner Plan, auch weil konsequent von den Spielern durchgeführt, funktionierte also. Es gelang immer wieder, die massive Fünferkette des Gegners durch Kenny und Reese auseinanderzuziehen und Tiefe im Angriffsspiel zu erzeugen.

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Doch im letzten Schritt zeigte sich die alte Problemlage. Hertha ist meist gut darin, einen Angriff vorzubereiten - aber schon beinahe miserabel darin, ihn zu vollenden. Die Entscheidungsfindung im letzten Drittel bleibt ein einziges Defizit. Ob Flankenqualität, Timing im Abspiel oder Strafraumbesetzung - Hertha schafft es stets, sich selbst ein Bein zu stellen. Wie in schon so vielen anderen Partien der Saison belohnte sich Hertha für eine gute Phase nicht mit einem Tor. Scherhant, Maza, Cuisance und Co. zelebrieren Fußball, aber sorgen für reine Frustration, wenn es um das eine entscheidende Element des Sports geht.

Die Kunst des Einfachen

So ist in Herthas Spielen schon beinahe die Uhr danach zu stellen, dass nach guten Phasen oder in eben jene schockartig hinein der Gegner vormacht, wie es geht und ein Gegentor fällt. So auch gegen Kaiserslautern. Es reichte ein Konter in der 57. Minute, um die Partie auf den Kopf zu stellen und Hertha zu schlagen. Die Berliner hatten in jenem Angriff numerisch eigentlich keine Probleme, doch Michal Karbownik machte einen individuellen Fehler, grätschte am Ball vorbei und konnte dadurch anschließend den perfekt platzierten Schuss von Luca Sirch nicht mehr stören.
 
Das 0:1 sollte sogleich der Endstand sein. Weil Hertha im Anschluss alles probierte, um gefährlich vor das Tor zu kommen, doch wie so oft daran scheiterte, was ihnen Gegner fortlaufend vormachen: die Kunst des Einfachen. Dem Trainerteam um Fiél ist es in acht Monaten nicht gelungen, die Mannschaft bis zum Torerfolg zu coachen. Hertha kam auch gegen die Pfälzer zu beinahe unzähligen aussichtsreichen Angriffen und mehr als brauchbaren Halbchancen, war optisch über viele Strecken überlegen - um letztendlich genauso viele Abschlüsse und einen etwas niedrigeren Expected-Goals-Wert zu produzieren. Es gibt wohl kaum eine Mannschaft, die so viel Ballbesitz in so wenig Torerfolg ummünzt.

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Fiéls Ratlosigkeit

Hertha lebt derzeit in einem Paradoxon. Spielen die Hauptstädter schlecht, verlieren sie. Spielen sie schlecht, gewinnen sie aber auch. Spielen sie aber gut, verlieren sie meist. Dass Hertha gut spielt und sich mit einem Sieg belohnt, ist in der laufenden Saison erschreckend selten eingetroffen. Und so wirkt Trainer Fiél mittlerweile ratlos. "Wir schaffen es nicht, es zu erzwingen", haderte der 44-Jährige nach der dritten Niederlage in Serie und bereits siebten Heimpleite.
 
Paradox ist auch, dass die Leistung gegen Kaiserslautern in Ordnung ging. Die Mannschaft hat tatsächlich ein anderes Gesicht gezeigt, das Trainerteam tatsächlich brauchbare Lösungen gefunden - auch wenn das Ergebnis nicht stimmt. Isoliert betrachtet könnten viele Hertha-Fans mit dem Auftritt am Samstagabend leben, ihn womöglich sogar loben.
 
Doch Fußball findet nicht im Vakuum statt, Spiele werden nicht isoliert betrachtet, sondern stets in den Gesamtkontext einer Saison eingebettet. Der Kontext der laufenden Spielzeit zeigt auf: Selbst wenn die Mannschaft Mentalität zeigt und den Ideen des Trainers folgt, reicht es nicht. Fiél ist nicht gelungen, Hertha über Phasen von ein paar Minuten hinaus möglichst nahe an die 100 Prozent Leistungsfähigkeit zu führen. Auch wenn Faktoren wie Spielerverkäufe oder Verletzungen wohlwollend dazugerechnet werden, ist das ein schlechtes Zeugnis.

Das Ende?

Wenn Fiél auf der Pressekonferenz Sätze sagt wie "In der zweiten Halbzeit kriegen wir ein Gegentor … ach, worüber wir auch schon tausend Mal gesprochen haben … was du so einfach nicht bekommen darfst", seine öffentlichen Auftritte immer schwermütiger und quälender daherkommen, und er sich immer öfter in seinen Aussagen wiederholt - dann scheint auch er allmählich den Glauben zu verlieren, noch die Wende zu schaffen.
 
Die Reaktion der Fans nach dem Spiel war eindeutig: Sie haben auf gut deutsch die "Schnauze voll". Die Mannschaft schaffte es gar nicht vor die Ostkurve, weil fliegende Becher, Pfiffe und Beleidigungen sie wegstießen. Die Stimmung droht derzeit endgültig zu kippen, das so wichtige und behutsam geschmiedete Band zwischen Mannschaft und Anhang zu zerreißen.
 
So wird der Handlungsdruck immer intensiver. Es gebietet sich - jetzt, wo die Abstiegs- näher als die Aufstiegsränge sind - allmählich, das zu tun, was sportliche Verantwortliche eigentlich nicht tun sollten: kurzfristig denken und handeln.

Sendung: rbb Der Tag, 09.02.2025