Magnus Knudsen (l.) und Armin Gigovic von Holstein Kiel

Trotz EU-Sanktionen Wie Kiel Gigovic und Knudsen in Kriegszeiten aus Russland holte

Stand: 17.10.2024 09:44 Uhr

Bundesliga-Aufsteiger Holstein Kiel hat sich im Sommer mit Magnus Knudsen und Armin Gigovic verstärkt und damit zwei Transfers aus Russland getätigt - trotz des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und der EU-Sanktionen. Wie geht das eigentlich?

Von Florian Neuhauss und Moritz Kühn

Das Wichtigste zuerst: Es ist weiterhin möglich, Geschäfte mit russischen Firmen und auch Profi-Fußballclubs zu machen. Sie dürfen nur nicht auf der Sanktionsliste stehen - und das tut der FK Rostov nicht, bei dem Knudsen und Gigovic bis dato unter Vertrag standen. Der Fußball-Weltverband FIFA hat zudem aufgrund der besonderen Situation, in der sich nicht zuletzt die ausländischen Spieler in Russland befinden, Sonder-Transferregeln erlassen.

Meist kommt es auf dieser Grundlage zu temporären Wechseln. Die Spieler nutzen seit dem russischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 die eigens geschaffene Möglichkeit, ihren Vertrag für ein (Kriegs-)Jahr auszusetzen. So sind auch zahlreiche Spieler aus Rostov, das in der Grenzregion zur Ukraine liegt, in andere Länder gewechselt. Wohlgemerkt nicht auf Leihbasis, weil die russischen Clubs durch die ausgesetzten Verträge gar nicht mit am Verhandlungstisch sitzen.

"Wir haben in diesem Zusammenhang sichergestellt, dass wir nicht gegen Regularien oder Sanktionen der FIFA oder der EU verstoßen."
— Stellungnahme von Holstein Kiel

Dazu zählt der Bosnier Dennis Hadzikadunic, der in diesem Sommer nach einem Jahr in Hamburg noch einmal für eine weitere Saison von Rostov zum HSV gewechselt ist. Nach NDR Informationen ist auch der Gigovic-Transfer ein solcher Fall. Anders als es Medienberichte rund um den Wechsel vermuten ließen, hat Holstein kein Geld für den Bosnier nach Russland überwiesen. Gigovic hat seinen Vertrag ausgesetzt.

Kiel hatte Knudsen und Gigovic schon länger auf dem Zettel

Anders sieht es bei Knudsen aus, der zwar wie Hadzikadunic und Gigovic zuvor mehrfach seinen Vertrag ausgesetzt hat, um andernorts spielen zu können. Für den 23-jährigen Norweger hat die KSV nun aber laut Medienberichten einen siebenstelligen Betrag gezahlt - und ihn fest unter Vertrag genommen. Ein bislang einmaliger Vorgang im deutschen Fußball.

"Wir hatten Magnus und Armin schon länger beobachten können, da sie beide in Skandinavien ausgebildet worden sind und eine Vielzahl von Spielen in Skandinavien bestritten haben", teilte die KSV dem NDR auf Nachfrage schriftlich mit. Knudsen spielte bei seiner vorigen Station beim dänischen Club Aarhus GF, Gigovic beim dänischen Meister FC Midtjylland. "Da solche Spieler für uns ein passendes Profil darstellen, haben wir uns intensiv mit den beiden und einer möglichen Verpflichtung auseinandergesetzt."

Der erste Kontakt sei über die Berater der Spieler erfolgt, erklärte Holstein. Dort seien das grundsätzliche Interesse hinterlegt "und in diesem Zuge auch etwaige Möglichkeiten einer Realisierbarkeit eines Transfers diskutiert" worden.

Knudsen war nur mit einem festen Transfer zu bekommen

Auf Seiten der Spieler stießen die Schleswig-Holsteiner aus nachvollziehbaren Gründen auf offene Ohren. Gleich drei Stationen hatte Gigovic seit März 2022 absolviert. Da sein Vertrag in Russland 2025 ausläuft, könnte sich für ihn an der Kieler Förde eine längerfristige Perspektive ergeben.

Knudsen, der überhaupt erst zwei Monate vor der russischen Invasion ins Nachbarland bis 2026 in Rostov unterschrieben hatte, kehrte zunächst für 16 Monate nach Norwegen zurück. In Dänemark folgte dann die Saison 2023/2024.

Die KSV habe sich im Vorfeld des Transfers von Knudsen nicht nur mit dem Spieler befasst. Es ging auch um seinen "absoluten Wunsch", aus unterschiedlichen Gründen, unter anderem mehreren 'Leihen' in den vergangenen Jahren, nun eine sportlich feste Heimat außerhalb Russlands haben zu wollen, heißt es in der Kieler Stellungnahme weiter. 

Man habe in diesem Zuge allerdings die Information erhalten, dass seine Verpflichtung unter anderem nur dann möglich wäre, wenn es sich um einen festen Transfer handelt. Und weil der Mittelfeldspieler vom Alter und Profil her genau den Vorstellungen des Clubs entsprach, "haben wir uns dazu entschlossen, uns mit diesem Thema intensiver zu beschäftigen".

Transfers mit russischer Beteiligung "sind aktuell zulässig"

Dazu gehörten auch die "besonderen Gegebenheiten des Wechsels aus der russischen Liga". Vor allem stellte der Aufsteiger sicher, "dass wir nicht gegen Regularien oder Sanktionen der FIFA oder der EU verstoßen". Das Ergebnis sei eindeutig gewesen: "Transfers von/zu russischen Clubs sind aktuell zulässig."

Die KSV Holstein entschied also, "in die Verhandlungen mit dem Spieler und dem abgebenden Verein zu gehen" und konnte "in dem Fall am Ende eine Ablösevereinbarung treffen". Die Kieler, die zuvor maximal zweitklassig gespielt und sich den Aufstieg aus der Vierten bis in die Bundesliga in den vergangenen Jahren mit viel Fleiß (nicht zuletzt bei den Transferentscheidungen) und harter Arbeit verdient haben, investierten wohl rund eine Million Euro für Knudsen.

Das sagen die Daten: Hat Kiel gute Transfers getätigt?

Sportlich haben die "Störche" damit nach den Daten von Global Soccer Network (GSN) einen guten Fang gemacht: Der bewegliche Norweger, der durch Passspiel, Technik und sein taktisches Verständnis glänzt, stand in allen sechs Bundesliga-Partien von Beginn an auf dem Platz. Er hat dort die Lücke geschlossen, die durch den Abgang von Kapitän Philipp Sander entstanden ist.

Mit seinem GSN-Index von 65,15 ist er nicht nur ein "solider Bundesliga-Spieler", sondern liegt auch über dem Durchschnittswert an der Förde (62,48). Die Ablösesumme liegt laut GSN außerdem deutlich unter seinem Marktwert von 1,8 Millionen Euro.

Was ist der GSN-Index?

Vier-Säulen-Prinzip:

  • 1. "fußballerische Eigenschaften": Technik, Spielübersicht oder der erste Kontakt: Einschätzungen über 130 fußballspezifische Eigenschaften von mehr als 300 Scouts weltweit.
  • 2. "fußballerisches Potenzial": Wo werden Spieler besser, wo stagnieren sie oder entwickeln sich zurück? Ein Algorithmus analysiert Daten aus der ersten Säule und vergleicht Spielertypen.
  • 3. "Performance auf dem Spielfeld": Tore, Pässe, Fouls, Schüsse oder auch Abseitspositionen: die Spiel-Basisdaten und weiterführende Analysen wie "Expected goals" oder "Action scores" werden durch einen Algorithmus in einen übergeordneten Kontext gesetzt - zum Beispiel positionsbezogen.
  • 4. "Spielniveau": Jede Mannschaft oder Liga hat einen Zahlenwert, der ihre Stärke bemisst. Oberliga oder Champions League: Umso höher das Spielniveau des Gegners, desto positiver wirkt es sich auf den GSN-Index aus.

Bewertungs-Skala:

  • 85 - 100: Weltklasse
  • 70 - 85: internationale Klasse
  • 60 - 70: Durchschnitt Bundesliga bzw. der Top 5 Ligen
  • 50 - 60: Durchschnitt 2. Bundesliga
  • 40 - 50: Durchschnitt 3. Liga
  • 30 - 40: Durchschnitt Regionalliga

Zwei GSN-Index-Werte:

  • aktueller GSN-Index: zeigt die aktuelle, allumfassende Qualität eines Spielers basierend auf den Daten der vier Säulen und Algorithmus-Berechnungen.
  • möglicher GSN-Index: Künstliche Intelligenz ermittelt anhand der Daten das bestmögliche, zukünftige Leistungsniveau eines Spielers.

Der 22 Jahre alte Gigovic hat bisher vor allem durch sein Premierentor auf sich aufmerksam gemacht. Beim 1:6 gegen Bayern München war dieses aber nicht mehr als eine Randnotiz. Der bosnische Nationalspieler, der zuletzt in der Nations League gegen Deutschland in der Startelf stand und wie Knudsen im zentralen Mittelfeld zu Hause ist, kam bisher in fünf Bundesliga-Spielen zum Einsatz. Dabei wurde er zweimal ein- und dreimal ausgewechselt.

In Kiel ist Gigovic mit seinem GSN-Indexwert von 62,54 nur ein durchschnittlicher Spieler. Als ablösefreier Akteur ist er aber durchaus eine sinnvolle Ergänzung für die Breite des Aufgebots. Allerdings ist nach der Analyse der Daten der Kader im Vergleich nur bedingt bundesligatauglich.

Der richtige Weg?

Bleibt die Frage, ob ein deutscher Profifußball-Club in Kriegszeiten eine Ablösesumme nach Russland überweisen sollte. Denn die Zahlungen könnten möglicherweise - und sei es durch Steuern - den Krieg gegen die Ukraine befördern. Dieses ist sicher nicht die Intention des Vereins, der in diesen Zusammenhang auf die persönliche und vertragliche Situation der Spieler verweist. Und die sind glücklich, Russland und damit auch die zuletzt sehr verschlungenen Pfade ihrer Profi-Karriere hinter sich gelassen zu haben.