Sport, Sucht, Schulden Das gefährliche Geschäft der Wettanbieter
Mit Online-Sportwetten werden in Deutschland, auch durch Partnerschaften mit Fußballclubs, Milliarden umgesetzt. Lange Zeit war das allerdings verboten. Ein Ansatzpunkt für spezialisierte Firmen, Geld für Betroffene zurückzufordern. Ein Fall kommt nun vor den Bundesgerichtshof.
Mit zehn Euro fing es an. Beim "Fußballgucken mit den Jungs". Freunde registrierten sich, Manuel auch. Der erste Tipp, die erste Wette, die erste Einzahlung. Elf Jahre ist das her. Es sind zehn Euro, die sein Leben für Jahre verändern sollten, es bis heute tun.
Zu dem Zeitpunkt weiß Manuel, dessen Name geändert ist, weil er anonym bleiben möchte, das nicht. Vorher, so erzählt er, habe er "mal eine Ein-Euro-Wette gemacht". Nach der ersten Sportwette aber geriet er sehr schnell in eine fatale Spirale, aus der er lange nicht herauskam.
"Jetzt muss das Geld auch irgendwie wieder reinkommen."
— Manuel
Das Ersparte war schnell weg, ein Ausstieg aber keine Option, im Gegenteil. Er habe gewusst, sagt er, "das ist nicht gut". Doch er wollte weiter wetten, mehr wetten, denn "jetzt muss das Geld auch irgendwie wieder reinkommen".
Die Geschichte von Manuel ließe sich so oder so ähnlich in Deutschland hunderttausendfach, ja millionenfach erzählen. Spielsucht ist eine anerkannte Krankheit. Den Zahlen einer Erhebung des Instituts für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung Hamburg und der Universität Bremen zufolge hatten im Jahr 2021 2,3 Prozent der Gesamtbevölkerung Deutschlands ein gestörtes Spielverhalten.
Süchtige stützen sich auf ihr vermeintliches Fachwissen
Der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zufolge sind Online-Sportwetten zwar "wesentlich weniger verbreitet als die ebenfalls sehr riskanten Automaten- und Casinospiele", allerdings trete hier im besonderen Maße "ein problematisches bis pathologisches Glücksspielverhalten" auf.
Insbesondere weil, wie im Fall von Manuel, der Einstieg so einfach sei. "Durch vermeintliches eigenes Fachwissen im Bereich der jeweiligen Sportart scheint den Nutzenden oft nicht bewusst zu sein, dass es sich dennoch um ein Glücksspiel handelt", sagt die BZgA. Insbesondere junge Männer seien betroffen.
Sportwetten von morgens bis abends
Männer wie Manuel, der von sich sagt, dass er "jegliche Sportart" verfolge. Die Einschätzung des BZgA deckt sich mit seinen Erfahrungen, denn "die Einsätze wurden größer". Irgendwann wettete er jeden Tag, morgens, abends, "je nachdem, was lief". Das Fatale: Er habe nicht mehr "gesehen, was man verliert, sondern versucht zu sehen, was man rausholen kann". Befeuert wurde das zusätzlich dadurch, "dass es zwischendurch die kleinen Erfolgserlebnisse gab". Sie hielten ihn im System.
Das Geschäft mit Online-Sportwetten in Deutschland ist milliardenschwer. 7,72 Milliarden Euro wurden im vergangenen Jahr mit Sportwetten in der Bundesrepublik aktuellen Zahlen des Deutschen Sportwettenverbandes (DSWV) zufolge umgesetzt - bei "den legalen Sportwettenanbietern", wie der Verband betont. Denn der Schwarzmarkt sei groß - und wachse.
Ein Millardengeschäft
Zumindest haben die im DSWV organisierten Unternehmen - darunter Firmen wie Tipico, Bwin, Bet365 und Oddset - 2023 gut fünf Prozent weniger umgesetzt als im Vorjahr, als es 8,2 Milliarden Euro waren. Der Verband sieht einen "Grund für den Rückgang" im "Abwandern vieler Spielender zu illegalen Angeboten".
Dabei haben viele der Anbieter, die heute im DSWV organisiert sind, ihr Geschäft in der Bundesrepublik selbst viele Jahre ohne Lizenz betrieben. Erst im Zuge des Glücksspielstaatsvertrages 2020 wurden Online-Sportwetten in Deutschland offiziell erlaubt, als die notwendigen Konzessionen vergeben wurden. Zuvor waren sie seit 2008 vollständig verboten.
Die jüngere Geschichte von Online-Sportwetten in Deutschland
- Bis 2008 hatte der Staat ein Monopol auf Sportwetten: Der Staat ("Oddset") durfte Sportwetten online anbieten, im Gegensatz zu privaten Veranstaltern.
- Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied: Gleiches Recht für alle, auch für die anderen Anbieter.
- Der deutsche Gesetzgeber hielt das für unverantwortlich und verbot Online-Sportwetten vollständig, auch für den Staat.
- Dessen ungeachtet boten Sportwetten-Konzerne ihre Wetten über das Internet exzessiv an, zumeist aus dem europäischen Ausland.
- Um dem illegalen Sportwettgeschäft Einhalt zu gebieten, einigten sich die Bundesländer 2012 auf den 1. Glücksspielstaatsvertrag. Bis zu 20 Anbieter sollten Ausnahmegenehmigungen für Sportwetten im Internet erhalten können.
- Gegen diese Beschränkung auf 20 Konzessionen klagten etliche nicht berücksichtigte Anbieter erfolgreich und verhinderten die Lizenzvergabe.
- Der von den Anbietern als "Grauzone" bezeichnete Zustand bestand damit fort.
- Vor allem Anbieter aus Malta, Gibraltar und Curacao dominierten ohne deutsche Erlaubnis den Markt der nach dem Gesetz verbotenen Online-Sportwetten.
- Erst mit dem Dritten Glücksspieländerungsstaatsvertrag wurde 2020 die Beschränkung auf 20 Anbieter aufgehoben.
- Im Oktober 2020 wurden die ersten Konzessionen für Online-Sportwetten vergeben.
Viele Anbieter aus dem Ausland - bevorzugt Malta, Gibraltar oder Cuaracao - aber beriefen sich auf EU-Recht, betrieben deutschsprachige Internetseiten und bewarben diese mit Fußballgrößen wie Oliver Kahn, Lukas Podolski oder Michael Ballack. Doch nicht nur einzelne Spieler als Werbegesichter, auch die meisten Profi-Clubs in Deutschland nahmen und nehmen durch Werbepartnerschaften mit Wettanbietern viel Geld ein.
Werbung für Sportwetten auf allen Kanälen
Für Spielsuchtgefährdete, zumal wenn sie Fans eines Vereins sind, ein großes Problem, wie Manuel sagt. Denn "die Werbung ist überall" - und erweckte nicht zuletzt über die Bewerbung durch Stars und Clubs den Anschein des Legalen. Die BZgA beklagt zudem "die leichte Verfügbarkeit rund um die Uhr". Sie erhöhe das Risiko, "dass eine Glücksspielsucht entsteht". Das gelte insbesondere für "Kombinationswetten und Live-Wetten mit hohen Gewinnen".
Von Gewinnen konnte bei Manuel keine Rede sein. Im Gegenteil: Seine Schulden wuchsen. Immer wieder besorgte er sich bei Banken neue Kredite - "wie das möglich war, weiß ich nicht", wie er rückblickend sagt. Es sind die Entwicklungen dieses Marktes und Schicksale wie die von Manuel, die auch zur Gründung von Unternehmen wie "Right Now", "Zockerhelden" oder "Gamesright" geführt haben.
"Gamesright" hilft Betroffenen, Geld zurückzuholen
"Gamesright" mit Sitz in Hamburg hat es sich zur Aufgabe gemacht, "Betroffenen Geld zurückzuholen, das sie bei Online-Wetten verloren haben", erklärt Hannes Beuck, einer der Gründer. Dafür vermittele die Firma spezialisierte Anwälte, behalte nur im Erfolgsfall eine anteilige Provision ein.
"Gamesright" könne man sich - grob gesagt - wie "Flightright" vorstellen, das sich für die Durchsetzung von Fluggastrechten gegenüber Airlines einsetzt. Im Fall von "Gamesright" geht es um das Zurückfordern von durch Sportwetten verlorenem Geld aus der Zeit vor 2020.
Richtungsweisender Fall vor dem BGH
Rund 2.000 Fälle betreue man, sagt Beuck: "Das ist nur die Spitze des Eisbergs." Denn jeden Tag bekämen sie rund 100 neue Anfragen.
Und es könnten noch deutlich mehr werden. Denn ein potenziell richtungsweisender Fall kommt am 7. März vor den Bundesgerichtshof (BGH). Es gehe zwar, sagt Beuck, um eine verhältnismäßig geringe Summe aus den Jahren zwischen 2013 und 2018. Der Prozess könnte aber, sollte der Kläger Recht bekommen, "eine Welle lostreten".
Firma wiederholt bedroht
Dass insgesamt sehr viel Geld für die Wettanbieter auf dem Spiel steht, habe man bei "Gamesright" sehr schnell erfahren: In der Hamburger Zentrale landeten Erpresserbriefe und sogar eine Patronenhülse in einem Umschlag. Darauf das Wort "Malta". Die Firma schaltete die Polizei ein.
Im Fall, der am 7. März vor den BGH kommt, hat der Kläger die beiden Vorinstanzen an Amtsgericht und Landgericht verloren. Entsprechend zuversichtlich gibt man sich beim beklagten Anbieter Tipico. Der steht auf dem Standpunkt, dass Deutschland mit seinem Verbot "über viele Jahre hinweg EU-Recht verletzt" habe, wie ein Sprecher sagt.
Tipico sieht gute Siegchancen
Die Begründung des Wettanbieters: "Bis Oktober 2020 durfte Tipico auf Basis der bereits seit 2004 erteilten maltesischen Sportwettlizenz und auf Basis der Dienstleistungsfreiheit des Binnenmarktes der Europäischen Union ihr Angebot auch in Deutschland legal anbieten."
Bei "Gamesright" gibt man sich angesichts einer Erfolgsquote von fast 100 Prozent seinerseits siegesgewiss, da in jüngerer Vergangenheit viele Urteile von Oberlandesgerichten in Deutschland zugunsten von Klägern ausfielen.
Vor vier Jahren ging bei Manuel nichts mehr
Auch Manuel fordert Geld zurück. Rund vier Jahre, nachdem er mit dem Wetten aufgehört hat. Er stieg aus, als er eine Investition tätigen wollte, diese aber blockiert wurde. Rien ne va plus - nichts ging mehr. Es war der Punkt, an dem er sich gesagt habe: "Das kann ich nicht mehr verheimlichen."
Er vertraute sich seinem "nächsten Umfeld" an, habe "reinen Tisch gemacht", bekam zudem ein Jahr lang psychologische Betreuung. Im Jahr 2020 war das. Vom Wetten kam er weg, Schulden hat er noch heute. "Zwischen 10.000 und 20.000 Euro", wie er sagt.
Erstes zaghaftes Umdenken bei Fußball-Clubs
Einen Weg zurück - einen Fußball ohne Wettanbieter - werde es nicht geben, glaubt Manuel. "Es bringt nichts, es zu verbieten." Es werde "immer wieder Möglichkeiten geben, es ist nicht aufzuhalten". Gamesright-Gründer Beuck aber sagt, der Prozess vor dem BGH könnte "Klarheit in der Rechtsprechung" bringen, "ein Zeichen setzen" und mehr Menschen für das Thema sensibilisieren.
Ein zaghaftes Umdenken scheint es auch bei den ersten Clubs mit Blick auf ihre Multiplikatoren- und Plattform-Rolle zu geben. Mit Bundesligist Mainz 05 hat "Gamesright" einen prominenten Partner - und Zweitligist FC St. Pauli hat im vergangenen Sommer seine Werbepartnerschaft mit Bwin auslaufen lassen. Es sind kleine Schritte, dass spielsuchtgefährdete Menschen wie Manuel nicht permanent wieder in Gefahr geraten, zu wetten.
Dieses Thema im Programm:
Sportclub | 25.02.2024 | 22:50 Uhr